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Zwei Frauen, die Ebola überlebt haben, lassen sich vor einer Klinik in Liberia fotografieren. Überlebende haben große Probleme in ihren Dörfern oder Nachbarschaften wieder aufgenommen zu werden. Denn die Angst vor einer Ansteckung ist so groß, dass sie fast überall gemieden werden.

© Reuters

Ebola in Westafrika: Eine Krise ohne Vorbild

In Liberia breitet sich das Ebola-Virus weiter aus. Die Krise ist noch lange nicht vorbei. Nur Nigeria ist wohl über den Berg. Helfer und UN kritisieren die langsame Reaktion des Westens. Noch immer fließt zu wenig Geld. Noch immer gibt es zu wenige Behandlungszentren.

Woher mag Ellen Johnson Sirleaf vor einer Woche ihren Optimismus genommen haben, als die Präsidentin Liberias davon sprach, dass die Ebola-Krise langsam abflaue? Die Weltgesundheitsorganisation meldet allein für Liberia 2484 Tote bis zum 17. Oktober. Einer der Gründe dafür könnte sein, dass die Kranken noch immer aus Angst nicht in die Behandlungszentren kommen, jedenfalls dort, wo es inzwischen mehr Kapazitäten gibt. So berichtet die Ärzteorganisation Ärzte ohne Grenzen, dass sie ihr Behandlungszentrum in der liberianischen Hauptstadt Monrovia auf 250 Betten vergrößert habe, aber nicht mehr Kranke aufnehme. Anderenorts müssen allerdings noch immer viele Kranke abgewiesen werden, weil sie keine freien Betten in den Behandlungszentren finden.

Die Kinderhilfsorganisation Save the Children berichtet, dass von den von der UN-Kinderhilfsorganisation Unicef geschätzten 3700 Ebola-Waisen allein 2000 in Liberia zu überleben versuchen. Amy Richmond, die vor kurzem in Liberia war, berichtet beispielsweise von einem achtjährigen Jungen, den Mitarbeiter von Save the Children in einer kleinen Hütte fanden – umgeben von den Leichen seiner Familie. Die Organisation versucht, Familienmitglieder zu finden, die bereit sind, überlebende Ebola-Waisen aufzunehmen. Aber viele haben so große Angst vor Ansteckung, dass sie die Kinder allein lassen. Die Organisation baut derzeit in mehreren Regionen Auffangzentren, wo sich Menschen testen lassen können, die befürchten sich angesteckt zu haben. Dort können sie auch isoliert werden, bis in einem Behandlungszentrum ein Bett frei wird.

"Die Zivilgesellschaft in Liberia ist stark"

Saran Kaba Jones, Gründerin von Face, einer liberianischen Organisation, die sich um den Ausbau der Wasser- und Sanitärversorgung bemüht, sagte am Donnerstag bei einer Konferenz in Berlin, dass es allein der Zivilgesellschaft zu verdanken sei, dass in ihrem Land überhaupt noch etwas funktioniere. Nach dem Zusammenbruch des Gesundheitswesens sind es Gruppen wie Face oder andere Nichtregierungsorganisationen, die Aufklärung betreiben, Seife und Chloridlösungen zur Desinfektion verteilen oder Menschen in Quarantäne mit Lebensmitteln versorgen. „Die Zivilgesellschaft in Liberia ist stark, robust und dynamisch“, sagte sie. „Sie muss unterstützt werden.“ Jones, die 2008 aus den USA nach Liberia zurückgekehrt war, kritisierte, dass sich der Westen viel zu spät um Ebola gekümmert habe, und zwar erst, „als das Virus näher an ihrem Zuhause zugeschlagen hat“.
Das sieht Kofi Annan genauso. Lange habe die Welt fast tatenlos zugesehen, wie Westafrika gegen die Epidemie gekämpft habe, moniert der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), der aus dem westafrikanischen Ghana stammt. Aber erst jetzt, wo das Virus vereinzelt auf Europa und Nordamerika übergreife, sei man dort reichlich spät aufgewacht, sagte Annan dem britischen Sender BBC.

Nur Kolumbien hat in den UN-Fonds eingezahlt

Bis zum 17. Oktober sind 4546 Menschen an der Seuche gestorben, berichtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Nach Einschätzung der WHO in Genf dürfte die Ausbreitung des tödlichen Virus noch Monate anhalten und die Zahl der Toten sich womöglich alle vier Wochen verdoppeln. „Wir sind dabei, das Rennen zu verlieren“, warnt Anthony Banbury, der UN-Ebola-Beauftragte. Symptomatisch für die fehlende Dringlichkeit für die internationale Gemeinschaft sind die Zahlungen in einen von den UN eingerichteten Sonderfonds zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie in Westafrika. Nach UN-Angaben sind diese meilenweit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Statt einer Milliarde Dollar, wie sie die UN erbeten hatte, seien bisher nur 100 000 Dollar eingegangen – eingezahlt von Kolumbien.

Ärzte kritisieren langsame Hilfe

Wie Annan hat auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen die zögerliche Haltung der internationalen Gemeinschaft kritisiert. Ein schnelles, entschiedenes Handeln hätte die Epidemie eingrenzen können, sagte Tankred Stöbe, Chef der deutschen Sektion, der „Frankfurter Rundschau“. Stöbe kritisierte neben der EU auch die WHO, die im März nicht auf Warnungen vor der Ausbreitung des Virus reagiert habe. Im Juni sei die Epidemie außer Kontrolle gewesen, ohne dass die WHO reagiert hätte. Inzwischen haben die Ärzte die EU-Staaten aufgerufen, wie schon die USA Soldaten in die betroffene Regionen zu schicken, um eine medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. „Bei der Bekämpfung der Ebola-Epidemie werden alle Kapazitäten benötigt, inklusive des Militärs“, sagte Stöbe.

Im Zentrum der Ebola-Krise.
Im Zentrum der Ebola-Krise.

© Gitta Pieper-Meyer

Die Ärzte ohne Grenzen betreiben in den drei Krisenländern sechs Ebola-Zentren mit insgesamt 600 Betten. 276 internationale Ärzte und Pfleger arbeiten dort mit 2977 lokalen Fachleuten zusammen. Insgesamt 2700 Ebola-Kranke haben diese Teams betreut. Knapp 1000 von ihnen haben die Krankheit überlebt. Die Ärzte berichten, dass 21 ihrer Mitarbeiter sich selbst mit dem Virus infiziert haben, von denen sich sechs wieder erholt haben. Die Ärzte-Organisation allein hat nach eigenen Angaben bisher mehr als 46 Millionen Euro in die Ebola-Hilfe investiert.

Nigeria ist plötzlich Vorbild

Das Problem könnte noch größer werden, befürchten Gesundheitsexperten. Besonders Mali, Guinea-Bissau, Senegal und die Elfenbeinküste, die direkt an die Ebola-Gebiete angrenzen, seien nicht genug vorbereitet, glaubt Isabelle Nuttall, WHO-Direktorin für weltweite Notfälle. „Diese Länder müssen erheblich besser gerüstet sein“, fordert sie. In elf weiteren afrikanischen Staaten werden von der WHO zudem verstärkt Nothelfer ausgebildet.
Als Vorbild könnte Nigeria dienen. Allen Befürchtungen zum Trotz hat ausgerechnet der mit 170 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Staat Afrikas dem Westen ein Anschauungsbeispiel dafür geliefert, wie die Seuche eingedämmt werden kann. In wenigen Tagen könnte der schlecht regierte Ölstaat nach fast sechs Wochen ohne Neuansteckung von der WHO als Ebola-frei erklärt werden. Dass dies möglich war, hat Nigeria einer engen Kooperation zwischen der Regierung des Bundesstaates Lagos, der Zentralregierung in Abuja, des Privatsektors und internationaler Hilfsorganisationen zu verdanken wie es sie so noch nie gegeben hat. Auch wenn nigerianische Journalisten, die sich in Deutschland gerade über Wahlberichterstattung informieren, witzeln: „Das war göttliche Intervention.“
Wie zuletzt im amerikanischen Texas beruhte auch der Ausbruch in Nigeria auf der Einreise eines einzigen Reisenden, der am 20. Juli von Liberia aus über den Flughafen Lagos in das Land kam. Sofort nach der Diagnose wurden, auch mit Hilfe der Telefonanrufe des Infizierten alle Personen ausfindig gemacht, mit denen dieser zuvor in Kontakt stand. Danach wurde ein striktes Überwachungsregime angeordnet – und befolgt. Insgesamt 900 Menschen sind ausfindig gemacht und überwacht worden. Dabei haben die Behörden nach Informationen der nigerianischen Zeitung „The Vanguard“ auch auf die Dienste der Geheimdienste zurückgegriffen, um Telefonkontakte auszuwerten. Die von den insgesamt 20 Ebola-Infizierten – acht starben – benutzen Unterkünfte wurden komplett desinfiziert.

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