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Spielsucht

© dpa

Digitale Welt: Videospielsucht wird zum Problem

Drei bis sechs Prozent der Jugendlichen sind süchtig nach Computerspielen. Auf den ersten Blick eine geringe Zahl, die Pädagogen dennoch große Sorgen bereitet - sind doch einige der Betroffenen körperlich und psychisch völlig am Ende.

Das Verdrängen der Realität ist das Schönste für Sebastian. "Vergessen ist oft ein Segen. Alle Probleme, denen man sich vorher stellen musste, sind scheinbar nicht mehr da", schreibt der 17-Jährige in einem Internet-Forum zur Online-Spielsucht. Um dieses Ziel zu erreichen, zieht er sich oft stundenlang in sein Zimmer zurück, Computer an, auf zur nächsten Runde "World of Warcraft", einem Fantasie- und Strategiespiel. Mit seinem Verhalten steht Sebastian nicht allein. Zwischen drei und sechs Prozent der jungen Erwachsenen gelten mittlerweile als computerspielsüchtig. Eine Sucht, die kaum auffällt, und die selten behandelt wird.

"Die Leute sitzen in ihrem Kämmerchen und kaum jemand sieht sie", sagt Knut Kiepe vom Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe bei der Berliner Diakonie. Im Gegensatz zu Nikotin und Alkohol "ist das eine sehr billige Sucht". Zumindest auf den ersten Blick. Die Online-Foren sind aber auch voll mit Berichten von zumeist Männern, die über das Spielen ihren Beruf oder ihre Firma vergessen und irgendwann Probleme mit Chef oder Bank bekommen.

Spielsucht kann jeden treffen

Spielsucht ist nach Einschätzung Kiepes auch kein Problem spezieller Schichten. Es könne jeden treffen, sagt er, wenn auch Jungen oder junge Männer überproportional vertreten seien. Manche Studien sehen fast jeden Zehnten in der Altersklasse zwischen 11 und 14 Jahren als spielsüchtig an.

Die Behandlungsmöglichkeiten sind in solchen Fällen gering. Es gibt bundesweit nur eine spezialisierte Klinik in Schleswig-Holstein, die computerspielsüchtige Kinder stationär aufnimmt. In den Kostenübernahmekatalogen der Krankenkassen existiert die Videospielsucht nicht. "Wer zu uns kommt, ist oftmals körperlich und psychisch völlig am Ende", sagt Psychologe Günter Mazur zur Situation der Patienten. Es gäbe Spielsüchtige, die kämen mit Verfolgungsideen in die Klinik und hätten auch schon Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich.

Bilder haben sich festgebrannt

Aber das sei nur eine Minderheit, die Mehrheit stehe noch einigermaßen normal im Leben, nur dass eben das Spiel einen sehr großen Teil einnehme. Es sei wie bei einer klassischen Sucht: Irgendwann machten Familie, Schule oder Chef so viel Druck, dass sich die Betroffenen einweisen ließen, sagt Mazur. Die mehrmonatige Therapie beginne dann erstmal mit einem Entzug, und dabei werde oft unterschätzt, "wie stark sich die Bilder der Videospiele bei manchen in den Gehirnen festgebrannt haben". Anschließend sei es entscheidend, das Sozialleben der Patienten wieder zu stabilisieren. Und je mehr die Familie dabei helfe, desto besser gelinge dies.

Damit es erst gar nicht soweit kommt, fordert der Leipziger Medienpädagoge Hartmut Warkus eine bessere Aufklärung über die Folgen der Spielsucht. "Es gibt Kampagnen, die warnen vor Alkohol oder Tabak, aber kaum eine warnt vor den Folgen der Computer-Spielsucht", so Warkus. Den Angehörigen von Betroffenen rät er, eine sich anbahnende Spielsucht sehr ernst zu nehmen. "Das erfordert aber zum Beispiel von Eltern, dass sie sich Zeit nehmen", sagt Warkus. Den Aus-Knopf am Computer zu drücken sei völlig falsch. "Man muss sich dazu setzen, sich das Spiel erklären lassen, nur dann kann man begreifen, was die Faszination ausmacht." Und nur, wer das verstanden habe, können mit seinen Kindern auch erfolgreich über deren Computer- und Spiel-Konsum reden.

Sebastian hat immerhin den ersten Schritt getan: Er erkennt, dass er ein Problem hat. Aber Hoffnung, dass er seine Sucht besiegen kann, hat er wenig. "Ich denke nicht, dass mir jemand helfen kann, das muss ich selber tun. Aber es wäre wie eine tiefe Wunde, die ich mir selbst zufügen müsste und das kann ich nicht. Die Qualen wären zu groß."

Matthias Hasberg[ddp]

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