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Dioxin-Skandal: Woraus sich die Angst speist

Eine Nachlässigkeit, schon kam zusammen, was nicht zusammenkommen durfte, wurde verfüttert und schließlich gegessen. Wie das Dioxin ins Frühstücksei kam – und woher.

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Ilse Aigner hat Fernseh-Schminke aufgelegt für den kurzen Auftritt vor Kameras im Schnee, was den Ernst der Lage hinreichend verdeutlicht.

Weiß strahlt der Schnee. So weiß wie Hühnereier, zum Beispiel.

Das alte Wildbad in Kreuth ist ein Idyll, eigentlich, und das Programm für die Klausur der CSU-Landesgruppe zum Jahresauftakt verspricht ein paar relativ entspannte Tage, eigentlich. Wenn da nicht die Sache mit den Eiern wäre.

Die Landwirtschaftsministerin hat bisher keine schlechte Presse in der Dioxin-Affäre. Aber so was kann sich immer schnell ändern. Vom Politiker erwartet das Publikum Tatendrang, gleich doppelt im Angesicht von Affären und Skandalen.

Schon gar, wenn es um Leib und Leben geht, sozusagen. Um das, was gegessen wird, nämlich, um Eier, um Fleisch. Und um das, was möglicherweise darin versteckt ist, den Menschen krank machen könnte, vergiften gar.

Am Mittwochmittag, Stunden bevor Ilse Aigner in den Schnee tritt, besuchen Polizisten und ein Staatsanwalt die Büroräume des Fettherstellers Harles und Jentzsch im schleswig-holsteinischen Uetersen. Hier, so vermuten die Ermittler, begann das Übel, kam das Dioxin in die Lebensmittelkette – und im weiteren Verlauf in Hühner und Eier. Sie suchen Verantwortliche.

Aigner drängt infolgedessen. Dass sie betroffen sei und empört, sagt die Ministerin in die Kameras und Mikrofone hinein, und dass es nicht angehe, dass ein und dieselbe Firma in ein und derselben Fabrik Lebensmittel und Schmierstoffe produziere. „Das muss abgestellt werden“, sagt Aigner. Ob das denn überhaupt möglich sei, fragt ein Journalist. Das, sagt Aigner, müsse man prüfen; eine Arbeitsgruppe von Experten aus Bund und Ländern soll sich daransetzen. Aber das gehe ja nun wirklich nicht weiter so, dass sozusagen auf Knopfdruck mal Futtermittel produziert würden und mal technische Fette! Aigner guckt angemessen indigniert. Es ist ja auch keine schöne Vorstellung, dieser Knopfdruck mit seinen Folgen.

Mit jenen, den Folgen, hat nun Thomas Böhm zu kämpfen, der Prokurist der Ferkelzuchtanlage in Kölsa nahe der südbrandenburgischen Stadt Falkenberg. Zwei Brandenburger Betriebe sind vom Skandal betroffen. Böhms ist einer davon.

Am letzten Tag des vergangenen Jahres bekam er einen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war ein Mischfutterwerk aus Sachsen-Anhalt, das von einem Zulieferer aus Schleswig-Holstein dioxinbelastete Stoffe geliefert bekommen haben soll. „Die informierten mich darüber, dass dieses Futter möglicherweise auch zu uns gelangt sei, und wir uns auf Untersuchungen einstellen müssen.“

Thomas Böhm, in dessen Anlage 7000 Ferkel leben, überprüfte sofort die Fakten. Er hat ein Qualitäts-Management-System eingerichtet, er ist stolz darauf, dass alles transparent ist, er alles zurückverfolgen kann. Das möglicherweise verseuchte Futter – ob es so sei, wisse man erst Anfang nächster Woche – sei im November geliefert worden: „50 Tonnen, die waren innerhalb von fünf oder sechs Tagen verfüttert“. Die Ferkel waren damals sieben Kilo schwer, jetzt wiegen sie über 30 Kilo und rund 95 Prozent von ihnen sind längst nicht mehr in Kölsa. „Die sind längst an Mäster gegangen“, sagt Böhm: „Aber wir wissen, wo sie stehen und da sie erst in etwa 30 Tagen geschlachtet werden, ist genügend Zeit für die Überprüfung.“ Eine Veranlassung, den Betrieb zu schließen, sieht auch der Amtstierarzt des Landkreises Elbe-Elster, Dieter Freudenberg, momentan nicht.

Ein schwacher Trost für Böhm, der um den Ruf fürchtet – und zudem noch mit den Folgen des letzten Hochwassers kämpft. 2010 sei ein schlechtes Jahr gewesen, sagt er. 2011 beginne nicht besser.

Dort, wo alles anfing, wo auch für Ferkelzüchter Böhm die Misere ihren Anfang nahm, im schleswig-holsteinischen Uetersen, blättern am Mittwoch, gemeinsam mit der Geschäftsführung, Polizei und Staatsanwalt durch Akten und Ordner des Futterfett-Herstellers Harles und Jentzsch, beschlagnahmen Rechnungen und andere Belege aus den vergangenen fünf Jahren, nehmen aber niemanden fest.

Die Firma wurde 1980 gegründet, das Jahr eines weiteren Lebensmittel-Skandals. In Kalbfleisch wurden damals Östrogene gefunden. 1994 vergrößerte man sich und zog um nach Uetersen, in die Nähe des Hamburger Hafens, über den die Rohstoffe aus aller Welt angeliefert werden. Auf ihrer Homepage preist die Firma sich als eine, die „flexibel auf spezielle Wünsche eingeht“, das würden die Kunden schätzen.

Nun wird nach einem Hinweis gesucht – was nur schiefgegangen sein kann auf dem langen und komplizierten Weg der Tierfuttermittelproduktion. War es ein Fehler? Ein Versehen? Wie nur geriet Dioxin in den Lebensmittelkreislauf?

Bei Harles und Jentzsch hieß es zunächst, man habe offenbar belastete Mischfettsäuren von einem Bio-Diesel-Hersteller in Emden bezogen. Es ist die Firma Petrotec, kontrolliert von der Gewerbeaufsicht und dem Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erst einen Tag zuvor.

Erst 2008 haben sie bei Petrotec die Biodieselanlage in Betrieb genommen, sie brachte 19 neue Arbeitsplätze in die Ostfriesenstadt und hat eine Kapazität von 100 000 Tonnen pro Jahr. Nun ist man bei Petrotec überrascht. Abfallprodukte des Kraftstoffs hatten sie schließlich als rein technische Fette weiterverkauft. Auf Verträgen und Lieferscheinen werde ausdrücklich darauf hingewiesen, das Produkt im technischen Bereich zu verwenden, zum Beispiel in der Papierindustrie.

Ein Hinweis, der bei Harles und Jentzsch offenbar nicht ankam. Denn schon am Montag hatte der Geschäftsführer, Siegfried Sievert, zugegeben, „leichtfertig der irrigen Annahme“ gewesen zu sein, dass ein Nebenprodukt aus der ökologischen Bio-Kraftstoff-Produktion „für die Futtermittelherstellung geeignet“ sei.

Woher aber stammt das Dioxin? Aus der Biodieselproduktion jedenfalls nicht, beteuert ein Petrotec-Sprecher. War es ein verunreinigter Transportbehälter? Kompliziert.

Harles und Jentzsch lagern Fette unterschiedlicher Herkunft und Bestimmung auf dem Betriebsgelände in großen Silos, darunter auch vier, in denen technische Mischfettsäuren aufbewahrt sind. Zusätzliche Kapazitäten hat sich das Unternehmen bei der Speditionsfirma Lübbe im niedersächsischen Bösel aufgebaut, wo ebenfalls Fette unterschiedlicher Zusammensetzung – technische Fette, pflanzliche Fett, tierische Fette – in 13 Tanks lagern.

Die Produktpalette von Harles und Jentzsch reicht von Ölen über Futterfette bis zu Spezialseifen, die in gesonderten Kreisläufen aufbewahrt werden, wobei die Firma Lübbe offiziell nur als Spediteur mit 44 Tanklastwagen gilt und allenfalls ein Zwischenlager unterhält. Durch einen Bedienungsfehler soll es hier am 11. November 2010 zu einer ungewollten Verunreinigung gekommen sein. Ein Lübbe-Mitarbeiter hatte aus Versehen „aus einem Tank Nr. 11 ein technisches Fett in eine Partie Futtermittelfett eingemischt“. So heißt es in einem Bericht des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. Ob der Irrtum Lübbe sofort auffiel, jedoch als unbedenklich angesehen wurde, oder ob er erst durch die spätere Selbstanzeige eines belieferten Futtermittelherstellers überhaupt bekannt wurde, ist nicht klar.

Weitere Untersuchungen des niedersächsischen Landesamts für Lebensmittelsicherheit bei der Firma Lübbe zeigten allerdings, dass es kein Einzelfall gewesen sein konnte. Denn kontaminierte Mischfettsäuren waren nicht nur in den Tank 11, sondern auch in andere Tanks gefüllt worden und stammten, so wird vermutet, aus Uetersen. 25 Futtermittelhersteller wurden bis zum 20. Dezember 2010 mit 3000 Tonnen des verseuchten Futtermittelzusatzes beliefert. Die Bundesregierung geht von bis zu 150 000 Tonnen Tierfutter aus, die betroffen sein könnten.

Es ist am Ende auch eine Folge des Skandals um Rinderwahnsinn vor zehn Jahren, dass die Wege des Mischfetts nun so schnell offen liegen. 2002 wurde von Brüssel aus die Lebensmittel-Basisverordnung – Verordnung (EG) Nr. 178/2002 – erlassen, die die jeweiligen Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer allein verantwortlich für die Sicherheit der von ihnen erstellten Produkte macht. Dazu gehört auch die Dokumentation über deren Herkunft und Verbleib, geregelt in Artikel 18, Absatz 3: „Die Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer richten Systeme und Verfahren zur Feststellung der anderen Unternehmen ein, an die ihre Erzeugnisse geliefert worden sind. Diese Informationen sind den zuständigen Behörden auf Aufforderung zur Verfügung zu stellen.“

Im brandenburgischen Storkow, südöstlich von Berlin, hat Amtstierarzt Thomas Maczek schon am Montag eine Warnmeldung bekommen – und einen Geflügelschlachtbetrieb überprüft. Er fand 30 Tonnen tiefgefrorene Hähnchen, bereit zur Auslieferung. Gemästet worden waren sie in Sachsen-Anhalt, dem Bundesland, aus dem auch Ferkelzüchter Böhm der Warnruf ereilte. Möglicherweise wurden auch die Storkower Hähnchen mit dioxinverseuchtem Futter gemästet. Genau weiß das noch niemand. Der Tierarzt hat Proben genommen, Anfang nächster Woche sollen die ausgewertet sein. „Der Rest“, sagt Maczek und meint das Geflügel, das aus der Truhe verkauft wurde, bevor er in Storkow eintraf, „ist längst aufgegessen.“ Noch einmal rund 50 Tonnen Fleisch.

Diejenigen, die am Ende der langen Kette stehen, Verbraucher, Fleischesser, sind einmal mehr misstrauisch geworden. In Berliner Edekamärkten fragen sie, ob das auserwählte Stück Geflügel etwa in Berührung gekommen sei mit einem der beschuldigten und betroffenen Lieferanten, Mastbetriebe. Auch im Biosupermarkt ist der Dioxinskandal ein Thema. Man sorgt sich ohnehin, kauft bewusst. Doch was hilft schon die größte Vorsicht, wenn doch nie mehr als Hoffen bleibt.

Der die Eier sortiert, im Biosupermarkt in Neukölln, seufzt und sagt: „Wo das Hühnerfutter genau herkommt, können wir ja auch nicht nachvollziehen.“

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