zum Hauptinhalt
Ein Jahr danach. Teilnehmer der Loveparade sind am Sonntag noch einmal durch den Unglückstunnel gegangen. Foto: dpa

© dpa

Ein Jahr nach dem Unglück: Angehörige und Duisburger gedenken der Loveparade-Opfer

Ein Jahr nach der Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg haben Angehörige und Duisburger am Sonntag gemeinsam der Opfer gedacht. Rund 7000 Menschen nahmen an der Trauerfeier in einem Fußballstadion teil.

Es passiert nicht oft, dass es vollkommen still wird, wenn Menschen sich in einem Fußballstadion versammeln. Um zehn Minuten vor vier Uhr am Sonntag aber ist kein Laut zu hören im Stadion des MSV Duisburg. Die Menschen gedenken dort, wo sonst gebrüllt und gesungen wird, der Toten. Den 21 Toten der Loveparade, die zur gleichen Tageszeit vor genau einem Jahr hier in Duisburg bei einer Massenpanik starben. Nur das Prasseln des Regens auf dem Stadiondach ist zu hören während der Schweigeminute. „Der Himmel weint mit uns. Danke, dass Ihr da seid“, sagt Pfarrer Uwe Rieske.

Es ist einer der berührenden Höhepunkte der Gedenkfeier mit insgesamt rund 7000 Teilnehmern, darunter knapp 1200 Angehörige der Opfer, Verletzte, Traumatisierte. Letztere sitzen in den Logenplätzen auf der einen Seite des Stadions, ihnen gegenüber, auf der anderen Seite der Spielfeldes, haben sich die trauernden Duisburger versammelt.

Was kann eine solche Gedenkfeier leisten, für die Opfer und Hinterbliebenen, aber auch für die Bürger Duisburgs, einer Stadt, die über Wochen die Negativschlagzeilen bestimmte? Das ist die Frage, die über diesem Nachmittag steht. Diejenigen, die das Wort ergreifen, geben darauf alle die gleiche Antwort: Dass nichts den Schmerz der Hinterbliebenen wettmachen kann, aber das „es hilft zu wissen, dass man nicht alleine ist“. So sagt es Petra Bosse-Huber, Vizepräses der evangelischen Kirche im Rheinland. Die Italienerin Nadia Zanacchi, die ihre 21-jährige Tochter durch die Massenpanik verloren hat, sagt, das Mitgefühl der Duisburger helfe, „Tag für Tag weiterzumachen“. Es ist ein Signal der Verbundenheit und der Gemeinsamkeit in der Trauer, das von dieser Feier ausgeht. Ein Signal, dass sichtlich allen Betroffenen gut tut, den Opfern selbst wie den Duisburgern.

Gemeinsamkeit zeigen – das ist es auch, weswegen Roswitha Rieger hier ist. Die 56-jährige Duisburgerin sagt, sie fühle sich wie alle „mit der Katastrophe sehr verbunden“. Die Bürger müssten „das leisten, was die Stadtführung nicht geschafft hat, nämlich die Opfer unterstützen“. Und ihre Freundin, die sie zur Trauerfeier begleitet, berichtet von ihrem „Schamgefühl den Opfern gegenüber, dass das in Duisburg passiert ist, und dass sich unsere Politiker so unwürdig verhalten haben“. Auch Duisburg selbst ist ein Opfer der Loveparade-Katastrophe. Einen beträchtlichen Anteil daran, so sehen es viele, hat die Stadtspitze um Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU). Er hat fast ein Jahr keine politische Verantwortung für das Unglück in seiner Stadt übernommen, ist nicht zurückgetreten. Dabei gilt es als sicher, dass im Vorfeld und während der Loveparade selbst in der Stadtverwaltung viele der Fehler begangen wurden, die zur Katastrophe führten. Gegen elf Bedienstete Sauerlands ermittelt die Staatsanwaltschaft. Doch der Oberbürgermeister wehrt sich, gerade läuft eine neue Abwahl-Initiative gegen ihn.

Auch heute, am Tag der Trauer, steht sein Verhalten und das der Veranstalter selbst in der Kritik. „Die Jugendlichen sind von der unzulänglich funktionierenden Maschinerie der Veranstalter vernichtet worden“, findet Nadia Zanacchi, „an einem solchen Ort hätte niemals ein Konzert stattfinden dürfen.“ Sie und die anderen Hinterbliebenen erwarteten von den Verantwortlichen endlich „eine ehrlich Geste des Respekts für unsere Toten Kinder“. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nimmt das auf und widmet ihre Fürbitte denjenigen, „die Fehler gemacht haben, dass sie die Kraft finden, diese einzugestehen und um Vergebung zu bitten. Es braucht Wahrheit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit, damit Trost und Versöhnung eine Chance haben“.

Adolf Sauerland, an den sich diese Worte wohl richten, ist nicht selbst im Stadion. Er ist auf Bitten der Angehörigen nicht zur Gedenkfeier gekommen. Auch das ein Zeichen dafür, wie sehr er nach der Katastrophe zur unerwünschten Person in seiner eigenen Stadt geworden ist. Organisiert hat die Veranstaltung dann auch nicht die Stadt, sondern die Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen zusammen mit den Landeskirchen.

Im Stadion sind es vor allem die Betroffenen, deren kurze Reden das Publikum bewegen. Die Funktionäre – fast das komplette nordrhein-westfälische Kabinett ist angereist, auch der CDU-Landesvorsitzende Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) ist da – tun gut daran, ihnen die Bühne zu überlassen. Zum Beispiel der jungen Ella Seifer, die die Massenpanik schwer verletzt überlebte. Sie schildert unter Tränen ihre Angst im Gedränge, ihre Hilflosigkeit, als sie begriff „dass niemand kommen würde um mir zu helfen, dass hier jeder um sein Leben kämpfte“. Da fließen längst auch bei vielen Besuchern im Stadion die Tränen.

Danach fahren Sonderbusse die Angehörigen und Verletzten in den Unglückstunnel, der bis zum Abend für sie reserviert ist. Vor dem Stadion steht derweil ein sichtlich bewegter Mann und sagt: „Ich hatte die ganze Zeit Tränen in den Augen.“ Der 52-jährige Bernd Kralemann war mit seinem Sohn selbst auf der Loveparade. Von der Massenpanik am Eingang hat er erst später gehört, weil er zu der Zeit bereits auf dem Gelände war. „Wären wir später losgegangen, ich könnte eines der Opfer sein“, sagt er. Bewegend und schön fand er die Trauerfeier. Nun, sagt Kralmann vorsichtig, „hoffe ich, dass langsam wieder ein bisschen Frieden einkehrt“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false