zum Hauptinhalt
Das Eisige in ihren Augen ist gewichen. Amanda Knox am Freitag im Gerichtssaal von Perugia. Foto: Giorgio Benvenuti/Reuters

© REUTERS

Panorama: Eine Frage der Schuld

Kommt Amanda Knox frei? Der zweite Prozess in Perugia geht in die Schlussrunde

„Endlich glaubt mir mal jemand!“ Der 24jährigen Amanda Knox fällt ein Stein vom Herzen. Vier Jahre sitzt sie – als Unschuldige? – bereits in Haft, zu insgesamt 26 Jahren hat das Schwurgericht in Perugia die amerikanische Studentin verurteilt.

Jetzt aber geht der Berufungsprozess in die Schlussrunde. Am Freitag begannen die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, am Montag hat die Verteidigung das Wort. Die Angeklagte selber, aber auch Beobachter und italienische Medien hielten zuletzt einen Freispruch für den wahrscheinlichsten Ausgang des Verfahrens.

Die 21-jährige britische Austauschstudentin Meredith Kercher war am 2. November 2007 mit durchschnittener Kehle, vergewaltigt, halb nackt und von 40 Messerstichen übersät in einer Wohnung in Perugia gefunden worden. Knox wurde damals von den Medien „Engel mit den Eisaugen“ genannt. Ihr italienischer Ex-Freund Raffaele Sollecito war wie sie vor zwei Jahren verurteilt worden. Er bekam 25 Jahre Haft, ein Jahr weniger als Knox. Vor dem Pärchen war zudem der Ivorer Rudy Guede in einem Schnellverfahren zu 16 Jahren Haft verurteilt worden.

Gegen Ende dieses zweiten Verfahrens sieht es fast so aus, als seien die Hauptbeweise aus der ersten Instanz rein gar nichts mehr wert: Nicht Amanda Knox und auch nicht ihr damaliger Freund Raffaele Sollecito (25 Jahre Haft) sollen für die brutale Ermordung der britischen Austauschstudentin verantwortlich sein. Die wissenschaftlichen Gutachter der zweiten Instanz haben das Werk ihrer Kollegen der ersten Instanz gründlich zerlegt: „Schlamperei bei den Ermittlungen“, werfen sie der Polizei und den Gerichtsmedizinern vor, „Missachtung internationaler Regeln“, „Verunreinigung von Proben“ und „falsch interpretierte DNA-Untersuchungen“.

Zwar haben die Verteidiger der beiden Hauptangeklagten, wie es nach dieser angeblichen Wende im Prozess naheläge, noch nicht die sofortige Freilassung ihrer Mandanten gefordert; dass sie für das Urteil im Berufungsverfahren – es wird für Anfang Oktober erwartet – mit einem Freispruch rechnen, das aber verhehlen sie nicht.

Amanda Knox. Für ihre Verteidiger ist sie „so natürlich, schlicht und rein wie Wasser und Seife, überrollt von einem Medien-Tsunami“. Der Staatsanwalt aber sieht in der Amerikanerin aus Seattle eine „durchtriebene Mörderin“, die mit „enormer Schauspielerei“ die Öffentlichkeit zu ihren Gunsten manipuliere.

Als „Engel mit Eisaugen“ haben Medien die Studentin apostrophiert, die in Italien schon allein wegen ihres Aussehens für Furore sorgt: Sollte „so ein hübsches Mädchen“ fähig gewesen sein, zusammen mit zwei jungen Männern eine 21jährige Mitstudentin zu quälen, zu vergewaltigen, sie mit Messerstichen zu übersäen und ihr am Ende die Kehle durchzuschneiden? Bloß weil jene Britin nicht so moralisch freizügig leben wollte wie ihre amerikanische WG-Mitbewohnerin? Amanda Knox – ist sie tatsächlich ein Engel im Sex- und Drogenrausch, wie die ersten Richter im Dezember 2009 urteilten?

Jenes Urteil war – weil Knox und ihr Freund Sollecito sich von Anfang an als unschuldig bezeichnet hatten – auf Indizien gebaut, auf DNA-Spuren vor allem am Büstenhalter der Ermordeten und an Sollecitos Küchenmesser. Doch die neuen Gutachter sagen, erst die dilettantisch vorgehende Polizei habe das „Erbmaterial des Mörders“ auf den BH des Opfers gebracht.

Der Handschuh des Beamten – die Gutachter zeigten dem Gericht Videoaufnahmen – sei sichtlich verschmutzt gewesen; die viel zu vielen Polizisten am Tatort hätten Spuren durcheinandergebracht; mit demselben Stück Watte hätten sie gleich mehrere Blutproben aufgenommen; der fragliche BH habe noch 46 Tage auf dem Boden der Wohnung gelegen, verschmutzt von Staub und anderen Mini-Teilchen, und am Küchenmesser finde sich gleich gar keine Spur vom Blut der Ermordeten: die DNA-Untersuchungen seien einfach falsch interpretiert worden.

Die derart Angegriffenen wehren sich. Der Chef der „Wissenschaftlichen Polizei“ in Italien schickte dem Gericht einen langen Brief, worin er die Attacken zurückweist und als „rufschädigend“ verurteilt; die Staatsanwälte ihrerseits erklären das neue Gutachten für belanglos, weil es Fehler aufweise und neue Laboruntersuchungen als „unmöglich“ bezeichnend „nur nach Aktenlage“ erstellt worden seien. „Eher fällt ein Meteorit vom Himmel und zerstört dieses Gerichtsgebäude“, als dass die Polizei die Proben verunreinigt habe, tobte jener Professor für Rechtsmedizin, den die Staatsanwaltschaft zurate gezogen hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false