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Panorama: Eisenbahnunglück in Belgien: Rotes Signal übersehen

"Der Zug fuhr an mir vorbei, und plötzlich hörte ich hinter mir einen furchtbaren Knall", berichtete entgeistert eine Anwohnerin. "Als ich mich umdrehte, waren die Züge schon ineinander gerast, riefen Leute um Hilfe.

"Der Zug fuhr an mir vorbei, und plötzlich hörte ich hinter mir einen furchtbaren Knall", berichtete entgeistert eine Anwohnerin. "Als ich mich umdrehte, waren die Züge schon ineinander gerast, riefen Leute um Hilfe." Blaulicht flackert vor roten Waggons. Kurz vor neun Uhr morgens sind in der wallonischen Ortschaft Percrot ein voll besetzter und ein leerer Personenzug frontal aufeinander geprallt. Neun Personen konnten die Rettungskräfte nur noch tot aus den verkeilten Zugwracks bergen - darunter die beiden Lokomotivführer und zwei Schaffner.

Mehr als zehn Reisende wurden zum Teil schwer verletzt. Ein Sprecher der belgischen Eisenbahnen (SNCB) machte "menschliches Versagen" für das Unglück verantwortlich. Der umgekommene Maschinist des leeren Zuges habe offenbar ein rotes Signal übersehen - und dadurch seine Lokomotive auf dasselbe Gleis gesteuert, das auch der aus der flämischen Universitätsstadt Löwen kommende Regionalzug benutzte. Die Nachrichtenagentur Belga schloß allerdings auch eine falsches oder defektes Signal als Unglücksursache nicht aus.

Die meisten der rund 80 Passagiere des Unglückszugs waren Pendler auf dem Weg zur Arbeit. Als "nationale Katastrophe" bezeichnete die Reporterin des flämischen Fernsehens das Zugunglück, das zu den schwersten der belgischen Geschichte zählt. Bestürzte Augenzeugen sprachen von einem "Schlachtfeld".

Sehr schnell waren die Rettungskräfte zur Stelle. Befürchtet wurde am Dienstag, dass die Zahl der Todesopfer noch steigen könnte. Den ganzen Tag mühten sich Sanitäter und Feuerwehrleute, noch eingeklemmte Passagiere aus den Trümmern der Züge zu befreien. In der nahe gelegenen Ortschaft Folrival wurde ein Krisenzentrum zur psychischen Betreuung körperlich unverletzter Passagiere eingerichtet. Neben König Albert und Königin Paola informierte sich am Dienstag auch Premier Guy Verhofstadt an der Unglücksstelle über den Fortgang der Rettungsarbeiten. Nach dem schwersten Zugunglück bei der belgischen Staatsbahn seit mehr als 25 Jahren steht das Zehn-Millionen-Einwohner-Land unter Schock.

"Erst dachten wir, der Zug sei entgleist", sagt ein Schüler, der in dem verunglückten Triebwagen aus Löwen saß. "Doch als wir uns befreit hatten, sahen wir, was passiert war: Wir sind zum Glück mit heiler Haut davongekommen." Ein 13 Jahre alter Junge wird nur noch tot aus den Trümmern geborgen. Noch Stunden nach dem Zusammenstoß suchen die Rettungsmannschaften nach Opfern in den Trümmern des Zuges, in dem zahlreiche Schüler und Studenten gesessen haben.

Der Unglücksort präsentiert das Geschehen wie auf einer Bühne: Die Waggons haben sich hoch auf dem Bahndamm mitten in der Ortschaft Parcrot ineinander verkeilt. Ein Erste-Klasse-Abteil berührt die Oberleitung. "Die elektrische Leitung hat sich wie wild bewegt", berichtet eine Augenzeugin. Eine ältere Frau, die vom Einkaufen kam, ergänzt: "Ich habe ein Bremsen gehört, obwohl der Zug an dieser Stelle sonst nicht bremst." Sie drehte sich um und sah, wie der mit rund 80 Fahrgästen besetzte Triebwagen kurz vor neun Uhr auf den unbesetzten, entgegenkommenden Zug prallte.

Das Unglück fällt in eine Phase wichtiger Entscheidungen für die Zukunft der belgischen Bahn. In dieser Woche wollte die Regierung in Brüssel über die Reform des Staatsunternehmens entscheiden. Zur Debatte steht eine Aufteilung der Bahn in mehrere eigenständige Betriebsteile. Der Streit über diese Pläne reicht bis in die Koalitionsregierung hinein.

Thomas Roser

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