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Winterfrust. Auf der Londoner Ringautobahn M 25 brachte der Schneefall den Verkehr in Kent zeitweilige zum Erliegen (links). Am Londoner Flughafen Gatwick ging für Passagiere am Donnerstag nichts mehr – der Airport blieb geschlossen (oben). Wer in Paris den Eurostar-Zug nehmen wollte, musste sich unterdessen auf lange Wartezeiten gefasst machen. Fotos: Reuters

© Reuters

Panorama: „Ein absoluter Albtraum“

In Großbritannien mussten 300 Pendler nachts in einem eisigen Zug ausharren / Schneechaos in weiten Teilen Europas

Schnee und Eis haben wieder einmal das Leben von Millionen Briten aus dem Tritt gebracht. 5000 Schulen waren am Donnerstag geschlossen. Straßen sind unpassierbar, überall haben Fahrer ihre Autos einfach am Straßenrand stehen lassen. Zwar behauptete die Straßenbehörde „Highway Agency“, dass die Hauptverbindungen frei seien, aber am Autobahndreieck der Londoner Ringautobahn M25 mit der M20 standen in der Nacht zum Mittwoch 400 Lastwagen und Hunderte von Autos eingekeilt in der Kälte. „Das ist für die Fahrer unakzeptabel und gefährlich“, wetterte der Präsident des Automobilclubs AA, Edmund King.

In Kent mussten 300 Pendler die Nacht in einem eisigen Zug verbringen, der im Schnee steckte. „Ein absoluter Albtraum. Aber morgens um 4 Uhr bekamen wir etwas zu essen. Das war gut“, berichtete Rebecca Forsey der BBC. Weniger gelassen reagierte der Verband der Zugpassagiere: Die Lage sei „inakzeptabel und beunruhigend“, erklärten die Passagier-Vertreter. Zudem fehlten Warnungen, Ansagen, Informationen im Internet und Notfahrpläne.

Flughäfen wie Edinburgh und Londons zweitgrößter Flughafen Gatwick waren am Donnerstag den zweiten Tag in Folge stillgelegt. Nach Angaben der Flughafenleitung sei an eine Öffnung frühestens an diesem Freitag zu denken, obwohl die Mannschaften ununterbrochen mit dem Schneeräumen befasst seien.

Als sei das Chaos nach sechs Tagen arktischer Kälte nicht schon groß genug, befasste sich das Unterhaus am Donnerstag in einer Dringlichkeitsdebatte mit dem Wetter. Notfalls werde er noch am Abend das Notstandskabinett „Cobra“ einberufen, das sonst eher bei Terroranschlägen zusammentritt, versprach Verkehrsminister Philip Hammond.

Auch die BBC-Meteorologin zollte dem Wetter Respekt. Sie sagte für die Nacht zum heutigen Freitag neue Schneefälle und „beeindruckende Kälte“ voraus. Am Kältepol Altnaharra in den schottischen Highlands wurden minus 21 Grad gemessen – seit 222 Jahren war es nicht mehr zu einem so frühen Zeitpunkt dermaßen kalt. Während die Temperaturen sanken, setzte der Versorger „British Gas“ die Heizkostenpreise um sieben Prozentpunkte hoch.

Überall schritten Bürger zur Selbsthilfe. Im „Ruheständlerdorf“ Heslington in Yorkshire organisierten die rüstigeren Rentner den Einkaufsdienst für eingeschneite Nachbarn. In Newcastle rückten Freiwillige des Roten Kreuzes aus, um den Ambulanzen zu helfen. In Gatesway wurden Hebammen von einem Bauern mit dem Traktor zur Arbeit ins Krankenhaus gefahren.

„Störungen sind bei solchen extremen Wetterbedingungen unvermeidbar, aber der Mangel an Informationen ist unentschuldbar“, kritisierte Verkehrsminister Hammond. Die Labour-Opposition wollte ihn für das Chaos mitverantwortlich machen – so wie sich die Labour-Partei im Jahr zuvor den Mangel an Streusalz vorwerfen lassen musste. Nun ist Streusalz da, aber es fehlt an der Logistik, um es rechtzeitig auszustreuen. Bauern, die sich für den Einsatz mit ihren Traktoren angeboten hatten, durften wegen fehlender Versicherung nicht helfen.

„Länder in Skandinavien oder Europa können jedes Jahr mit zwei, drei Wintermonaten rechnen und sich darauf einstellen. Bei uns sind diese Kosten nicht zu rechtfertigen“, klagte Verkehrsminister Hammond. Er hat den Vorsitzenden des Verkehrsinstituts RAC Foundation, David Quarmby, mit einer schnellen Untersuchung beauftragt. Die Manöverkritik soll noch vor Weihnachten vorliegen, vielleicht kann man noch etwas für den Rest des Winters lernen. Aber Quarmby warnte vor zu großen Hoffnungen: „In den USA oder Skandinavien wissen sie oft eine Woche vorher genau, wie das Wetter wird. Bei uns das Wetter zu unvorhersehbar.“

FRANKREICH

Gestrichene Flüge, annullierte Zugverbindungen, blockierte Lastwagen, Ausfälle im Nahverkehr, steckengebliebene Autofahrer, geschlossene Kindergärten und Schulen: Der frühe Wintereinbruch führte auch am Donnerstag mit Schnee, Glatteis und Temperaturen von bis zu minus zwölf Grad in Frankreich zu teilweise chaotischen Verhältnissen. Für etwa die Hälfte der 95 Departements hatte der Wetterdienst Météo France am Donnerstag die zweithöchste Alarmstufe Orange ausgerufen. Von der Bretagne im Westen über die Normandie bis zur Hauptstadtregion Ile de France war in der Nacht zuvor Schnee gefallen, weitere Schneefälle wurden für den Abend in Paris und den Regionen Centre und Bourgogne erwartet.

Im Bahnverkehr wurden 20 Prozent der Hochgeschwindigkeitszüge TGV gestrichen, vornehmlich Morgen- und Abendverbindungen zwischen Paris und Lyon sowie Marseille. Von den Eurostar-Zügen zwischen Paris und London fiel jeder zweite aus. Die noch fahrenden Eurostar-Züge hatten zum Teil mehr als einstündige Verspätungen. Am Pariser Flughafen Roissy wurde jeder vierte Flug annulliert, in Orly jeder zehnte, in Lyon jeder dritte. Die Lage auf den zugeschneiten Hauptverkehrsachsen war am Donnerstag nach den chaotischen Zuständen des Vortags leicht verbessert. Es kam jedoch immer noch zu langen Staus. In der Bretagne gab es ein Verkehrsverbot für Lkw über 7,5 Tonnen. In Bordeaux wurde der Pont d’Aquitaine über die Gironde gesperrt.

Sorge bereitet den Franzosen die Elektrizitätsversorgung. Da 70 Prozent der französischen Haushalte vornehmlich mit Atomstrom heizen, nähert sich der Verbrauch in Spitzenzeiten bei fallenden Temperaturen mit 91 000 Megawatt, wie dies am Mittwoch der Fall war, dem Rekordniveau vom Februar. Damals wurden 93 000 Megawatt an einem Tag verbraucht. Um Ausfälle zu vermeiden, wurde die thermische und hydraulische Produktion gesteigert. Zusätzlich waren Stromeinfuhren aus Belgien und Großbritannien vorgesehen. Nach dem Wintereinbruch war zudem ein erstes Todesopfer zu beklagen: Bei Paris erfror ein Obdachloser. Hans-Hagen Bremer

BELGIEN

Heftige Schneefälle haben am Donnerstagmorgen in ganz Belgien zu 500 Kilometern Stau auf den Autobahnen und Hauptstraßen des Landes geführt. Nach Angaben des Touring-Automobilclubs waren vor allem im Großraum Brüssel viele wichtige Straßen nicht vollständig geräumt, andere überhaupt nicht.

Bereits am Mittwochabend waren in der Hauptstadt Straßenbahnen und Busse auf den innerstädtischen Straßen im Schnee stecken geblieben. Der Betrieb auf dem Flughafen Zaventem, der über drei Start- und Landebahnen verfügt, lief am Donnerstag noch, doch rechnete die Flughafengesellschaft mit Verspätungen im Laufe des Tages. dpa

ITALIEN

In Norditalien haben heftige Schneefälle die Gefahr von Lawinen vor allem in Südtirol und den Dolomiten um Belluno erhöht. Die Meteorologen warnten am Donnerstag, das Risiko für Lawinen werde auch in den kommenden Tagen bestehen bleiben. Momentan sei die Stufe 3 von insgesamt 5 erreicht. Es seien weitere Schneefälle zu erwarten. Am Wochenende beginnt in Italien offiziell die Wintersportsaison.

Heftige Regenfälle ließen den Tiber in der Hauptstadt Rom stark anschwellen. In Venedig stieg das Hochwasser am Morgen auf 117 Zentimeter über Normal und setzte damit etwa ein Fünftel der Lagunenstadt unter Wasser. Auf der Piazza San Marco, dem niedrigsten Punkt im Stadtzentrum, erreichte der Wasserstand eine Höhe von 35 Zentimetern. Das von den Venezianern „Acqua Alta“ genannte Phänomen ist in dieser Jahreszeit nicht ungewöhnlich. dpa

TSCHECHIEN

Der Prager Flughafen, der am stärksten frequentierte Flughafen Zentraleuropas, ist wegen heftiger Schneefälle mehrere Stunden gesperrt worden. Der Flugbetrieb sei in der Nacht zu Donnerstag sechs Stunden lang eingestellt worden, rund 40 Flüge seien annulliert worden, sagte Flughafensprecherin Michaela Lagronova der Nachrichtenagentur AFP. Während der Sperrung bis 5 Uhr morgens MEZ sei es gelungen, die Rollbahnen vom Schnee zu befreien, so dass bereits mehrere Dutzend Maschinen wieder hätten starten und landen können. Wegen des Winterwetters in anderen Ländern fielen dennoch mehrere Flüge aus, wie Lagronova weiter sagte. In der tschechischen Hauptstadt schneie es aber derzeit nicht mehr, „unsere Prognose ist relativ positiv“. AFP

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