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Erdbeben in China: In ihrer Not beten sie

Die Katastrophe nimmt kein Ende: Mittlerweile fielen dem verheerenden Erdbenen mehr als 20.000 Menschen zum Opfer, Zehntausende sind verschüttet. Die Armee kämpft sich durch die Trümmer. Noch denkt niemand an Baupfusch und Korruption.

Aus Steinen und Holzbalken haben Eltern kleine Altäre gebaut, auf denen sie Opfergeld aus Papier verbrennen und vor denen sie beten. Seit am Montag Nachmittag die Erde bebte, ist die Mittelschule von Beichuan nur noch ein Haufen Steine und Geröll. Immer wieder ziehen Helfer die Körper von Schülern aus den Trümmern, die meisten sind tot. Ein Mädchen hat überlebt, aber durch das Unglück beide Beine verloren. Die umstehenden Eltern brechen in Tränen aus. „Ich bete nur, dass mein Kind heil und gesund ist“, sagt eine Mutter mit tränenüberströmtem Gesicht den chinesischen Journalisten. „Was macht es, dass unser Haus zerstört ist." Eine andere Mutter mit dem Namen Chen Linglin ist eine der wenigen, die Glück gehabt hat. Ihre Tochter, die in die erste Klasse geht, hat überlebt. „Wir brauchen zuallererst Essen und Wasser“, sagt sie.

Bis zu 1000 Schüler und Lehrer sind nach Angaben der Hilfskräfte unter den Trümmern der Schule begraben, die Chance für ihr Überleben wird mit jeder Stunde geringer. Das Beben ereignete sich während der Unterrichtszeit. Alle 21 Klassenzimmer waren besetzt. Das siebenstöckige Schulgebäude sei wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen, berichten Augenzeugen. Beichuan, ein Landkreis mit 260.000 Einwohnern nördlich von Chengdu, ist einer der am schlimmsten von der Katastrophe betroffenen Orte. Helfer schätzen, dass etwa die Hälfte der 18 000 Stadtbewohner getötet worden seien.

Weil alle Straßen zerstört sind, erreichen erst am Dienstagmorgen die ersten Rettungsmannschaften der Volksbefreiungsarmee die Stadt. Bis dahin blieb den Menschen der Stadt nichts anderes übrig, als mit bloßen Händen Steinmassen und Trümmer zu bewegen, in der Hoffnung, irgendwo in dem Geröll doch noch Überlebende zu finden. An der Beichuan Mittelschule harrten die Nacht über 2000 Schüler, Eltern und Nachbarn in stiller Trauer aus. Fotos zeigen schmerzverzerrte Gesichter. Augen, die alle Hoffnung verloren haben.

Es ist ein kaum vorstellbares Leid, das die Menschen in der hügeligen Gegend im Südwesten der Provinz Sichuan und in den anderen Katastrophengebieten erdulden. Am späten Dienstagabend geben die Behörden die Zahl der Toten mit mehr als 12.000 an. Doch Zehntausende Menschen sind noch immer verschüttet. Weil fast alle Straßen und Brücken zerstört sind, kommen die Helfer und die Soldaten der Volksbefreiungsarmee nur quälend langsam voran. Und als ob das Unglück nicht schon groß genug ist, regnet es in Strömen. Das Unwetter verhindert, dass Militärhubschrauber im Landkreis Wenchuan, dem Epizentrum des Bebens, landen können. Versuche, Helfer mit Fallschirmen in das Gebiet zu schicken, müssen wegen des schlechten Wetters und der Wolken gestoppt werden. Erst am späten Nachmittag, mehr als 24 Stunden nach dem Unglück, gelingt es Soldaten, zu Fuß in das Gebiet vorzudringen, in dem vermutlich 60.000 Menschen von dem Beben betroffen sind. Die Bilder in den zerstörten Dörfern und Städten gleichen sich. Es seien vor allem Schulen und Krankenhäuser, die eingestürzt sind, berichten die chinesische Medien. Liegt das an den Bauvorschriften? Pfusch am Bau? Korruption? Daran denken die Menschen noch nicht. Sie beten.

Harald Maass[Peking]

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