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Panorama: "Die Verteidigung des Glücks": Die Schöne und die Revolution

Sie liebte die Männer und fürchtete die Einsamkeit, als Kind war sie artig, süß und ganz und gar nicht aufrührerisch. Heute sieht sie sich als "späte Rebellin" - Gioconda Belli, inzwischen 52-jährig und neben Evita Perón und Frida Kahlo eine der bekanntesten Frauenfiguren Lateinamerikas.

Sie liebte die Männer und fürchtete die Einsamkeit, als Kind war sie artig, süß und ganz und gar nicht aufrührerisch. Heute sieht sie sich als "späte Rebellin" - Gioconda Belli, inzwischen 52-jährig und neben Evita Perón und Frida Kahlo eine der bekanntesten Frauenfiguren Lateinamerikas. Nicht nur als sandinistische Freiheitskämpferin, auch als Dichterin wurde die Nicaraguanerin berühmt. Schon als Zwanzigjährige schockierte sie mit offenherzigen Gedichten eine prüde Öffentlichkeit. Das war 1970, und bis heute sind ihre Lyrikbände in Nicaragua skandalumwittert. Denn so sinnlich, so unverblümt darf eine Frau eigentlich nicht schreiben. Der internationale literarische Durchbruch gelang Gioconda Belli endgültig 1988 mit dem Roman "Die bewohnte Frau", in dem bereits Partikel eigenen Erlebens aufbereitet werden.

Im neuen, dieses Jahr erschienenen Buch "Die Verteidigung des Glücks" erzählt sie ihre abenteuerliche Lebensgeschichte in Gänze, ihrem jetzigen Mann Carlos, dem "Hafen meiner Gewitterstürme", ist es gewidmet. Mit ihm lebt die vierfache Mutter in den USA. Und an seiner Seite kämpft sie weiterhin leidenschaftlich für die politische wie persönliche Freiheit und Emanzipation. "Zwei Dinge, über die nicht ich entschied", schreibt sie, "entschieden über mein Leben: das Land, in dem ich geboren wurde, und das Geschlecht, mit dem ich zur Welt kam".

Sie macht viel aus ihrem Dasein, das sich bald nach der Heirat mit einem Mann, der so gar nicht ihren Vorstellungen vom Märchenprinzen entspricht, zum ebenso kräftezehrenden wie aufregenden Doppelleben wandelt, "ohne aufzuhören, eine Frau zu sein, habe ich es geschafft, auch genügend Mann zu werden". Das ist sicherlich übertrieben, vor allem aber falsch akzentuiert, wie so vieles in diesem spannenden, süffig zu lesenden dickleibigen Buch. Denn die schöne Nicaraguanerin hat außer einer Menge Selbstbewusstsein, Courage und Unternehmungslust so gar nichts Männliches an sich. Vielmehr verdreht sie den Männern scharenweise die Köpfe und nimmt es auch mit der ehelichen Treue nicht gar so genau.

"Ich bin zwei Frauen gewesen und habe zwei Leben gelebt", meint Belli bescheiden. Sie erzählt fast anrührend eitel, berichtet in kindlichem Stolz von ihrer wichtigen Rolle als Kurier und Waffenschmugglerin beim Kampf gegen die Somoza-Diktatur und vom immerwährenden Widerstreit der Gefühle - als Mutter, Ehefrau, Liebende und nicht zuletzt als glühende Patriotin. Wenn die attraktive Frau heute in Santa Monica aufs Meer hinaus und auf diese Zeit zurückblickt, stellt sie sich vor, der Ozean habe einst "mit seinen Wasserhänden" ihre beiden so unvereinbar scheinenden Leben geeint.

1949 wird Gioconda Belli als Spross eines wohlhabenden Familienclans in Managua geboren. Standesgemäß studiert sie in Spanien und in den USA, heiratet sehr jung, bekommt Kinder und schließt sich bald der sandinistischen Freiheitsbewegung an, wirbt heimlich neue Mitglieder, versteckt Flugblätter. Sie verlässt den Ehemann, der während ihrer Aktivitäten stumpf vor dem Fernseher gesessen und von all dem nichts bemerkt hatte. Zusammen mit einem ihrer Geliebten geht sie ins Exil, um von dort aus den Sturz Somozas vorzubereiten, heiratet wieder, hat weitere Kinder und immer auch Liebhaber - eigentlich unvorstellbar für eine Frau jener Zeit in jenem Land. Weit ausholend erzählt die Autorin vom Entsetzen, als sie zum erstenmal Blut sieht, nachdem der Nachbarjunge von der Nationalgarde erschossen wurde, von der Panik angesichts gewaltiger Erdbeben, die 1972 Managua zerstören und 20 Jahre später Los Angeles erschüttern, von der wilden Entschlossenheit, sich mit allen Kräften für Unabhängigkeit einzusetzen.

Und sie entwirft liebevoll-kritische Porträts charismatischer Politiker, allen voran von Fidel Castro, der als erster für sie zum Symbol des "allerreinsten und romantischsten Patriotismus" wurde. Die Kapitelüberschriften, die den gewaltigen Erzählstrom unterteilen, erinnern an Märchenbücher. "Wie ich in jungen Jahren Ehefrau und Mutter wurde und ziemlich schnell meine Illusionen verlor" steht da etwa oder "Wie mich ein Geldstück das erste Mal in die Vereinigten Staaten brachte, und von dem ersten vergossenen Blut, das ich in meinem Leben sah", "Wie ich aufhörte, die perfekte Ehefrau zu sein und mich auf verbotenes Terrain begab", "Wie die Poesie und die Revolution in mein Leben einbrachen" und - in Anspielung auf Garcia Márquez - "Von den Schwierigkeiten der Liebe in Zeiten des Krieges".

Von einem dichten Spannungsfaden ist diese Vollblut-Autobiographie durchzogen - und angenehm humorvoll geschrieben. Sie beleuchtet in ungewöhnlicher Weise lateinamerikanische Revolutionsphasen und ist gleichzeitig die hinreißende Geschichte einer ganz besonderen weiblichen Initiation. Betrachtet man Gioconda Bellis Buch nicht nur durch die Brille des Literaten, sondern vor allem mit der Neugier und Unbefangenheit eines abenteuerlustigen und wissbegierigen Zeitzeugen, so wird die pralle Story zum ungetrübten, kurzweiligen Lesegenuss und übertrifft alles, was Märchenerzähler sich ausdenken können.

Inge Zenker-Baltes

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