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Panorama: Eine offene Wunde

Wenn Kenia ein in dieser Woche von seinem Präsidenten Daniel arap Moi erlassenes Verbot rigoros anwenden würde, müsste das ostafrikanische Land in Kürze eigentlich mehrere Zehntausend Staatsbürger ins Gefängnis stecken. Das Verbot, das der 77-jährige Staatschef am Mittwoch offiziell erließ, stellt jedenfalls mit sofortiger Wirkung die rituelle Verstümmelung oder Beschneidung der Genitalien von Mädchen unter 17 Jahren unter Strafe.

Wenn Kenia ein in dieser Woche von seinem Präsidenten Daniel arap Moi erlassenes Verbot rigoros anwenden würde, müsste das ostafrikanische Land in Kürze eigentlich mehrere Zehntausend Staatsbürger ins Gefängnis stecken. Das Verbot, das der 77-jährige Staatschef am Mittwoch offiziell erließ, stellt jedenfalls mit sofortiger Wirkung die rituelle Verstümmelung oder Beschneidung der Genitalien von Mädchen unter 17 Jahren unter Strafe. Wer Mädchen in diesem Alter beschneidet, riskiert eine Haftstrafe von mindestens einem Jahr. Mädchen über 17 Jahren haben hingegen die Wahl, darüber zu entscheiden, ob sie beschnitten werden wollen oder nicht.

Bei dem äußerst schmerzhaften und oft gefährlichen Ritual werden jungen Frauen mit oft krudem Werkzeug die Klitoris oder die Schamlippen entfernt. In den Ländern am Horn von Afrika, darunter Somalia, Dschibuti und Äthiopien, praktiziert man sogar die "pharaonische Beschneidung", die brutalste Form des Eingriffs. Bei dieser Prozedur werden die Schamlippen so tief eingeschnitten, dass sie anschließend zusammengenäht werden können und einen Großteil der Vagina schließen. Es bleibt nur eine kleine Öffnung, durch welche die Frau später Wasser lassen und menstruieren kann.

Das menschenverachtende Ritual wird bis heute in mindestens 28 Ländern, zumeist in Afrika entlang der Sahelzone, praktiziert. Es geschieht nach UN-Schätzungen mindestens zwei Millionen Mal im Jahr und rund 6000 Mal am Tag. Opfer sind Mädchen und Frauen vom Säuglingsalter an. Einige Völker sehen in dem Ritual eine symbolische Reinigung der Frau oder eine Art Keuschheits-Garant, andere wiederum zelebrieren den Eintritt eines Mädchens in einen neuen Lebensabschnitt.

Ins Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit gelangte die Verstümmelung der Genitalien - oft auch verharmlosend Beschneidung genannt - vor drei Jahren durch das somalische Fotomodell Waris Dirie, die in ihrer Autobiografie "Wüstenblume" von ihrem leidvollen Lebensweg und dem Ritual selbst erzählt. Zwei ihrer Schwestern starben daran, aber auch zwei jüngere Nichten erlagen der Prozedur.

Wie schwer es ist, trotz der zunehmenden Opposition dem Verbot der Genitalverstümmelung in Afrika Nachdruck zu verleihen, zeigen die Erfahrungen jener 15 Länder, die diese Praxis inzwischen unter Strafe gestellt haben. Kein einziges von ihnen hat es bislang gewagt, das neue Gesetz in seiner ganzen Schärfe anzuwenden. In Guinea steht zum Beispiel auf die genitale Verstümmelung von Frauen die Todesstrafe, doch ist sie bislang kein einziges Mal wegen dieses Delikts verhängt worden.

Im Gegenteil: Statt die Beschneidungen zu verringern, haben viele Länder wie etwa Uganda nach der Verhängung eines Verbots sogar eine plötzliche Zunahme erlebt. Ein Grund liegt darin, dass die Kulthandlung für Frauen in vielen traditionellen Gesellschaften noch immer Voraussetzung für ihre gesellschaftliche Akzeptanz ist. Denn erst nach dem Vollzug des Initiationsritus wird ein Mädchen offiziell zur Frau. Ebenso schwer wiegt der Gruppenzwang. "Viele Frauen werden von ihren Familien eingeschüchtert", sagt Jane Kuka, eine ugandische Ministerin, die sich selber dem Ritual widersetzte und seitdem eine Kampagne dagegen führt. "Frauen, die eine Beschneidung ablehnen, werden von ihre Familien oft wie kleine Mädchen behandelt und verspottet. Denn die Zeremonie ist für Familie und Clan von äußerster Bedeutung und ein gesellschaftliches Großereignis."

Selbst scharfe Kritiker der Praxis wie Dirie, die inzwischen als UN-Sonderbotschafterin zur Anwältin von Millionen schweigender Opfer geworden ist, stehen einem von oben verhängten Verbot zwiespältig gegenüber. Sie befürchten, dass Afrikas Regierungen durch die Kriminalisierung der Praxis womöglich erfolgreiche lokale Initiativen gegen das Ritual unterminieren und die Beschneidungen in den Untergrund drängen könnten. So gab es bis vor kurzem in Kenia eine Reihe von Gruppen, die mit Erfolg in den Dörfern Diskussionen über das Ritual anregte.

"Wir werden die Einstellung der Menschen nur schwer ändern, wenn wir die Genitalverstümmelung durch Verbote dämonisieren oder aus Überheblichkeit die moralische Keule schwingen", meint Dirie. Denn die meisten Menschen gingen das damit verbundene Risiko ein, weil es ihnen wichtig erscheine und das Ritual obendrein ihre gesellschaftliche Stellung oder den Status der Familie definiere. Gerade deshalb müßten die oft schlimmen Folgen der Beschneidung von den Betroffenen selbst als Problem erkannt und dürften diesen nicht von außen aufoktroyiert werden.

Als besonders erfolgreich hat es sich erwiesen, auf die großen Gesundheitsrisiken der Verstümmelung hinzuweisen. Neben dem später oft schmerzhaften Sexualverkehr und den noch weit größeren Schmerzen bei der Geburt eines Kindes führen Beschneidungen oft zu Blutungen und wegen des Urinstaus auch zu Infektionen und chronischen Entzündungen des Unterleibs.

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