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Erdbeben: Gefahr für Deutschland?

In Süddeutschland bebte am Dienstagmorgen die Erde, verletzt wurde dieses Mal aber niemand. Wie groß ist hierzulande die Gefahr eines starken Erdbebens – und welche Auswirkungen könnte es haben?

Vor vier Wochen erst erschütterte ein Erdbeben die italienischen Abruzzen, am Dienstag um 3.39 Uhr in der Früh bebte der Untergrund schon wieder. Doch dieses Mal in Süddeutschland. Das Epizentrum habe in Steinen im Schwarzwald gelegen, berichtet der baden-württembergische Landeserdbebendienst. Dort hätten die Stöße eine Stärke von bis zu 4,5 erreicht, kleinere Erschütterungen seien jedoch in einem Umkreis von rund hundert Kilometern zu spüren gewesen.

Aufgrund der geringen Intensität gab es keine Verletzten, allerdings wurden an einem Haus mehrere Risse festgestellt. Und in der Schweiz waren den Berichten zufolge rund 1000 Haushalte für einige Minuten ohne Strom.

Ursache für die Erdstöße ist eine Dehnung des Untergrunds. Entlang einer Achse, die etwa dem Verlauf des Rheins entspricht, wird die Erdkruste auseinandergezogen. Die harten Gesteine widersetzen sich der Bewegung, dadurch nimmt die Spannung in der Tiefe immer mehr zu. Erreicht sie eine gewisse Größe, zerreißen die Schichten: Die Erde bebt.

Im Südwesten der Republik, aber auch in der Schweiz und in Frankreich sind derartige Erdstöße keine Sensation. Im Durchschnitt treten sie alle zwei bis drei Jahre in dieser Stärke auf. Im Dezember 2004 zum Beispiel gab es bei Freiburg ein Beben der Stärke 5,4. „Diese Region ist schon sehr lange seismisch aktiv“, sagt der Geologe Mark Handy von der Freien Universität Berlin. „Bereits vor 35 Millionen Jahren begann dort die Öffnung des Oberrheingrabens.“

Was genau die Streckung der Erdkruste hervorruft, ist unter Geowissenschaftlern jedoch umstritten. Am wahrscheinlichsten ist der Zusammenstoß mit Afrika. Mit einer Geschwindigkeit von wenigen Millimetern pro Jahr bohrt sich der afrikanische Kontinent in die Kruste Europas. „Die Grenze der Erdplatten ist nicht schnurgerade, sondern es gibt harte Blöcke, die hervorragen“, sagt Handy. An solchen Spitzen sind die Spannungen im Untergrund anders orientiert als in geraden Abschnitten. Das führt dazu, dass es trotz einer Kollision Regionen gibt, in denen die Erde gedehnt wird.

Doch nicht nur der Schwarzwald ist von solchen Dehnungsbeben bedroht. Sie treten entlang des gesamten Rheins auf. Ein weiteres Gefährdungsgebiet ist das Vogtland, das sich im Dreiländereck von Sachsen, Thüringen und Bayern befindet. Dort gibt es im Schnitt alle acht Jahre sogenannte Schwarmbeben, bei denen nicht ein großes, sondern viele kleine Beben auftreten. Die Erdstöße dauern mehrere Tage, mitunter sogar Wochen an. Die Stärke ist aber meist gering, und es klirren meist nur die Gläser im Schrank. Anders als in Süddeutschland entstehen die vogtländischen Beben durch vulkanische Aktivität. Forscher vermuten, dass Gase aus einer rund 30 Kilometer tiefen Magmakammer aufsteigen und in den oberen Stockwerken des Gebirges zu kleinen Brüchen führen.

In den übrigen Landesteilen sei mit keinem großen Beben zu rechnen, wenngleich man die Gefahr nicht völlig ausschließen könne, sagt Handy. Auch Bohrungen zur Nutzung von Erdwärme sind aus seiner Sicht in Norddeutschland unbedenklich – obwohl ein solches Projekt vor zwei Jahren in Basel zu einem 3,5er- Beben geführt hatte. „Um einen Erdstoß auszulösen, muss die Kruste bereits unter Spannung stehen“, erläutert er. Das sei im Norden kaum der Fall.

Welche Stärke ein Erdbeben maximal erreichen kann, hängt allerdings von vielen Faktoren ab. Etwa von der Art der Gesteine, die zerreißen, und von der Größe des Bruchs. „Ein so heftiges Beben wie das vor Indonesien im Jahr 2004 zum Beispiel wäre hier mitten in einem Kontinent undenkbar“, sagt Handy.

Außerdem treten große Beben viel seltener auf als kleine. Für eine Risikoanalyse müssen sich die Experten also auf einen langen Zeitraum festlegen, um etwa Bauvorschriften zu formulieren. Meist sind das 500 Jahre.

Wie stark ein Beben sei, das im Schnitt nur alle 500 Jahre auftritt, hänge von der jeweiligen Region ab, sagt Lothar Stempniewski vom Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology in Karlsruhe. „Im Südwesten, wo die seismische Aktivität hoch ist, muss man mit einer Stärke von etwa 6,5 rechnen.“ Das entspricht ungefähr dem Beben im italienischen L’Aquila Anfang April. „Aber diese Zahl allein nützt nur wenig“, sagt der Bauingenieur. „Wichtiger ist es, mögliche Schäden zu beziffern.“

Stempniewski und seine Kollegen haben deshalb für ganz Deutschland die natürliche Bebenwahrscheinlichkeit mit dem tatsächlich vorhandenen Gebäudebestand abgeglichen. Das Ergebnis ist eine Karte, die potenzielle Schäden eines „475-Jahre-Bebens“ darstellt (siehe Grafik). Da die Forscher nicht jedes Haus betreten konnten, haben sie dafür exemplarisch Gebäude in Musterkommunen begutachtet. Zugleich haben sie, basierend auf Studien aus Erdbebengebieten, für jeden Gebäudetyp mögliche Schäden bei unterschiedlich heftigen Erdstößen errechnet.

Bislang berücksichtigt die Gefährdungskarte nur Gebäude. „Zurzeit sind wir mit einer Studie zu Brücken befasst“, berichtet Stempniewski. „Wie es aussieht, dürften die meisten standhalten.“ Im nächsten Schritt sollen Industrieanlagen analysiert werden. Denn in der globalisierten Wirtschaft können selbst kleine Beben große Auswirkungen haben. Stempniewski berichtet von einer thailändischen Firma, die den Großteil der Zylinderkopfdichtungen für japanische Autos herstellt. „Als ein Erdbeben in Thailand die Produktion lahmlegte, standen in Japan tagelang die Montagebänder still.“

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