zum Hauptinhalt

Ehec-Ausbruch: Die Spur des Rätsels

Die Herkunft des Ehec-Erreger ist noch nicht gefunden. Und es gibt immer neue Krankheitsfälle. Der Druck auf Behörden und medizinische Institutionen wächst. Wie ernst ist die Lage?

Von

Die Verunsicherung in der Bevölkerung wegen der grassierenden Darminfektionen, ausgelöst von dem Ehec-Erreger, ist groß – und sie wächst weiter. Denn solange die Herkunft des Keims nicht geklärt ist, weiß niemand so recht, was man essen, wie man sich schützen kann. Und die Experten rätseln weiter, wie dem Erreger am besten zu begegnen ist. Nun hat es auch in Brandenburg den ersten Todesfall eines mit Ehec infizierten Patienten gegeben. Das Personal in den Kliniken, vor allem in Norddeutschland, ist höchsten Belastungen ausgesetzt, die Häuser stoßen an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Unterdessen gibt es Kritik am Krisenmanagement des Robert-Koch-Instituts.

Ist der Höhepunkt der Neuinfektionen überschritten?

Dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. Der Präsident der Gesellschaft für Nephrologie (DGFN), Reinhard Brunkhorst, sprach am Freitag in Hamburg bei einer Zusammenkunft norddeutscher Nieren-Fachärzte noch von einer anscheinend leicht entspannten Situation. Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) wollte diese Einschätzung nicht teilen. Die Zahl der Neuerkrankungen ist im nördlichsten Bundesland weiter in die Höhe geschnellt. Demzufolge sind jetzt über die Gesundheitsämter 517 Erkrankungen gemeldet, davon 153 Fälle des besonders schwer verlaufenden hämolytisch-urämischen Syndroms (Hus). Auch die am Freitag vom Robert- Koch-Institut (RKI) für ganz Deutschland genannten Zahlen deuten nicht auf eine Entspannung der Situation hin. Ein RKI-Experte sagte, man könne in diesem Stadium durchaus von einer Epidemie sprechen. Das Institut empfiehlt weiterhin, „vorsorglich Tomaten, Salatgurken und Blattsalate nicht roh zu verzehren“. Diese Warnhinweise würden durch die Ergebnisse von neuen epidemiologischen Studien bestätigt. Eine Befragung von Erkrankten habe ergeben, dass 95 Prozent von ihnen mindestens eine der drei Gemüsearten verzehrt hatten.

Wie weit ist die Medizin inzwischen mit der Therapie der Ehec-Infektionen?

Nach den Worten des Chef-Nephrologen Brunkhorst gibt es inzwischen standardisierte Kriterien für den Einsatz des Antikörpers Eculizumab. Diese seien mit der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie abgestimmt. Eculizumab ist zur Therapie seltener Blutleiden zugelassen, an Ehec-Patienten aber nicht klinisch erprobt. Das Mittel werde mittlerweile immer häufiger eingesetzt. Für eine Bewertung der Wirksamkeit sei es aber noch zu früh. Auf Grund des internationalen Interesses werden die Eculizumab-Handreichungen von der DGFN jetzt auch ins Englische übersetzt. „Solch eine gefährliche Ausbreitung einer auf Bakterien beruhenden Infektion hat es in den letzten Jahrzehnten so noch nicht gegeben, zumindest nicht in hiesigen Breiten“, sagte Brunkhorst.

Meist behandeln Mediziner Hus-Patienten mit einer sogenannten Plasmapherese – also dem Austausch des Blutplasmas. Damit sollen giftige und entzündliche Stoffe entfernt werden, sagte Hermann Haller von der Medizinischen Hochschule Hannover. „Manche Patienten sprechen darauf an, manche Patienten sprechen verzögert darauf an, manche Patienten sprechen nicht darauf an.“ Bessere sich der Zustand eines Schwerkranken mit der Plasmapherese nicht, bekomme er den Antikörper Eculizumab, sagte Ulrich Kunzendorf von der Universität Kiel. Werde der Gesundheitszustand dann immer noch nicht besser, bekomme der Patient sowohl Plasmapherese als auch den Antikörper.

Unterdessen werden in Norddeutschland die Blutvorräte knapp. Der Blutspendedienst Nord des Deutschen Roten Kreuzes erhält inzwischen Blutplasma aus Süddeutschland. Einen Engpass gibt es aber nicht, bundesweit sind zurzeit noch genug Vorräte vorhanden. Pro Plasma-Austausch wird Blutplasma von bis zu zehn Spendern benötigt, abhängig von Größe und Gewicht des Patienten.

Behalten Ehec-Patienten bleibende Schäden zurück?

Einige Patienten erholen sich nach der Behandlung von der Infektion und die Niere fängt von selbst wieder an zu arbeiten. „Etwa 40 Patienten konnten wir seit dem Ausbruch wieder entlassen“, sagt die angehende Fachärztin Susanne Ganepola, die am Asklepios-Klinikum im Hamburger Stadtteil Altona Ehec-Patienten behandelt. „Sie kommen nach der Entlassung einmal täglich zur Blutuntersuchung vorbei.“ Auch wenn Durchfall und Nierenversagen überwunden sind, tragen die Patienten den Erreger aber noch in sich und können andere anstecken.

Verläuft die Erkrankung so schwer, dass die Niere stark geschädigt ist, bleiben die Patienten ein Leben lang auf die Dialyse angewiesen oder benötigen eine passende Spenderniere. Wie viele Menschen mit Ehec dieses Schicksal ereilt, können die Ärzte bisher nicht sagen „Die Anzahl der jetzt erkrankten Patienten ist zu gering, um dazu statistische Aussagen zu treffen“, sagte der Hamburger Onkologe Dietrich Braumann, der am Krankenhaus Altona eine eilig eingerichtete Ehec-Station leitet. Bisherige Studien zu Hus, das normalerweise vor allem bei Kindern auftritt, ergaben, dass etwa ein Drittel der Patienten bleibende Nierenschäden davonträgt. Diese können auch nach Jahren noch auftreten, obwohl die Infektion zunächst überstanden war. „Ob diese Zahlen auf den neuen Erreger übertragbar sind, wissen wir bisher nicht“, sagte Braumann.

Bei etwa der Hälfte der Patienten, die derzeit mit schwerem Hus-Verlauf behandelt werden, treten neurologische Störungen auf. Da durch die Gerinnsel in den Blutgefäßen des Gehirns einige Areale nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt sind, können Nervenzellen absterben. Ähnlich wie nach einem Schlaganfall bleiben dann Sprachstörungen, Lähmungen oder andere Behinderungen zurück. Bei welchem Anteil der Ehec-Patienten Hirnschäden zurückbleiben, können Mediziner derzeit aber ebenfalls nicht abschätzen. Alarmierend bei diesen Patienten ist nach Expertenansicht, dass sich ihr neurologischer Zustand trotz frühzeitiger Plasmapherese-Behandlung nicht bessert oder sich gar weiter verschlechtert.

Die Erregerquelle ist noch immer nicht gefunden – wie ist das Krisenmanagement des Robert-Koch-Instituts einzuschätzen?

Das Robert-Koch-Institut ist ein Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten in Berlin. Leitende Mediziner in Berlin kritisieren, dass die „Informationspolitik des RKI grauenhaft ist“. Das Institut habe keine Hotline, besorgte Patienten würden verstärkt die Rettungsstellen der Krankenhäuser aufsuchen, hörte man in der Charité. Man wolle keine Panik schüren, hätte sich vonseiten des Bundes aber mehr Unterstützung erwartet, hieß es aus der medizinischen Leitung einer anderen Berliner Klinik. Ein weiterer Vorwurf an das RKI lautet, dass die Mitarbeiter „nur“ die Patienten befragt hätten. Das weitere Vorgehen sei allerdings nicht koordiniert verlaufen. Wer hat beispielsweise das Restaurant X im Ort Y aufgesucht, nachdem ein Patient dort Salat oder Gemüse gegessen hatte und dann an Ehec erkrankte?

Das RKI weist die Vorwürfe zurück. „Wir sind sehr aktiv und haben bisher mehrere epidemiologische Studien angefertigt“, sagte RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. Unmittelbar nach Ausbruch von Ehec seien 15 Mitarbeiter nach Hamburg gefahren, hätten mit den Patienten gesprochen und eine Kontrollgruppe gesucht: Menschen in der Umgebung des Wohnortes eines Erkrankten, die nicht infiziert sind und deren körperliche Konstitution kontinuierlich dokumentiert wird. „Wir sind nicht zu langsam und führen neue Befragungen durch.“ Diese würden nicht nur in Hamburg, sondern auch in Hessen und im Ausland stattfinden.

Auch ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, das die Aufsicht über das RKI hat, wies die Vorwürfe zurück. Das RKI habe im Gegenteil „sehr schnell gehandelt“. Für die Suche nach der Infektionsquelle seien ohnehin die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder zuständig (siehe Interview unten). Diese, das RKI und andere Behörden seien „eng verzahnt“ und in einem „ständigen Austausch“. Der Sprecher gab allerdings auch zu bedenken, dass bei früheren Ehec-Ausbrüchen in 80 Prozent der Fälle der Infektionsherd nicht gefunden worden sei.

Kann auch ein Anschlag hinter der Ehec-Epidemie stecken?

Klaus-Dieter Zastrow, Chefarzt für Hygiene an den Vivantes-Kliniken in Berlin, hält das zumindest für möglich. Zuvor hatte auch der Hallenser Mikrobiologe Alexander Kekulé dies im Tagesspiegel nicht ausgeschlossen. Zastrow sagte der Nachrichtenagentur dapd, es könne „durchaus sein, dass ein Schwachkopf unterwegs ist und denkt, ich bringe mal ein paar Leute um oder verpasse 10 000 Leuten Durchfälle. Das aus dem Blickfeld zu nehmen, halte ich für einen Fehler und geradezu fahrlässig.“ Gerade die Tatsache, dass es sich um einen völlig neuen Stamm handele, lasse ja auch an ein Kunstprodukt denken. Einen Terroranschlag halte er allerdings für unwahrscheinlich, weil es dann wohl Bekennerschreiben gäbe. Die Bundesregierung hat allerdings keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund, wie ein Sprecher des Innenministeriums sagte. (mit dapd)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false