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Ehrenmord: Gesteinigt – mitten in Italien

Nach dem jüngsten "Ehrenmord" rechnen Experten mit zunehmenden Konflikten in Einwandererfamilien, denn in Italien leben etwa 4,5 Millionen registrierte und dazu etwa eine Million weitere illegale Ausländer.

Eine pakistanische Familie mit fünf Kindern. Seit Jahren leben sie in der Nähe der norditalienischen Essigstadt Modena. Der Vater ist Schweißer; der älteste Sohn arbeitet in einer chemischen Reinigung. „Wir kennen sie alle“, sagt die Bürgermeisterin; die Familie gilt als halbwegs integriert, als unauffällig.

Bis zum vergangenen Wochenende. Da hören Nachbarn aus dem Hinterhof des Hauses zuerst einen Streit, dann „fürchterliche Schreie“. Den Rekonstruktionen nach ist Folgendes passiert: Die 20-jährige Nosheen, die Älteste von fünf Geschwistern, sollte mit einem Cousin verheiratet werden, den sie nicht mochte. Sie besucht eine technische Fachschule, sie will „italienisch“ leben.

Der familiäre Streit darüber schwelt offenbar schon länger. Doch am vergangenen Sonntag ist er nun eskaliert. Nosheens 19-jähriger Bruder geht auf die große Schwester mit einer Eisenstange los; die Mutter will Nosheen in Schutz nehmen – da packt der Vater einen zufällig herumliegenden Ziegelstein und schlägt ihn seiner Frau gegen die Schläfe. Sie stirbt sofort.

Als die Carabinieri eintreffen, haben die beiden Männer schon die Waschmaschine angemacht, um ihre blutverschmierten Kleider zu säubern. Nosheen selbst, schwer an Kopf und Armen verletzt, überlebt; aber erst am folgenden Tag melden die Ärzte sie als gerettet.

Es ist bereits der dritte „Ehrenmord“ dieser Art, der Italien aufschreckt. Im August 2006 wurde aus ganz ähnlichen Gründen eine andere 20-jährige Pakistanerin von ihrem Vater und männlichen Verwandten ermordet und im Hausgarten verscharrt; vor einem Jahr traf es auf dieselbe Weise eine 18-jährige Marokkanerin.

Das Einzige, was den „Fall Nosheen“ von anderen unterscheidet, ist, dass sich die Mutter nicht auf die Seite ihres Mannes, sondern auf die Seite der Tochter gestellt hat. Das überrascht die Einwanderungsexperten, die sich nach der Tat zu Wort gemeldet haben. Gleichwohl rechnet zum Beispiel die italienische Parlamentsabgeordnete Souad Sbai, eine gebürtige Marokkanerin, mit weiteren „kulturellen Familienkonflikten“ oder sogar „extremen, untolerierbaren Barbareien“ dieser Art. „Die zweite Einwanderergeneration, komplett italienisch aufgewachsen, wird jetzt volljährig und fordert ihre Rechte ein. Das betrifft sowohl Jungen als als auch Mädchen, aber die Mädchen sind verwundbarer, weil es bei ihnen immer um die ,Ehre der Familie‘ geht“, sagt Souad Sbai.

Gleichzeitig mit den Meldungen über den Anschlag von Modena geht die Nachricht durch Italien, dass ein Tunesier in der Nähe von Pordenone seine Frau zur vollständigen Verschleierung gezwungen hat, damit niemand die Spuren der Gewalt sah, die der Mann an ihr verübt hatte. Dreimal musste die Frau im Krankenhaus behandelt werden; sie wagte es allerdings nicht, ihren – per Fernheirat – angetrauten Mann anzuzeigen. Erst über eine Frauenhilfsorganisation ging sie zur Polizei.

In Italien leben etwa 4,5 Millionen registrierte und wahrscheinlich eine Million illegaler Ausländer, die meisten im Norden des Landes, wo es die meisten Arbeitsmöglichkeiten gibt. Etwa 600 000 der registrierten Einwanderer kommen von der gegenüberliegenden Küste des Mittelmeers, also aus den Maghrebstaaten; pakistanische Zuwanderer zählen mit etwa 60 000 zu den kleinen Minderheiten.

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