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Panorama: Eine Stadt geht in Deckung

Wer ist der Killer? Was für Absichten hat er? Washington rätselt

Die Situation scheint ausweglos. Ist der Mörder von Washington ein „aggressiver Jäger", ein „eiskalter Einzelgänger", ein „frustrierter Soldat", ein „unberechenbarer Psychopath" – oder vielleicht doch ein Terrorist? Worauf hat es Al Qaida schließlich abgesehen? Auf unschuldige Amerikaner. Und was sind die Opfer? Unschuldige Amerikaner. Doch Beweise für eine Verbindung gibt es keine. Nicht einmal Indizien liegen vor.

Schlecht ist auch die Stimmung bei der Polizei. Auf der Suche nach dem Sniper, der mit je einem Schuss bislang neun Menschen getötet und zwei verwundet hat, ist sie offenbar ins Stocken geraten. Jetzt haben sich auch Zeugenaussagen, die zunächst Hoffnungen geweckt hatten, als widersprüchlich oder falsch erwiesen. Außerdem wächst die Einsicht, dass die Psychologie in diesem Fall an ihre Grenzen gelangt. Das so genannte „Profiling", das Erstellen eines Täterprofils, entpuppt sich immer mehr als eine Art kunstvolles Herumstochern im Nebel. „Das einzig Berechenbare an diesem Kerl ist seine Unberechenbarkeit", sagt ein Ermittler. Je mysteriöser ein Verbrechen, desto stärker wühlt es auf. Die Bewohner von Washington, jener Stadt, die weltweit als Zentrum der Macht gilt, gehen buchstäblich in Deckung.

Wer zu Hause oder bei der Arbeit am Fenster sitzt, lässt vorsorglich die Jalousien herunter. Ganztags. Der Benzinverkauf ist um ein Drittel zurückgegangen. Wer dennoch zum Tanken fährt, benutzt eine ausgefeilte Technik: Die Tanköffnung muss zur Tankstelle zeigen, nachdem der Zapfhahn betätigt wurde, geht der Kunde bis zum Ende des Einlaufens in Deckung. An den öffentlichen Schulen sind weiterhin die Sportprogramme gestrichen sowie alles Andere, was außerhalb der Gebäude stattfindet. Und abends bleiben die Menschen zu Hause. Doch dort sehen sie Fernsehen und werden wieder aufgewühlt. Die Angst gebiert auch Misstrauen.

Für den Verkäufer im Supermarkt von nebenan hat das ganze Elend mit dem Amtsantritt von George W. Bush begonnen. „Ich will wissen, was da wirklich passiert", sagt er. Ein Flugzeug stürzt aufs Pentagon, Anthrax-Briefe verseuchen den Kongress, der West-Nil-Virus bricht aus, plötzlich taucht die Malaria wieder auf, die Wirtschaft bricht ein, der Irak-Krieg steht vor der Tür. „Irgend etwas geht da vor", sagt der Verkäufer. „Etwas, von dem wir keine Ahnung haben."

Ist es Angst? Ist es Furcht? Zumindest fällt es schwerer als sonst, halbwegs normal zu bleiben.

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