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Tod analog. Das digitale Leben kann weitergehen, zumindest im "Gedenkzustand" bei Facebook.

© Doris Spiekermann-Klaas / Tsp

Erbfall Account: Die Chats von Toten bleiben vorerst im Jenseits

Erben haben keinen Anspruch auf das Facebook-Konto verstorbener Angehöriger, hat das Kammergericht geurteilt. Nun sollen Bundesrichter entscheiden – oder die Politik.

„Es fällt uns nicht leicht, das Urteil so zu fällen“, sagt der Vorsitzende Richter am Berliner Kammergericht Björn Retzlaff. „Aber wir können nicht anders, als Gesetz und Verfassung so anzuwenden, wie es unserer Ansicht nach richtig ist. Wir haben uns sehr bemüht.“

Es schwingt Mitgefühl mit, fast klingt es nach einer Entschuldigung bei den Klägern, einem Elternpaar, das Einsicht in den Facebook-Account ihrer Tochter verlangt. Vergeblich. Das Gericht hat die Klage am Mittwoch abgewiesen. Das wäre zu verkraften, läge dem Rechtsstreit nicht ein kaum zu verkraftendes Geschehen zugrunde. Das 15-jährige Mädchen ist tot. Es wurde von einer einfahrenden U-Bahn erfasst.

Die Umstände blieben unklar. Ein Suizid? Die Mutter hofft, in den Chats Anhaltspunkte oder mögliche Motive zu finden. Aber sie kann nicht, trotz Kenntnis der Zugangsdaten, die sie zu haben behauptet. Facebook hat den Account in einen „Gedenkzustand“ versetzt. Die Kommunikationen sind gewissermaßen eingefroren. Einsicht haben nur noch die früheren Chat-Partner, von denen niemand weiß, wer sie sind. Einer von ihnen hatte den „Gedenkzustand“ beantragt, wie es nach Facebook-Richtlinien beim Versterben eines Account-Inhabers zulässig ist.

Ein Vertrag wie andere auch?

Die Auseinandersetzung der Eltern mit dem von weltweit rund zwei Milliarden Nutzern gefütterten US-Internet-Riesen gilt als Präzedenzfall dafür, ob es ein „digitales Erbe“ gibt und was damit zu geschehen hat. Das Landgericht hatte der Klage in erster Instanz noch stattgegeben und Facebook verpflichtet, den Eltern der Verstorbenen als deren Erben Zugang zu dem Benutzerkonto und dessen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Der Nutzungsvertrag für die Facebook-Dienste, den die Tochter abgeschlossen hatte, sei wie jeder andere schuldrechtliche Vertrag auf die Erben übergegangen. Eine unterschiedliche Behandlung des digitalen und des „analogen“ Vermögens des Erblassers sei nicht gerechtfertigt. Facebook-Posts seien so etwas wie Briefe oder Tagebücher, die ebenfalls vererbt werden könnten.

Eine eltern- und erbenfreundliche Sicht der Dinge, die das Landgericht noch unterstrich, indem es die Erziehungsberechtigten auch postmortal zu Beschützern des Persönlichkeitsrechts ihrer Tochter erklärte – jedenfalls dann, wenn „besondere Umstände“ vorlägen wie eine ungeklärte Todesursache. Die Facebook-Richtlinien zum „Gedenkzustand“ seien zudem unwirksam, weil es Nutzer und Nutzer-Erben unangemessen benachteilige, wenn Facebook-Freunde das Profil anderer einfrieren lassen könnten.

Schon bei der Berufungsverhandlung Ende April wurde deutlich, dass ein Urteil des Kammergerichts eine andere Richtung nehmen könnte, gerade mit Blick auf das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis. Das Gericht wollte einen Vergleich: Facebook sollte die Einträge in Teilen geschwärzt herausgeben. Die Parteien schlugen das aus. So blieb den Richtern nichts anderes übrig, als einen Fall zu entscheiden, den sie lieber nicht entschieden hätten.

Der entscheidende Punkt: das Fernmeldegeheimnis

Ob ein Facebook-Konto überhaupt nach den klassischen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vererbt werden kann, wie das Landgericht meint, ließen die Richter offen. Es spräche zwar einiges dafür, sagt Retzlaff, doch könne der Vertrag mit dem sozialen Netzwerk „höchstpersönlichen Charakter“ haben wie eine Vereinsmitgliedschaft, die auch niemand erben könne. Der entscheidende Punkt sei das Fernmeldegeheimnis, Artikel zehn des Grundgesetzes, das für elektronische Dienste-Anbieter im Telekommunikationsgesetz (TKG) präzisiert wird und einem möglichen Anspruch entgegenstehe. Facebook-Dialoge seien zwar kein Telefongespräch, für die das Grundrecht gedacht gewesen sei, es handele sich jedoch um „geronnene, speicherbare“ Ergebnisse. Nutzer seien schutzbedürftig, da sie technisch nicht Möglichkeit hätten, zu verhindern, dass die E-Mails durch den Provider weitergegeben würden.

Eine Ausnahme von diesem Schutz sei nicht geboten, meinen die Richter. Kommunikationsinhalte dürften Dritten laut TKG nur zur Kenntnis gebracht werden, wenn dies für den Betrieb des Anbieters erforderlich sei. Das Landgericht hatte hier die Erbregeln des BGB ins Spiel gebracht. Die Kammerrichter machen da nicht mit. Die vergleichsweise alten Vorschriften könnten den Grundrechtsschutz durch das Fernmeldegeheimnis nicht einschränken. Ein Verzicht auf den Schutz, wie er etwa durch die Weitergabe der Account-Daten an die Mutter erkennbar sein kann, komme ebenfalls nicht in Betracht, weil dann immer noch die Zustimmung der anderen Chat-Partner fehlen würde. Ansprüche aus dem Sorgerecht gebe es keine, da es mit dem Tod des Kindes erlösche. Auch aus den Persönlichkeitsrechten der Mutter ließen sich keine Ansprüche folgern.

Die Eltern wollen weiter Aufklärung

Weder Facebook-Vertreter noch die Kläger ließen sich bei der Urteilsverkündung blicken. Richter Retzlaff spricht nur zu Presse und Zuschauern. Die Eltern ließen später über ihren Anwalt erklären, sie würden die Hoffnung nicht aufgeben, „dass wir Gewissheit über die Hintergründe des Ablebens unser Tochter gewinnen“.

Das letzte Wort möchte Retzlaff in der Sache nicht haben, das Gericht lässt die Revision zum Bundesgerichtshof zu. „Eine Frage von großer Relevanz“, sagt der Richter, die möglicherweise erst vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden kann.

Oder vom Gesetzgeber. Der Deutsche Anwaltverein hatte schon vor vier Jahren ein Gesetz für den „digitalen Nachlass“ entworfen. Aufgegriffen wurde der Vorschlag bisher nicht. Für die Politik ist der Fall des toten Mädchens und seiner Eltern ein Schicksal. Eines, mit dem sich die Justiz zu befassen hat. Ein Einzelfall, kein Regelfall.

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