zum Hauptinhalt

Panorama: Droge Rampenlicht

Die No Angels feiern ihr Comeback mit einem Konzert in Berlin

Vor dem ersten großen Konzert seit der Wiedervereinigung gibt es ein kurzes Winken: Für die Fans, die am Freitagabend auf dem Viva-Gelände am Osthafen in Friedrichshain vergebens auf Einlass warten, weil das Fernsehstudio nur ein paar hundert geladenen Gästen Platz bietet. Auf ihrem Weg zur Bühne huschen Sandy Mölling, Lucy Diakovska, Nadja Benaissa und Jessica Wahls durch das gläserne Foyer des Hauses, winken den Wartenden mit zuckersüßem Lächeln zu und stehen wenige Augenblicke später im Rampenlicht. Es ist das Comeback der No Angels, Deutschlands erster und erfolgreichster Casting-Band.

„Destiny“ heißt das Album, das die vier Sängerinnen aufgenommen haben und das seit Freitag in den Läden steht. Es ist eine solide Pop-Platte geworden, gut produziert, schnörkellos. Aber vor allem: nicht larmoyant. Nach allem, was vor dreieinhalb Jahren passierte, hätte man das ja durchaus erwarten können. Als die No Angels ihre Trennung bekannt gaben, klagten sie über den dauernden Stress im Leben eines Pop-Stars und das Gefühl des Ausgebranntseins. Davon ist beim Konzert am Freitagabend keine Rede mehr. Die Show eröffnen die vier mit der epischen Pop-Hymne „Goodbye to Yesterday“, der aktuellen Single. Ein kurzes Danke an die Vergangenheit, um dann den Blick nach vorne zu richten. Neben Songs aus dem neuen Album bringen die Sängerinnen alte Hits. „Daylight in your Eyes“, „Rivers of Joy“ – zweifelsfrei wissen sie, was sie ihrem Publikum schuldig sind.

Offen bleibt bei all dem eine Frage: Warum das Comeback? Wieso gerade jetzt? Im aktuellen Pop-Geschehen gibt es derzeit eine Menge sogenannter Reunions. So rauften sich nach zehn Jahren im vergangenen Sommer Take That zusammen und veröffentlichten auch ohne Robbie Williams das Album „Beautiful World“. Nach mehr als drei Jahrzehnten ließ sich Punkrocker Iggy Pop mit seinen Stooges nun ebenfalls hinreißen. Und für Live-Auftritte werden bald auch wieder The Police und die Hip-Hop-Truppe Wu Tang Clan auf der Bühne stehen. Vom angekündigten Comeback von No Doubt oder den Rückkehrspekulationen um die Spice Girls ganz zu schweigen. Für all diese Künstler dürfte Geld nicht der einzige Grund sein, einstige Unstimmigkeiten zu vergessen. Finanziell haben sie längst ausgesorgt. Auch die No Angels dürften nach etlichen Nummer-eins-Hits ein angenehmeres Leben geführt haben als vor ihrer Entdeckung. Da arbeitete Sandy als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft. Offensichtlich ist es der Ruhm, der süchtig macht wie eine Droge: Sobald die Wirkung nachlässt, leiden die Künstler unter Entzugserscheinungen.

No Angel Lucy gibt das natürlich nicht zu. Sie sagt: „Es hat sich einfach richtig angefühlt, wieder zusammenzukommen.“ Diese Antwort mag man der 30-Jährigen nicht recht abnehmen. Dafür haben sie und ihre Kolleginnen in der Vergangenheit zu oft betont, wie stolz sie die Selbstverwirklichung als Solokünstlerinnen gemacht habe. Die Wahrheit ist eine andere: Die Platten von Lucy, Sandy, Jessica und Vanessa Petruo, die sich als Einzige dem Comeback verweigert hat, verkauften sich nur mäßig. „Die Mädchen werden eben immer nur als No Angels wahrgenommen und nicht als Solokünstlerinnen“, sagt ein Vertreter ihrer Plattenfirma. Insofern hat die Gruppe nichts zu verlieren. Das zeigt auch das Beispiel von Take That. Es ist noch nicht lang her, da spielte Sänger Mark Owen mit seinem Solorepertoire in kleinen Clubs vor ein paar hundert Gästen. Nun stehen er und seine Mitstreiter wieder oben in den Charts, füllen große Hallen. Sogar der strauchelnde Robbie Williams will angeblich wieder dabei sein. Ob die No Angels auf einen ähnlichen Sinneswandel bei Ex-Mitglied Vanessa hoffen dürfen, ist allerdings offen.

Zur Startseite