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Panorama: Emil und die Detektive in Afrika

NAIROBI .Drei Autodiebe hatten auf einem Parkplatz neben einem vielbesuchten Markt die Türe eines Wagens aufgebrochen und versuchten gerade, die Zündung kurzzuschließen.

NAIROBI .Drei Autodiebe hatten auf einem Parkplatz neben einem vielbesuchten Markt die Türe eines Wagens aufgebrochen und versuchten gerade, die Zündung kurzzuschließen.Eine Gruppe von Straßenkindern, die in der Gegend um den Markt lebt, wußte, daß das Auto einem Geschäftsmann gehörte und stellte die Autodiebe zur Rede.Einer von ihnen packte einen der Jungen und drohte ihm Prügel an, worauf die anderen zu schreien anfingen.

Als die drei daraufhin die Flucht ergriffen, hatte der 12jährige Stephen Kariuki seine Chance, den Helden zu spielen: Er stellte einem der Davonlaufenden ein Bein, die anderen warfen sich auf ihn.Mittlerweile waren Menschen zusammengelaufen, und dann folgte eine der rüden Szenen, die sich meist abspielen, wenn ein Dieb oder Räuber von der Menge gestellt wird: Bis die Polizei kam, wurde der Mann von der Menge gepufft, geprügelt und gepeitscht.

Die Tageszeitung "Daily Nation", von der zufällig ein Reporterteam vorbeikam, veröffentlichte ein Bild des Diebes, der von Polizisten abgeführt wird - daneben der strahlende Stephen Kariuki, den die Zeitung als Held des Tages titulierte.

Statt die Helden des Tages sind Straßenkinder in Nairobi jedoch fast immer die alltäglichen Opfer.Ihnen scheint eine Mehrheit der Einwohner Nairobis grundsätzlich das Schlimmste zuzutrauen.Wenn sie in den belebten Straßen der Innenstadt oder auf den Parkplätzen der Einkaufszentren in der Wohnvierteln auf die, die anzubetteln sich lohnen könnte, zutreten, dann werden die Handtaschen und Plastiktüten fester gehalten.

Sie seien doch normalerweise notorische Halsketten- und Handttaschenräuber, schrieb die "Nation", als sie im Ton der Verwunderung über den Vorfall berichtete.Einer der verläßlichsten Tricks der Jugendbanden: Einer mit Plastiktüten beladenen Frau heben sie den Rock hoch - die Tüten werden dann garantiert ganz schnell losgelassen und fallen in die Hände der Kinder.

Es ist unbestritten, daß viele Straßenkinder stehlen, wenn sie nur können.Aber genauso unbestritten ist es, daß die kenianische Gesellschaft völlig überreagiert, wenn sie eines der Übeltäter habhaft wird.Die Neigung, Lynchjustiz zu üben - "das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen", wie die beschönigende Formulierung lautet -, ist in Kenia ohnehin groß.Aber Straßenkindern wird, wenn man sie erwischt, besonders übel mitgespielt - gerade so, als sei die Gesellschaft empört über ihr Spiegelbild, das ihr durch die Existenz der dreckigen, zerlumpten, bettelnden, leimschnüffelnden, stehlenden, sich prostituierenden Kinder vorgehalten wird.

Immer wieder werden Straßenkinder getötet.Mitte des vergangenen Jahres schlugen etwa zehn ambulante Händler an einer Omnibusstation einen 17jährigen Straßenjungen mit Steinen und Knüppeln bewußtlos; als er ins Kenyatta-Krankenhaus gebracht wurde, starb er.Sein Vergehen: Er hatte einem der Händler eine Süßigkeit gestohlen.

Mitunter trifft es auch Straßenkinder, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind.Im vergangenen Jahr schlugen Polizisten offenbar grundlos einen 16jährigen tot, der zusammen mit anderen Straßenjungen in einer dunklen Ecke der Straße zusammensaß.Als es über Ostern zu einer nächtlichen Straßenschlacht zwischen Wachmännern und Straßenkindern kam, nachdem ein Junge überfahren worden war, fielen die Wachmänner auch über zu diesem Zeitpunkt schlafende, also völlig unbeteiligte Kinder her.

Schätzungen zufolge leben in Kenia 150 000 Menschen auf der Straße, die meisten von ihnen Kinder.Anderen Angaben zufolge haben mehr als 90 Prozent der Straßenkinder mit Prostitution zu tun, zwei von dreien sollen mit dem Aids-Virus infiziert sein.

Mittlerweile gibt es eine relativ große Zahl von privaten Initiativen und Organisationen, die den Kindern und Jugendlichen helfen wollen.Wie gegenüber praktisch allen sozialen Problemen verhält sich jedoch der kenianische Staat auch gegenüber den Straßenkindern apathisch bis ablehnend.Außer einem äußerst repressiven Jugendstrafvollzug beschränkt er sich fast nur auf Gesten: So etwa kürzlich, als der Staatspräsident an einem Wohltätigkeitsdinner - Preis pro Gedeck knapp 100 Mark - zugunsten derer teilnahm, die gemeinhin die Mülleimer nach Eßbarem durchwühlen.

WOLFGANG KUNATH

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