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Einsturz des Kölner Stadtarchivs: Schätze unter Trümmern

Nach dem Einsturz des Stadtarchivs wird in Köln über die Ursache spekuliert.

Köln - Noch ist der Schaden nicht auszumachen, doch er wird in jedem Fall immens sein. Neun Menschen wurden am Dienstagabend noch vermisst. In jedem Fall sind durch den Einsturz des Kölner Stadtarchivs wertvolle Kulturschätze vernichtet worden: In dem Gebäude waren Dokumente aus über tausend Jahren Kölner und rheinischer Geschichte untergebracht, darunter 65 000 Urkunden, 104 000 Karten und eine halbe Million Fotos. Auch der Nachlass des Schriftstellers Heinrich Böll liegt möglicherweise unter den Trümmern begraben.

Noch bevor das ganze Ausmaß des Unglücks bekannt war, wurde in Köln am Dienstag über die Ursachen spekuliert. Und ein Verdacht rückte dabei schnell in den Vordergrund. Hat der Bau der Kölner Nord-Süd-Stadtbahn den Schaden verursacht? Das erste Indiz: Eine Baustelle der U-Bahn befindet sich in unmittelbarer Nähe des Stadtarchivs.

Es wäre nicht der erste Kollateralschaden der unterirdischen Arbeiten. Ende September 2004 geriet bereits der Turm der romanischen Kirche St. Johann Baptist in bedrohliche Schieflage. Der Grund: Unterirdische Arbeiten für den U-Bahn-Tunnel der Nord-Süd-Bahn. Um 75 Zentimeter hatte sich der Turm geneigt – und machte weltweit als „schiefer Turm von Köln“ Schlagzeilen. Die Aufrichtung des Turms kostete eine Million Euro.

Der Bau der Stadtbahn entwickelt sich für die Stadt Köln immer mehr zu einer Katastrophe. Die Kosten für das Projekt explodierten, die Geschäftsleute an der Einkaufsmeile Severinstraße klagten über Umsatz-Einbrüche. Ladenlokale wurden aufgegeben, zudem waren zuletzt Spielhallen und Billigbäcker als Folge des sich hinziehenden U-Bahn- Baus auf der eng bebauten Einbahnstraße auf dem Vormarsch.

Mit mindestens 950 Millionen Euro soll die Linie 320 Millionen Euro mehr kosten als geplant. Als Gründe für die Kosten-Explosion wurden von den Kölner Verkehrs-Betrieben unter anderem archäologische Arbeiten genannt, die den Bau immer wieder gestoppt haben. Die Tunnelröhren befinden sich in bis zu 30 Metern Tiefe unter der Altstadt. Die Arbeiten des bereits seit den 80er Jahren geplanten Projekts waren 2004 begonnen worden, bis Mitte 2010 soll die Linie weitgehend fertiggestellt werden. Sie wird über vier Kilometer vom Breslauer Platz nördlich des Hauptbahnhofs parallel zum Rhein verlaufen und damit den historischen Teil Kölns an das U-Bahn-Netz anbinden.

Auch das Stadtarchiv wäre über die neue Linie besser zu erreichen gewesen. Das Gebäude in der Severinstraße wurde 1971 für das Archiv gebaut, das als eines der größten Stadtarchive in der Bundesrepublik Deutschland gilt. Die Anfänge des Archivs reichen in das frühe 12. Jahrhundert zurück. Die für die Stadt wichtigen Schriftstücke hatten 1322 noch Platz in einer Kiste im Hause eines Patriziers, wuchsen aber auf dem Weg Kölns zur freien Reichsstadt rasch an. Als der Rat 1406 den Bau des Rathausturms beschloss, gehörte zum Bauprogramm auch ein Archivgewölbe. Damals wurde das erste, noch heute erhaltene Archivinventar angelegt. Die früheste Urkunde stammt aus dem Jahr 922.

Mit der Ernennung Leonard Ennens zum ersten Kölner Stadtarchivar 1857 wurde der Ausbau des Archivs wesentlich auf den Weg gebracht, das die Kölner liebevoll das „Gedächtnis“ ihrer Stadt nannten. Der Einsturz ist für die meisten Bürger unfassbar, denn selbst den Zweiten Weltkrieg hatten die Archivbestände ohne Verluste überstanden. ddp/dpa

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