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Panorama: Die Physik des Aufstiegs

Jan Hendrik Schön fälschte Forschungsergebnisse und narrte sogar den Nobelpreisträger Klaus von Klitzing – der versteht die Welt nicht mehr

Von Thomas de Padova

„Das Wunderland der Physik kennt keine einfachen Antworten“, sagt Klaus von Klitzing. Diesmal aber habe er überhaupt keine Antwort, gesteht der Nobelpreisträger ein. Er weiß nicht, ob er jahrelang einem Phantom hinterhergelaufen ist, ob er sich den Kopf über etwas zerbrochen hat, das es gar nicht gibt. „Dieser Fall ist wirklich mysteriös.“

Ein Aufsteiger hat den Nobelpreisträger genarrt. Ein junger Deutscher, der in seinem Labor in den USA die Computertechnik der kommenden Jahrzehnte vorwegzunehmen schien und selbst als künftiger Nobelpreisträger gehandelt wurde. Jetzt hat eine Expertenkommission Jan Hendrik Schön der systematischen Fälschung überführt: In mindestens 16 wissenschaftlichen Veröffentlichungen habe er Daten manipuliert, heißt es im dem Abschlussbericht.

Es ist das Ende einer außergewöhnlichen Forscherlaufbahn. Der heute 32-jährige Jan Hendrik Schön machte nach seiner Doktorarbeit an der Uni Konstanz mit sensationellen Forschungsarbeiten von sich reden. In den Bell-Laboratorien in New Jersey strickte er an einer neuen Verbindung zwischen Nanotechnik und Computerelektronik. Er baute kleinste Transistoren aus billigen Kunststoffen. Harte Metalle wie Silizium ersetzte er durch organische Materialien, mit denen andere Forscher vergeblich herumgewerkelt hatten. Und das in atemberaubendem Tempo. „Er hat fast alle faszinierenden Gebiete in kurzer Zeit abgegrast", sagt von Klitzing. Sogar in des Nobelpreisträgers ureigenstes Terrain brach der Emporkömmling ein: Klaus von Klitzing hatte in der Nacht zum 5. Februar 1980 das Experiment seines Lebens gemacht. Er hatte den sprunghaften Anstieg der Spannung an einem dünnen Kristallplättchen beobachtet, einen überraschenden physikalischen Effekt, der ihm später die höchste Auszeichnung der Wissenschaft einbrachte. Genau 20 Jahre später stellte Schön das Nobelpreis-Experiment nach. „Schön hat denselben Effekt an organischen Materialien gemessen“, erzählt von Klitzing. „Das war für mich ein wirkliches Highlight."

Von nun an hatte von Klitzing immer wieder Kontakt zu dem sympathischen jungen Mann. „Er ist ein sehr ruhiger und zurückhaltender Mensch“, sagt von Klitzing. Schön war scheinbar keiner, dem der Erfolg schnell zu Kopfe stieg.

Sein Geist sprudelte stattdessen über vor Ideen. Im vergangenen Jahr wartete Schön alle acht Tage mit neuen spektakulären Ergebnissen und Veröffentlichungen in Fachzeitschriften auf. Das Max-Planck-Institut für Festkörperphysik in Stuttgart, an dem von Klitzing forscht, bot ihm einen Direktorenposten an. „Wir haben zehn Gutachten über ihn eingeholt“, sagt Martin Jansen, der amtierende Geschäftsführende Direktor. „Sie waren exzellent.“

Schön zögerte. Der Erfolg riss ihn fort. Die Fachwelt versuchte, Schritt zu halten. „In der Forschung werden alle bedeutenden Fortschritte von anderen überprüft“, sagt Jansen. „Erst recht, wenn man damit Geld verdienen kann.“

Die Experten scheiterten. Auch von Klitzing setzte einen Doktoranden auf Schöns Fährte. Ohne Erfolg. „Nach einem Jahr wird man dann skeptisch“, sagt von Klitzing. „Wenn so viele Forschergruppen auf der Welt daran arbeiten, muss es doch irgendeinem gelingen, die Ergebnisse zu reproduzieren.“ Von Klitzing schrieb einen Brief an Schön. Er nehme ihm seine Resultate nicht ab. Schön antwortete sachlich. Er ließ angebliche Fakten sprechen: Grafiken und Tabellen. „Er hat mir noch unveröffentlichte Daten auf den Tisch gelegt. Und ich habe geglaubt, die sind echt", sagt von Klitzing. „Vielleicht war ich einfach ein bisschen naiv.“

Vielleicht sei sogar etwas Magie im Spiel gewesen. Denn in der Physik gebe es viele Geheimnisse. „Auch die eigenen Ergebnisse sind manchmal schwer zu überprüfen, weil plötzlich das Hochvakuum nicht mehr stimmt oder sich sonst etwas verändert hat.“

Dass Schön die Resultate manipulierte und viele der geschilderten Experimente mit falschen Daten garnierte, ahnte in Stuttgart niemand. „Die Ideen, die er hatte, waren sicherlich gut“, sagt Jansen. „Es kann sogar sein, dass er das, was er veröffentlichte, selbst so gesehen hat. So etwas gibt es: dass Wunschdenken und Phantasie mit einem durchgehen und man die Daten plötzlich so interpretiert, wie man sie haben will."

Von Klitzing weiß bis heute nicht, was er von der Angelegenheit halten soll. Schöns Produktivität sei wenig glaubwürdig. „Aber er hat mir noch einmal geschrieben, dass seine Erkenntnisse auf experimentellen Daten beruhen“, sagt er. Auf Fakten? Die sprechen inzwischen gegen Schön.

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