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Panorama: „Die Pfeife heulte: Eine M-m-a-a-u-u-s-s“

Die Idee war zwingend, erzählte Walt Disney – heute wird seine berühmteste Figur Micky 75 Jahre alt

Walt Disney war ziemlich niedergeschlagen, als er im Februar 1928 in New York einen Zug in Richtung Los Angeles bestieg. Die Reise hatte ein Triumph werden sollen, stattdessen wurde sie zum Desaster. Der 27-jährige Trickzeichner war von dem Filmverleih vor die Tür gesetzt worden, für den er die Figur „Oswald the Lucky Rabbit“ erfunden hatte. Weil er es versäumte, sich den Hasen urheberrechtlich schützen zu lassen, würde die Serie nun ohne ihn weiterlaufen. Disney war so gut wie pleite, er brauchte dringend eine Idee. Dann erinnerte er sich an die Mäuse, die sich früher manchmal in seinem Papierkorb versammelt hatten. „Die Idee ergriff schlagartig Besitz von mir: eine possierliche, drollige kleine Maus“, erzählte er später. „Die Wagenräder schlugen dazu den Takt. ,Tsch, tsch, Maus, tsch, tsch, Maus’, schien der Zug mir zu sagen. Auch die Pfeife schrillte es immer wieder: ,Eine M-m-m-a-a-u-u-s’, heulte sie. Als der Zug schließlich durch den Mittleren Westen rollte, hatte ich meiner Traummaus schon eine rote Samthose verpasst mitsamt zwei riesigen Perlknöpfen.“

So weit die Legende. Tatsache ist: Am 18. November 1928 hatte der Zeichentrickfilm „Steamboat Willie“ in einem New Yorker Kino Premiere. Der Termin gilt als Geburtsdatum von Disneys Maus, die in dem Kurzfilm ihre Freundin Minnie vor den Avancen von Peg-Leg Pete in Schutz nimmt. Heute wird Micky Maus – Disney hatte die Figur „Mortimer“ nennen wollen, dann schlug seine Frau Lilian den Namen „Micky“ vor – 75 Jahre alt. Die Maus war sofort eine Sensation, vor allem weil „Steamboat Willie“ nur ein Jahr nach der Erfindung des Tonfilms zu seinen bewegten Bildern auch die Geräusche lieferte. Ein Höhepunkt ist ein tierisches Konzert, bei dem sich ein Schwein in einen Dudelsack, eine Ziege in einen Leierkasten und eine Kuh in ein Xylophon verwandelt.

Entwickelt worden war Micky vom Zeichner Ub Iwerks, der dabei Disneys strengen Maximen folgte. „Wir mussten alle zwei Wochen rund 230 Meter Film produzieren, deshalb sollte die Figur ganz einfach sein“, sagte Disney, der seiner Schöpfung zwar die Stimme lieh, es später aber ohne Hilfe nicht schaffte, sie zu skizzieren. Dabei ist der Körperbau des Helden tatsächlich simpel: Der kreisrunde Kopf mit den kreisrunden Ohren sitzt auf einem birnenförmigen Rumpf, die Beine erinnern an Pfeifenstiele, die Hände haben der Einfachheit halber bloß vier Finger. Die Maus entspricht den Zeichentrick-Konventionen ihrer Erfindungszeit. Eckige Figuren waren nur schwer zu animieren.

Der Disney-Konzern ist heute das zweitgrößte Medienunternehmen der Welt. „Und alles begann mit der Maus“, berichtete der Gründer stolz. Mehr als 120 Filme entstanden mit dem Helden, doch weil es anfangs noch schwierig war, die Filme zu synchronisieren, erschien Micky bald in Comics und auf Merchandise-Produkten. Eine Disney-Biografie, die zum Jubiläum in einer Neuauflage erscheint (Richard Schickel: Disneys Welt, Kadmos, Berlin 2003, 302 S., 26,90 €), erzählt vom erstaunlichen Siegeszug des Nagetiers. Micky Maus hat viele Namen. In Frankreich heißt sie Michel Souris, in Spanien Miguel Ratoncito, in Italien Topolino, in Schweden Musse Pigg, in Griechenland Mikel Mus, in Brasilien Camondongo Mickey, in Argentien El Raton Mickey und in Mexiko El Raton Miguelito. „Ich glaube“, hat der 1966 verstorbene Walt Disney gesagt, „dass jeder unsere Filme kennt und mag“.

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