zum Hauptinhalt
Erdbeben

© dpa

Erdbeben: Zwei lange Minuten

Eingestürzte Häuser, Tote in den Straßen, frierende Überlebende – das Ausmaß der Schäden und Verluste nach dem Erdbeben in Peru ist nicht abzusehen.

Es war 20 vor sieben am Mittwochabend Ortszeit, als in Peru die Scheiben anfingen zu klirren und die Telefone verstummten. Die Erde zitterte fast zwei endlose Minuten lang – eines der schwersten Erdbeben seit Jahrzehnten erschütterte das Andenland, Ausläufer waren sogar im benachbarten Ecuador zu spüren. „Wir waren gerade beim Abendessen, als das Beben anfing. Zusammen mit meiner Frau und meiner Tochter rannten wir aus dem Haus und umarmten uns. Wir sahen, wie die Wände einstürzten“, schilderte Juan Cardenas aus einem Dorf südlich der Hauptstadt Lima die schrecklichen Minuten. „Auch die Nachbarhäuser fielen ein. Wir haben alles verloren.“

In den Straßen der verwüsteten Küstenstädte haben sich dramatische Szenen abgespielt. „Hunderte Tote liegen auf den Straßen, die Krankenhäuser sind überfüllt mit Verletzten. Es ist einfach unbeschreiblich. 70 Prozent unserer Stadt wurden verwüstet“, sagte Juan Mendoza, Bürgermeister der Küstenstadt Pisco. Er bat die peruanische Regierung um sofortige medizinische Hilfeleistungen. „Wir haben kein Wasser, die Kommunikationsnetze funktionieren nicht, die Häuser sind eingestürzt, die Kirchen zerstört“, erklärte der Bürgermeister der 130 000 Einwohner zählenden Küstenstadt.

Eine alte Kirche, in der gerade ein Gottesdienst stattgefunden habe, sei beim Beben eingestürzt. Auch aus dem Ort Chincha wurden ähnlich verheerende Zerstörungen gemeldet.

In Ica richteten die Behörden während der Nacht in völliger Finsternis Nothospitäler in Zelten ein. Besondere Verwüstungen richtete das Beben der Richterstärke 7,9 in der Region Ica rund 260 Kilometer südlich der Hauptstadt Lima an. In den ärmlichen Dörfern stürzten die fragilen Lehmhäuser reihenweise ein; Straßen wurden von Erdrutschen verschüttet oder sind wegen Erdspalten unpassierbar, Brücken brachen zusammen, Telefon- und Stromleitungen wurden zerstört.

In manchen Gebieten wurden 80 Prozent aller Häuser zerstört

Wegen der starken Nachbeben verbrachten viele Menschen die eisige Winternacht im Freien. Am Donnerstag morgen war es unmöglich, per Auto auf dem Landweg von Lima nach Ica vorzudringen. Wegen der unterbrochenen Kommunikationswege trafen die Katastrophenmeldungen nur langsam in der Hauptstadt ein. Am Donnerstag ging der Katastrophenschutz von über 330 Todesopfern und mehr als 1300 Verletzten aus. Da das Ausmaß des Bebens aber noch überhaupt nicht abgeschätzt werden kann, handelt es sich nur um vorläufige Zahlen. Die Behörden warten auf Berichte aus Orten, von denen bisher keine Meldungen vorliegen.

Rettungsmannschaften suchen in den Trümmern nach Überlebenden. Auch in der Hauptstadt Lima kam es zu Erdrutschen; Scheiben gingen zu Bruch, und in einem Gebäude brach Feuer aus. „Wir rannten panisch auf die Straße und haben Wildfremde umarmt und geweint“, schilderte eine 31jährige Angestellte. „Die Erde fühlte sich an wie Gelatine und bewegte sich in Wellen“, schilderte der Grafikdesigner Antony Falconi. Nach dem Beben, dessen Epizentrum im Meer lag, gab das Frühwarnzentrum in Hawaii Tsunami-Alarm, der jedoch später wieder zurückgenommen wurde. Im Hafenviertel von Lima führten die hohen Wellen dennoch zu Überschwemmungen. Präsident Alan Garcia übermittelte in einer Fernsehansprache den Opfern sein Beileid und verhängte den Ausnahmezustand in Ica. Er suspendierte den Unterricht wegen Einsturzgefahr bei vielen Schulen und versprach, für alle entstandenen Schäden – auch die nicht versicherten – aufzukommen.

Er bezeichnete die Zahl der Opfer als „nicht so hoch angesichts der Stärke des Bebens“. Gesundheitsminister Carlos Vallejos reiste von Medizinern und Krankenschwestern begleitet in das Katastrophengebiet. Am Donnerstag morgen begann die Armee, per Luftbrücke von Lima aus Medikamente und Lebensmittel in die Region zu bringen. Die Ärzte suspendierten umgehend ihren erst vor Tagen begonnenen Streik. Papst Benedikt XVI segnete die Opfer und Helfer. Die Regierungen Mexikos, Venezuelas und Panamas versprachen Hilfe, auch die EU entsandte einen Gutachter.

Beim bislang schlimmsten Beben in Peru kamen im Jahr 1970 etwa 50 000 Menschen ums Leben, als eine durch die Erdstöße ausgelöste Eis- und Schlammlawine aus den Anden ein ganzes Gebiet verschüttete. Das Erdbeben in Peru kam für Experten nicht überraschend. „Peru ist ein ganz klassisches Erdbebenland, die Pazifikküste Südamerikas allgemein ein Starkbebengebiet“, sagte der Krefelder Geophysiker Klaus Lehmann dpa. Der Experte vom Geologischen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen wies darauf hin, dass sich vor Peru die ozeanische Kruste der Nazca-Platte unter die südamerikanische Kontinentalplatte schiebe.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false