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Panorama: Dreckverkrustet steigen sie aus den Höhlen

In England macht eine neue Jugendbewegung von sich reden / Ihr Medienstar ist Swampy, der Sohn eines Bankiers VON SUSANNE OSTWALD, LONDONSie hausen tief unter der Erde in staubigen Höhlen und hoch über der Erde in schwankenden Bäumen.Die Rede ist nicht von einheimischen Waldtieren, sondern von Mitgliedern einer britischen Jugendszene, die seit zwei Jahren zunehmend von sich reden macht und die im wahrsten Sinne des Wortes eine Untergrundbewegung genannt werden kann: Die "Road Protesters".

In England macht eine neue Jugendbewegung von sich reden / Ihr Medienstar ist Swampy, der Sohn eines Bankiers VON SUSANNE OSTWALD, LONDON Sie hausen tief unter der Erde in staubigen Höhlen und hoch über der Erde in schwankenden Bäumen.Die Rede ist nicht von einheimischen Waldtieren, sondern von Mitgliedern einer britischen Jugendszene, die seit zwei Jahren zunehmend von sich reden macht und die im wahrsten Sinne des Wortes eine Untergrundbewegung genannt werden kann: Die "Road Protesters".Unter diesem Namen ist eine Vielzahl von Gruppen militanter Umweltschützer zusammengefaßt, deren Protest sich keineswegs allein gegen den Bau neuer Straßen und Flugpisten richtet, sondern die in "direct actions" auch gegen Tierversuche und -transporte und die traditionelle Fuchsjagd zu Felde ziehen. Stießen diese zumeist ökologisch bewegten Jugendlichen durch ihre Störaktionen und ihren Widerstand gegen die Staatsgewalt anfänglich auf große Ablehnung, so sind sie inzwischen zu Volkshelden und Medienstars avanciert.Ihre Beharrlichkeit und ihr Einfallsreichtum wird im Fernsehen und in den Zeitungen ausgiebig dokumentiert.Selbst in mancher Politikerrede findet ihr Anliegen Anerkennung, und sie können fest mit der Solidarität der Bevölkerung rechnen, die die Jugendlichen mal mit Kuchen versorgt, mal ein heißes Bad gewährt.Letzteres benötigen sie oft in der Tat, nachdem sie tagelang in ihren Höhlen verbracht haben. Die Jugendlichen haben sich ein Gesetz zunutze gemacht, das besagt, daß, wer ein Gelände gewaltlos besetzt und glaubhaft machen kann, dort zu wohnen, nur per Gerichtsbeschluß vertrieben werden kann.Im Schutze dieses Gesetzes sind überall im Land Camps entstanden, in denen die Jugendlichen ein recht abenteuerliches Leben führen.Bis zu 20 Meter tief in das Erdreich graben sie verwinkelte Tunnelgänge und labyrinthische Höhlen, in denen sie sich häuslich einrichten, um auf diese Weise Erdbauarbeiten zu verhindern.Wenn der Räumungstrupp der Baufirma oder die Polizei eintreffen, sind die schweren Stahltüren vor den unterirdischen Gängen, hinter denen sich die Protesters angekettet haben, fest verschlossen.Die Ordnungshüter haben kein leichtes Spiel, ebensowenig wenn sie hoch über der Erde Katz und Maus mit den Jugendlichen spielen müssen, die sich an Seilen von Baum zu Baum schwingen.Manche Beamte finden das nicht minder spannend als die Verfolgten und geben ihnen später Tips, wie sie es ihnen schwerer hätten machen können - für kommende Spielrunden.Im Januar dieses Jahres hat die Räumung einer Höhlenstadt im südwestenglischen Honiton eine ganze Woche gedauert.Der letzte ausgegrabene Erdbewohner mit dem Namen Swampy wurde zum Liebling der Nation und strahlte tagelang dreckverkrustet von allen Titelseiten.Seine Popularität brachte ihm sogar ein 500 000-Pfund-Angebot ein, eine Schallplatte aufzunehmen.Doch das anzunehmen hätte wohl dem hehren Anspruch widersprochen. Am Dienstag begann die Polizei eine der symbolträchtigsten Protestaktionen gewaltsam aufzulösen: das Flywood-Camp.Es ist eines der größten Tunnel- und Baumhäuser-Systeme, mit dem die Erweiterung des Flughafens von Manchester verhindert werden soll.Bis zu 100 Leute sollen sich noch in Baumhäusern und in einem ausgeklügelten Tunnelsystem verbarrikadiert haben.Sie haben angekündigt, noch mehrere Wochen in den Höhlen und auf den Bäumen auszuharren. Es handelt sich bei der neuen Jugendbewegung um eine völlig neue Form des Protests.Experten rätseln, wie das Phänomen einzuordnen ist.Die Jugendlichen sind nicht ausgeprägt politisch, wie die Studentenrevolte in den 60ern.Sie sind auch keine Aussteiger, die eine Landwirtschaftskommune gründen und keine Raver, die gegen das gesetzliche Verbot von Partys unter offenem Himmel rebellieren.Letztere galten als letzte Form der Jugendrevolte.Jetzt sind also Road Protester dran.Sie machen sich jeden Aspekt des Natur- und Tierschutzes zu eigen und rebellieren mit dem überschwenglichen Gestus, moralisch recht zu haben.Die Themen ändern sich dabei schnell.So stören sie mal die Fuchsjagd, mal verhindern sie Kälbertransporte, mal protestieren sie gegen Tierversuche und immer wieder kämpfen sie gegen den Straßenbau.Unter ihnen sind sowohl Söhne von Bankiers, wie der berühmte Swampy, aber auch Studenten und Arbeitslose, die mit ihren Aktionen das Gefühl bekommen, etwas Sinnvolles zu tun.

SUSANNE OSTWALD[LONDON]

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