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Panorama: Eines Tages wird sie Mama sagen

Vor sechs Jahren erklärte ihr die Polizei: „Dein Baby ist tot.“ Luz Cuevas hat es nie geglaubt – und Recht behalten

Ohne die Hilfe des Zufalls und der modernen Technik würde Luz Cuevas, 31, heute noch annehmen, ihre jüngste Tochter sei nicht mehr am Leben – verbrannt bei einem schrecklichen Unglück vor etwas mehr als sechs Jahren. Doch als da dieses kleine Mädchen vor ein paar Wochen bei einer Geburtstagsparty in Philadelphia vor ihr stand, schoss Luz Cuevas durch den Kopf: Das ist mein Kind, mein Baby. Nach intensiven Ermittlungen und eindeutiger Genanalyse steht fest, dass sie Recht hat. Eine entfernte Verwandte ihres damaligen Mannes hatte das zehn Tage alte Kind offenbar gekidnappt und dann Feuer gelegt. Die Verdächtige, Carolyn Correa, 41, stellte sich am späten Dienstagabend der Polizei in Philadelphia.

Was am 15. Dezember 1997 kurz nach sieben Uhr abends geschah, das verfolgt Luz Cuevas bis heute. Die Flammen begannen im ersten Stock ihres Hauses zu lodern, während Cuevas, ihr Mann Pedro Vera und die beiden älteren Kinder sich im Erdgeschoss aufhielten. Delimar, das zehn Tage alte Mädchen, schlief oben im ersten Stock. Als Cuevas den Rauch bemerkte, rannte sie hinauf zum Säuglingsbett, doch in dem Rauch, dem Feuer und dem Chaos suchte sie vergeblich nach ihrem Baby. Es war einfach verschwunden.

Polizei und Feuerwehrleute sagten ihr später, Delimar sei verbrannt. Sie sei umgekommen in dem Feuer, das durch eine defekte Verlängerungsschnur eines Heizlüfters entstanden sei. Wirklich geglaubt hat Luz Cuevas der Polizei nie. Warum stand dann das Fenster offen, das sie doch geschlossen hatte? Warum fand niemand den Leichnam ihres Babys, obwohl die Polizei die verkohlten Trümmer des Hauses noch einmal genau untersucht hatte?

Die Zeit verging, der Verdacht, die Ahnung blieben. Das Paar bekam noch ein Kind, einen Jungen. Die Eltern trennten sich irgendwann, auch der Schmerz über den Verlust Delimars wird dabei eine Rolle gespielt haben. Dann der Partybesuch im Januar diesen Jahres. „Als ich sie sah, traf es mich wie ein Schlag“, erzählte Cuevas einem lokalen Fernsehsender. „Beim Lachen hatte sie zwei Grübchen an den Augen, die hatte sie schon als Säugling. Ich spürte: Das ist Delimar.“ Die leidenschaftliche Krimileserin wusste sofort, was zu tun ist. Unter dem Vorwand, es klebe ein Kaugummi im Haar, zupfte sie dem Mädchen schnell ein paar Haare vom Kopf und bewahrte sie auf.

Die Polizei wollte Luz Cuevas’ abenteuerliche Geschichte zunächst nicht glauben. Doch bei den Ermittlungen ergaben sich immer mehr Ungereimtheiten. Warum war das Fenster geöffnet? Warum gab es keine menschlichen Überreste in den Trümmern, obwohl die Flammen nicht heiß genug waren, um sie vollständig zu verbrennen? Und vor allem: Warum war Carolyn Correa, eine Cousine von Pedro Vera, kurz vor dem Unglück zu Besuch gekommen – und hatte sich danach nie mehr bei der Familie und im Freundeskreis blicken lassen? Luz Cuevas begann, Correa zu verdächtigen. Doch was fehlte, waren die Beweise. Gewissheit brachten schließlich die Haare des Mädchens: Die Analyse im Polizeilabor räumte letzte Zweifel aus – die Sechsjährige ist in der Tat das totgeglaubte Kind von Luz Cuevas.

„Noch nie ist uns eine so bizarre Geschichte untergekommen“, sagt der Ermittler Angel Cruz. Die Cousine Carolyn Correa, die das Kind als ihr eigenes ausgegeben und aufgezogen hatte, muss sich nun wegen insgesamt 15 verschiedener Vergehen verantworten, darunter Kidnapping und Brandstiftung. Das Kind lebt im Augenblick in einem Pflegeheim in New Jersey. „Wir wissen nicht, wie Delimar die Nachrichten aufnehmen wird“, sagt Ermittler Cruz. „Sie wird auf jeden Fall professionelle Hilfe brauchen. Aber dafür sind wir nicht zuständig.“

Die Mutter will nur eines: ihre verlorene Tochter schnell in die Arme schließen. Doch wie wird die Delimar auf die ihr fremde Mutter reagieren? Luz Cuevas blickt optimistisch in die Zukunft: „Ich werde sie umarmen, sie küssen und ihr viel Liebe geben. Und eines Tages wird sie Mama zu mir sagen.“

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