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Panorama: „Dies ist nicht mein Brautkleid, es ist mein Leichentuch“

Eine türkische Fernsehserie thematisiert das Schicksal von Kinderbräuten. Frauenrechtlerinnen hoffen auf eine rege Diskussion.

Im strahlend weißen Kleid mit Schleier steht Hayat im Innenhof eines Hauses, im Hintergrund tritt ein bärtiger alter Mann ins Bild. „Dies ist nicht mein Brautkleid“, schluchzt das 15-jährige Mädchen. „Es ist mein Leichentuch.“ Hayat ist die Titelheldin einer neuen Fernsehserie in der Türkei, die das Schicksal von Kinderbräuten thematisiert. Zur besten Sendezeit bringt der Privatsender ATV das Drama des Regisseurs Mahsun Kirmizigül, die erste Folge sah ein Millionenpublikum. Frauenrechtlerinnen hoffen, dass durch die Serie die Sensibilität für das Problem geschärft wird. Fast jede dritte Frau in der Türkei wird als Minderjährige verheiratet.

„Hayat Devam Ediyor“ – der Titel bedeutet „Das Leben geht weiter“, kann aber auch als „Hayat, gibt nicht auf“ gelesen werden – erzählt die Geschichte einer armen Töpferfamilie aus dem zentralanatolischen Kappadokien. Die erste Folge, in der Hayat einem reichen 70-jährigen Lustgreis zur Frau gegeben wurde, behandelte nicht nur das Phänomen der Kinderbräute, sondern auch Dramen um Teenagerliebe, Polygamie, Gewalt und die Macht der Familienehre.

Auf dem Bildschirm und in den türkischen Wohnzimmern flossen die Tränen, wie es sich für eine gute türkische Serie gehört, doch die Macher von „Hayat Devam Ediyor“ wollen nicht nur unterhalten. Die Serie solle auch wachrütteln und aufklären, sagte die Schauspielerin Senay Gürler, die Hayats Mutter spielt: „Ich denke, diese Serie hat eine ganz wichtige Mission, und ich hoffe und glaube, dass sie eine große Wirkung haben wird.“

Das hoffen auch die Frauenrechtlerinnen in der Türkei. Regisseur Kirmizigül, ein früherer Schnulzensänger, der sich einen Ruf als ernst zu nehmender Filmemacher erarbeitet hat, könne im Fernsehen ein viel größeres Publikum erreichen als alle Aufklärungskampagnen, sagte Selen Dogan vom Frauenverband „Fliegender Besen“.

Millionen von Frauen in der Türkei werden unter dem gesetzlichen Mindestalter von 17 Jahren verheiratet, in manchen Gegenden ist jedes zweite Mädchen eine Kinderbraut, so schätzt „Fliegender Besen“. Auch das per Gerichtsbeschluss mögliche Ausnahmealter von 16 Jahren wird im Alltag hunderttausendfach missachtet: Weil eine legale Hochzeit auf dem Standesamt in diesen Fällen nicht möglich ist, wird die Ehe nach islamischem Ritus geschlossen.

Mit einer landesweiten Kampagne hat der „Fliegende Besen“ das Ausmaß des Missbrauchs aufgedeckt. Die Aktivistinnen reisten durch die türkische Provinz, sprachen mit Betroffenen und Behördenvertretern und hörten herzzerreißende Geschichten von geschlagenen, geschundenen und verängstigten Kindfrauen.

Trotzdem wollen viele Familien ihre Töchter weiterhin möglichst früh verheiraten. Ein Hauptgrund dafür ist die Familienehre – um voreheliche sexuelle Kontakte der Mädchen zu vermeiden, werden sie verheiratet, sobald sie geschlechtsreif sind. Wirtschaftliche Gründe spielen auch eine Rolle, weil Mädchen als finanzielle Last gelten und oft noch Brautgeld einbringen.

Bei einer Anhörung des Gleichstellungsausschusses im türkischen Parlament konnten die Aktivistinnen den Abgeordneten kürzlich vom Schicksal der Kinderbräute berichten und auf Abhilfe drängen. Die Regierung werde sich dafür einsetzen, versprach Familienministerin Fatma Sahin. In einem ersten Schritt sollen die Imame in den 80 000 Moscheen der Türkei gegen die Verheiratung von Kindern predigen.

Ob auch die Fernsehbraut Hayat helfen kann, wird sich nach Einschätzung der Frauenrechtlerin Dogan erst in den nächsten Folgen der Serie herausstellen. Wichtig sei, dass die Kinderbräute nicht als Randphänomen abgetan würden, sagt Dogan. „Es ist ein Problem, das alle angeht.“ Denn selbst in den höchsten Kreisen werden Minderjährige verheiratet: Vor acht Jahren ehelichte ein Sohn von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit Pomp ein erst 16-jähriges Mädchen. Trauzeuge war damals Silvio Berlusconi.

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