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Panorama: Die Zeiten der ökologischen Fahrradidylle sind vorbei

PEKING .Das Fahrradland China befindet sich im Umbruch.

PEKING .Das Fahrradland China befindet sich im Umbruch.Die chinesischen Behörden sind offenbar der Ansicht, daß Fahrräder zu schlimmeren Staus führen als Autos.In einer der belebtesten Geschäftsstraßen der Hauptstadt Peking dürfen künftig zwischen sieben und 20 Uhr keine Fahrräder mehr fahren.In Stoßzeiten radelten durch die Xisi-Straße, die den Westteil der Stadt mit dem Osten verbindet, stündlich mehr als 6000 Menschen.Fünf Polizisten versuchten, das Verkehrschaos im Griff zu bekommen.

Die Zeiten der ökologischen Fahrradidyllein China sind vorbei.Es ist nicht lange her, da war das Fahrrad in chinesischen Städten das Verkehrsmittel Nummer Eins.Auf breiten Radwegen sah man Menschenmassen in den typisch blauen Mao-Anzügen durch die Städte radeln.Autos gab es damals so gut wie keine, Luftverschmutzung war noch ein Fremdwort, und die einzige Lärmbelästigung war das gelegentliche Klingeln der Fahrradfahrer.

Die Zeiten haben sich geändert.Nach zwei Jahrzehnten Wirtschaftsboom hat in China das Autozeitalter begonnen.Allein in Peking verstopfen mittlerweile 1,4 Millionen Autos die Innenstadt, 200 000 neue Zulassungen kommen dieses Jahr hinzu.Geht es nach Chinas Stadtplanern, sind die Tage der Fahrräder gezählt.Sie träumen von einer motorisierten Zukunft: Überall in den Großstädten sieht man Abrißkolonnen, die Platz für neue Schnellstraßen und Stadtautobahnen schaffen.Die alten Fahrradwege verschwinden."Die Verwaltung bemüht sich systematisch, Autos zu fördern und Fahrräder zu benachteiligen", sagt der französische Stadtplaner Jean Francois Doublet.

China ist im Autorausch.Längst ist das Auto das wichtigstes Statussymbol.Jedes Kind kennt die Namen der Nobelmarken "Benchi" (Mercedes Benz) und "Baoma" (BMW).Kaum eine Veranstaltung ist so gut besucht wie die jährliche Automesse in der Hauptstadt.Doch der Boom der vergangenen Jahre zeigt nun seine Schattenseite: In chinesischen Großstädten herrscht mittlerweile ständiges Verkehrschaos.Trotz mehrerer Stadtautobahnen sind die Straßen in Peking chronisch verstopft.In Shanghai muß man für die kurze Strecke zum Flughafen mindestens drei Stunden einplanen.

Das größte Problem ist die Luftverschmutzung.Nach Meinung ausländischer Experten ist Peking mittlerweile die dreckigste Stadt der Erde.In China produzierte Autos stoßen aufgrund ihrer veralteten Technik bis zu 15 mal mehr Abgase in die Luft als die gleichen Modelle in Europa.Hinzu kommen riesige Mengen an ungefilterten Industrieemissionen."An manchen Tagen ist die Luft richtig gelb, da kann man kaum mehr richtig atmen", sagt die Zeitungsverkäuferin Li, die mit ihrem Stand jeden Tag zehn Stunden an einer der vielbefahrenen Verbindungsstraßen steht.

In einigen Städten hat Chinas Regierung nun die Notbremse gezogen.In Shanghai dürfen neue Autos nur noch gegen eine heftige Gebühr angemeldet werden.In Peking werden Lastwagen nur noch nachts in die Stadt gelassen, bestimmte Autos mit einem niedrigen Hubraum dürfen in der Hauptstadt sogar nur noch an jedem zweiten Tag fahren.Einer neuen landesweiten Regelung zufolge darf ab dem Jahr 2000 nur noch bleifreies Benzin verkauft werden.

"Es beginnt langsam ein Umdenken, wenn es nicht schon zu spät ist", sagt Ho Wai-chi von Greenpeace in Hongkong.Abschied von der Autozukunft haben Chinas Führer allerdings noch nicht genommen.Während sich in Peking die dringend notwendige Erweiterung der U-Bahn durch Korruption und Geldknappheit seit zehn Jahren verzögert, baut man derzeit unverzagt an der vierten und fünften Ringstraße.Der Umweltschutz taucht bei den Stadtplanern nur am Rande auf.Auf die Frage, wie man die wachsende Luftverpestung in den Griff bekommen wolle, hat Bürgermeister Jia Qinglin eine einfache Antwort: "Wir pflanzen mehr Bäume."

HARALD MAASS

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