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Panorama: "Ein Fuß auf dem Mond": Solange der Pfeil fliegt

Der Ruhm gehört, wie man weiß, zu den vergänglichen Dingen des Lebens. Am Ende bleibt von ihm vielleicht nur ein gefrorener Augenblick, die Fotografie eines Astronautenfußes im Portefeuille eines einsamen alten Mannes, ganz so, wie in der Erzählung der italienischen Jungautorin Paola Capriolo.

Der Ruhm gehört, wie man weiß, zu den vergänglichen Dingen des Lebens. Am Ende bleibt von ihm vielleicht nur ein gefrorener Augenblick, die Fotografie eines Astronautenfußes im Portefeuille eines einsamen alten Mannes, ganz so, wie in der Erzählung der italienischen Jungautorin Paola Capriolo.

Dabei ist dieser Mann tatsächlich einmal auf dem Mond gewesen. Die ganze Welt hat ihm über Satellit zugesehen, wie er schwerelos übers kalte Mondgestein ging. Doch als er jetzt, Jahrzehnte später, in einer ziemlich gewöhnlichen Kneipe davon erzählen will, hört ihm keiner wirklich zu. Die Aktualität einer Fußball-Liveübertragung im Fernsehen siegt über den längst verblassten Ruhm des ein wenig wunderlichen Alten, dessen Zeit anscheinend vorbei ist.

Es ist ein Vorzug der Literatur, dass sie historische Großereignisse - wie die amerikanische Landung auf dem Mond, die Capriolo den Hintergrund für ihre Geschichte geliefert haben mag - auf ihren existenziellen Kern herabschmelzen kann. Das Allzumenschliche hinter der Übermacht des Ereignisses wird sichtbar und die Literatur hat (wieder einmal) ihre Chancen genutzt.

Aber was ist das eigentlich, die Zeit? "Wenn mich jemand fragt, so weiß ich es; will ich es aber jemandem auf seine Frage hin erklären, so weiß ich es nicht." Sagt Augustinus.

Die Anthologie des dänischen Verlegers Claus Clausen, "Der Fuß auf dem Mond", ist gewiss nicht die erste und wird nicht die letzte Sammlung zum Thema sein, denn solange der Pfeil fliegt, wird man auch hinter die Eigenart seines Flugs zu kommen versuchen.

Danach, in welche Richtung er fliegt, fragt der Schwede Göran Rosenberg und stellt zwei gegensätzliche Zeitbegriffe zur Diskussion: die erfahrene, also gelebte Zeit; und die theoretische, reversible Zeit, etwa der Physik, die bei gleichem Ergebnis ebenso vorwärts wie rückwärts laufen kann. Leben wir in einer Täuschung? Oder irrt gar die Wissenschaft? Niels Bohr hat darauf bekanntlich geantwortet, dass die Wissenschaft sich nicht mit der Frage zu beschäftigen habe, wie die Welt ist, sondern damit, was wir über sie sagen können. Rosenberg wünscht sich dagegen, beide Zeitbegriffe könnten zueinander finden, damit es vielleicht einmal "bis zu einem gewissen Grad gelingt, den Fluss der Zeit aus einem gefühlsmäßigen Erlebnis in eine physikalische Realität zu verwandeln."

Dass man der Zeit auch mit den Mitteln der historisch-dokumentarischen Episode auf den Grund gehen kann, zeigt uns der Historiker Timothy Garton Ash am Beispiel zweier Frauen aus Prag, der Dissidentin Marta Kubisova die sich nach einem Berufsverbot mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten musste, und der populären Sängerin Helena Vondrackova, die nach den 68er Ereignissen mit dem tschechichen Regime kollaborierte. "Zahlt sich Tugend aus?", lautet Garton Ashs Frage, die sich der Leser aber selbst beantworten muss. Als Chronist ist auch Cees Nooteboom (natürlich in Berlin) unterwegs, und sogar bis an den Polarkreis folgt der Norweger Kjartan Flogstad einer Skulptur des Bildhauers Luciano Fabro.

Eher immun gegen die Zeitläufe zeigt sich dagegen der Held in Tibor Fischers erfrischender Satire "Der Buchmampfer", der vor den mit Nippes-Geschenken dekorierten Aufwartungen seiner Geliebten in ein Nomadendasein als bücherfressendes Monster flieht, sich nachts in Buchhandlungen einschließen lässt und dabei zu der Erkenntnis gelangt, dass Bücher nicht aus Papier, sondern aus Hoffnung bestehen.

Von echten Lesererfahrungen erzählen Alain de Botton, den die Literatur sogar zu trösten vermag, wenn es "mit der Liebe nicht klappt", und die Kubanerin Mayra Montero, der ein kopulierender Affe in einem Roman Alfred de Mussets einmal die Schamröte ins Gesicht trieb und die heute, in den Augen von Affen im Zoo, sehen will, was sie damals, mit Zwölf, vermutlich noch nicht so sah: "eine dunkle melancholische Sinnlichkeit".

Einen heute leider etwas aus der Mode gekommener Pakt zwischen Millionär und Künstler beschwört der schwedische Romancier Jonas Gardell, der zudem ein glühender Verehrer der Renaissance ist. Vermögensgründer, so sagt er, sind oft geizig und kleinlich. Eher könne man in dieser Angelegenheit auf die Söhne oder Enkel der Reichen rechnen, denn: "Mit etwas Glück wird Bill Gates vielleicht einen Taugenichts von Enkel bekommen, der das Geld für den richtigen Zweck ausgibt.

Volker Sielaff

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