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Panorama: Ein unheimliches Paar

Erst erzählten sie sich ihre heimlichen Fantasien, dann sahen sie gemeinsam Kinderpornos an, schließlich stellten sie mit dem Auto Mädchen nach. Jetzt stehen sie vor Gericht, weil sie zwei Kinder getötet haben. Niemand weiß, wie es dazu kommen konnte – die Gutachter stehen vor einem Rätsel.

Auch den letzten Tag ihres Lebens haben sie gemeinsam verbracht. Tom wollte bei der alten Halde spielen, seine Schwester kam mit. Sie sei sehr an ihrem Bruder gehangen; das sagen alle, die die Kinder kannten. Tom wurde in der Nachbarschaft „Professor“ genannt, weil er schon so erwachsen war für seine elf Jahre. Sonja, die Neunjährige, sei dagegen ein wenig unsicher gewesen, ihr Bruder habe stets versucht, sie zu beschützen. Die Männer waren ebenfalls zu zweit, als sie zur alten Halde kamen und „Hallo, Polizei, stehen bleiben“ sagten. Als sie Tom und Sonja mit Klebeband fesselten und in ihr Auto packten. Als sie den Plan fassten, den Jungen zu töten. Als sie das Mädchen missbrauchten und beschlossen, es zu erwürgen. Wegen gemeinschaftlichen Mordes müssen sich Markus Lewendel und Markus Wirtz nun vor dem Landgericht Aachen verantworten.

Ein Zweckbündnis

Markus Lewendel ist ein schmaler, blasser Mann mit Halbglatze. Aufrecht sitzt er auf der Anklagebank, die Hände zusammengefaltet auf dem Tisch. Er verfolgt aufmerksam, was um ihn herum passiert, manchmal nickt er, aber die Geste wirkt aufgesetzt, es ist die Aufmerksamkeit eines Strebers, der darüber hinwegtäuschen will, dass er keine Ahnung hat. Überhaupt macht der 33-jährige Lewendel einen recht unbeholfenen Eindruck. Er hat seine Hose viel zu hoch gezogen, der Gürtel schnürt ihn ein. Auch Markus Wirtz wirkt alles andere als erwachsen in seinem dunklen Anzug mit Krawatte. Nach vorne gebeugt kauert er hinter Lewendel, als wolle er in Deckung gehen. 28 ist er, doch mit seinem dicken Gesicht und dem gedrungenen Körper sieht er aus wie ein Pubertierender mit Babyspeck.

„Kindlich“, „unreif“ und „ich-bezogen“ sind die Worte, die die psychologischen und psychiatrischen Sachverständigen immer wieder im Mund führen. Das klingt harmlos, doch genau das macht das Ungeheuerliche dieses Falles aus. Wären Wirtz und Lewendel nämlich die Bestien, als die sie von manchen Medien beschrieben werden, wäre das angeklagte Verbrechen eine Tat von Irren – der Prozess wäre leichter zu ertragen. Bestien und Irre leben außerhalb der Gesellschaft, sie handeln losgelöst von dem, was man sich unter Normen vorstellt. Doch Wirtz und Lewendel kommen aus der Mitte der Gesellschaft, Wirtz war sogar bei der Jungen Union. Die beiden hatten Familienbindungen, so enge, dass Wirtz vor der Tötung Toms daheim anrief und sagte, er werde nicht zum Essen kommen. Und während Sonja mit verbundenen Augen gefesselt auf dem Bett lag, ging Lewendel zu seiner Mutter, um frische Wäsche abzuholen.

Kennen gelernt haben sich Wirtz und Lewendel 1996 in einem Spielzeuggeschäft, Wirtz interessierte sich für Modellautos. Er ist Industrie-Elektroniker, bis vor drei Jahren lebte er noch zu Hause. Lewendel hat ihn nie besonders ernst genommen, er hat ihn nicht mit Markus angeredet, sondern immer nur mit dem Nachnamen, wie auf dem Schulhof. Es war keine Freundschaft, die die beiden verband, sondern ein „Zweckbündnis zur Freizeitgestaltung“, wie es der psychiatrische Sachverständige Norbert Leygraf nennt. Lewendel träumte davon, groß rauszukommen. Er wollte eine Firma aufziehen, die im Autorennsport Sponsoren vermittelt, die „Lewendel Racing Betreuung“. Wirtz hatte ein Auto, und so fuhren sie auf der Suche nach Geschäftspartnern durch die Gegend. Herausgekommen ist dabei ebenso wenig wie in ihren anderen Jobs. Lewendel hangelte sich von einer Gelegenheitsarbeit zur nächsten, am Ende war er Hausmeister in seinem Block und ließ den Chef heraushängen, am liebsten bei Kindern. Wirtz brüllte an seinem Arbeitsplatz herum, wenn etwas nicht nach seinem Willen ging, oder bekam Weinkrämpfe. „Er hat gerade wieder seine Show“, sagten die Kollegen dann. Gleichwohl fühlte Wirtz sich schlecht behandelt, so wie Wirtz überhaupt „die Tendenz hatte, sich als Opfer darzustellen“, wie Leygraf ausführt. Vor Gericht weinte Wirtz selbstmitleidig und schob alle Schuld auf Lewendel.

Mitte 2002 kamen Wirtz und Lewendel auf die Idee mit dem Kindersex-Ring. Sie wollten Mädchen im Keller einsperren und Foltervideos produzieren, sie hielten das für eine Geschäftsidee. Irgendwann begannen sie, „am Rad zu drehen“, wie sie es nannten. Sie fuhren mit dem Auto herum und hielten Ausschau nach Mädchen, „Kotelett gucken“ sagten sie dazu. Warum es schließlich dazu kam, dass das „über die spielerische Ebene hinausging, über die Phase der großen Jungen“, kann auch der psychiatrische Sachverständige Hans-Ludwig Kröber nicht sagen. Kein Psychiater hätte das voraussehen können. Dass Wirtz den Jungen „entsorgen“ würde, wie die beiden das nannten. Dass Wirtz und Lewendel Sonja eine Nacht lang ans Bett fesseln und mehrmals missbrauchen würden. Dass Lewendel das Mädchen erdrosseln würde. Dass sie die Leichen der Kinder in den Wald kippen würden, so dass die Leute, die sie fanden, erst dachten, es wären Puppen oder Müll.

Die Kindheit der Angeklagten war freudlos, aber durchaus kein Albtraum. Lewendels Eltern ließen sich scheiden, heirateten wieder und ließen sich abermals scheiden, dazwischen wurde gestritten. Lewendel schaffte nur die Hauptschule, die schönste Zeit seines Lebens nennt er die Jahre in der Bundeswehr. Er hätte sich gerne länger verpflichtet, ließ aber davon ab, weil das bedeutet hätte, weg aus dem Raum Köln, weg von seiner Mutter zu kommen. Er lebte lange bei seiner Mutter, und als er später zwei Blöcke weiter zog, zog auch sie zwei Blöcke weiter. Er hatte keine Freundin, die Kinder aus dem Block machten sich über ihn lustig.

Markus Wirtz war dick und hatte als Kind oft Mittelohrentzündung. Der Vater war streng mit ihm, in der Schule wurde er gehänselt. Einmal umwickelten sie ihn mit Klebeband und stießen ihn in einen Busch. Wirtz wehrte sich nicht, aber hin und wieder rastete er aus. Als ein Junge etwa seinen Fahrradreifen zerschnitt, verprügelte er ihn, um ihm zu zeigen „wie das ist, wenn man verliert“.

Eine Grenze wird überschritten

Ansonsten haben die beiden ihren Alltag vor allem in der Vorstellung bewältigt. Wirtz fand keine Freundin, und je öfter es mit Gleichaltrigen nicht klappte, „desto jünger wurden die Mädchen in meiner Fantasie“. Er sah sich Kinderpornos im Internet an und stellte Kindern im Schwimmbad nach. Lewendel dachte daran, wie er sich an den Kindern rächen könnte, die ihn hänselten. Die ihn „Rubbelmann“ nannten, weil er am Fenster masturbierte. Und weil Wirtz und Lewendel immer zusammensteckten, ja sogar ihre Wohnungen nebeneinander hatten, dauerte es nicht lange, bis die beiden auch in ihren Fantasiewelten zusammenfanden. Sie malten sich aus, Mädchen auszupeitschen, in den Wäschetrockner zu stecken oder mit heißem Öl zu übergießen. Aber selbst das sei noch kein Hinweis auf eine Perversion, meint Hans-Ludwig Kröber. „Menschen sprechen über Grausamkeiten, das ist normal.“ Aber es sei auch der Normalfall, dass man sie nicht umsetzt.

Wirtz und Lewendel überschritten die Grenzen schleichend, aber stetig. Bald sahen sie sich gemeinsam Kinderpornos im Internet an. Sie fuhren jetzt fast täglich mit dem Auto durch die Gegend, um Mädchen nachzustellen. Irgendwann hatten sie eine schwarze Tasche dabei, in der sich Klebeband, Einweghandschuhe und Handschellen befanden. Das habe ihnen „einen Kick“ gegeben, sagten sie später. Als Lewendel von einem Mieter, der in Urlaub fuhr, den Schlüssel bekam, stahl Lewendel den Laptop aus dessen Wohnung. Auf diesem würde sich später ein genauer Bericht der Tat finden, Titel der Datei „Der absolute Wahnsinn“.

Der Schwarze Berg in Eschweiler ist eine stillgelegte Zechenhalde. Es gibt viel Grün hier, es ist ein Platz, an dem Kinder spielen. Wirtz und Lewendel wussten das, als sie am 30. März wieder mal ihre Tour begannen. Wirtz sei an diesem Tag „stinkig“ gewesen, wie er sagt, er habe Ärger in der Arbeit gehabt, auch hätten ihm zwei Frauen im Weg gestanden, als er mit dem Auto losfahren wollte. Und dann habe Lewendel auch noch dieses Wort gesagt. Er hat ihn nicht Wirtz genannt wie sonst, er hat „Jung“ gesagt. Als sie die Kinder in ihrer Gewalt hatten, stürzte sich Wirtz auf Sonja und versuchte, das Mädchen zu vergewaltigen. Später fuhr er mit Tom zum Waldparkplatz, wo er ihm eine Plastiktüte bis zum Hals zog und mit den Händen zudrückte. Sonja sollte noch nicht gleich sterben, die beiden Männer wollten sie „über Wochen und Monate“ quälen. Doch als nach den Kindern gefahndet wurde, änderten sie ihren Plan. Lewendel erdrosselte das Mädchen am nächsten Tag mit einer Paketschnur. Er habe dabei die Gesichter von Kindern vor Augen gehabt, die ihn immer geärgert haben, sagt er.

Vor Gericht hat er nicht nur diese Tat minutiös geschildert, er hat auch einen Tankstellen-Überfall aus früheren Zeiten erwähnt und frei heraus, fast stolz, erzählt, dass er und Wirtz noch weitere Kinder entführen wollten. Man hat bei Lewendel nicht das Gefühl, er wolle damit sein Gewissen erleichtern. Lewendel lebe auf, wenn er Gesprächspartner habe, sagt Gutachter Hans-Ludwig Kröber. Wie er deren Aufmerksamkeit erweckt, scheint Lewendel egal zu sein. Die Gutachter halten ihn und Wirtz nach den Einlassungen jedenfalls für uneingeschränkt schuldfähig. Dass Wirtz, der Jüngere, Unsichere, unter dem Einfluss Lewendels, des Älteren, handelte, verneinen die Gutachter. Beide seien gleichermaßen aktiv gewesen. Das Urteil wird für den 8. Dezember erwartet.

Als Wirtz und Lewendel nach der Tat in die Schweiz flohen, wo sie später gefasst wurden, waren sie wieder ganz in ihren Fantasien. Sie überlegten, einen Bus zu kapern und sich von der Polizei erschießen zu lassen. Wie er sich gefühlt habe, wird Lewendel gefragt. Er sei „locker drauf gewesen“, antwortet er. Auf der Flucht haben Wirtz und Lewendel Ansichtskarten nach Hause geschrieben – Männer, die zwei Kinder töten mussten, um sich einmal in ihrem Leben erwachsen zu fühlen.

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