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© dpa

Erdbebenopfer in Haiti: Hilfsorganisationen kämpfen mit den chaotischen Verhältnissen

Die Helfer versuchen verzweifelt, die Opfer des Bebens zu versorgen. Ärzte ohne Grenzen sagt, noch nie habe man so viele Menschen mit so schweren Verletzungen gesehen.

In einer Mittteilung schreibt die Hillfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, dass die Frachtflugzeuge der Organisation mit lebensrettenden medizinischen und chirurgischen Materialien an Bord bisher keine Landeerlaubnis in Port-au-Prince erhalten haben. Dies sei aber Voraussetzung dafür, dass Tausende Verwundete behandelt werden können, die auf einen lebensnotwendigen chirurgischen Eingriff warten.

Flugzeugen mit lebensrettender Ausrüstung und medizinischem Personal an Bord müsse sofort Priorität eingeräumt werden. Trotz Garantien der Vereinten Nationen und des amerikanischen Verteidigungsministeriums sei ein Frachtflugzeug von Ärzte ohne Grenzen mit einem aufblasbaren chirurgischen Krankenhaus an Bord am Samstag von der Landung in Port-au-Prince abgehalten und in die Dominikanische Republik umgeleitet worden. Das gesamte Material aus der Maschine wird nun per Lastwagen von Samana losgeschickt, wodurch sich die Ankunft des Krankenhauses um weitere 24 Stunden verzögere.

Eine zweite Maschine von Ärzte ohne Grenzen ist derzeit mit weiterem lebensrettenden medizinischen Material und der restlichen Krankenhausausrüstung auf dem Weg und soll heute planmäßig in Port-au-Prince landen. Falls dieses Flugzeug ebenfalls umgeleitet werden sollte, wird sich der Aufbau des Krankenhauses weiter verzögern; in einer Situation, in der Tausende Verwundete immer noch eine lebensrettende Behandlung brauchen. Das aufblasbare 100-Betten-Krankenhaus besteht aus zwei Operationssälen, einer Intensivstation, einer Notaufnahme und der notwendigen Ausrüstung, die zur Sterilisation des Materials benötigt wird. 

Die Organisation zeigte sich schockiert über das Ausmaß des Erdbebens. Noch nie hätten die erfahrenen Mitarbeiter von Médecins sans Frontières (MSF, Ärzte ohne Grenzen) so viele Menschen mit so schweren Verletzungen gesehen wie in Haiti, erklärte die Organisation am Sonntag in Paris. Seit ihrer Ankunft in Port-au-Prince hätten die Notfallteams von MSF ohne Unterbrechung gearbeitet, nur die dringendsten Fälle behandelt, Kaiserschnitte und Amputationen vorgenommen. Unter chaotischen Umständen hatte am Wochenende die Verteilung der Lebensmittel durch Uno und Hilfsorganisationen begonnen.

Auch fünf Tage nach dem Erdbeben wurden noch Überlebende geborgen. Unter Berufung auf türkische Rettungskräfte berichte AFP, unter einem eingestürzten Supermarkt in der Hauptstadt konnten drei Menschen gerettet werden. Auch die deutsche Besitzerin des Hotels Montana hat in einem Hohlraum überlebt, wie ihr Mann mitteilte. Das Montana war vor allem bei Ausländern beliebt. Unter den Trümmern werden bis zu 200 Opfer vermutet.

Die Staatengemeinschaft kündigte weitere Anstrengungen an, um der Lage Herr zu werden und den verzweifelten Menschen in dem zerstörten Land zu helfen. Barack Obama erklärte die Hilfe für Haiti in einer gemeinsamen Erklärung in Washington mit Bill Clinton und George Bush zur Chefsache.

Nach tagelangen Anstrengungen kämpften sich die Helfer nun auch in Gebiete außerhalb der Hauptstadt vor. Nach Angaben der Weltorganisation sind die Zerstörungen in Städten rund um Port-au-Prince mindestens genauso schlimm wie in der Hauptstadt. In Léogane– etwa 30 Kilometer westlich von Port-au-Prince – seien 80 bis 90 Prozent der Gebäude vernichtet worden. "Hier ist das Epizentrum des Bebens und viele viele tausend sind tot", sagte ein Sprecher des Welternährungsprogramms (WFP) der Uno. Es sei praktisch jedes Haus zerstört, Militärs gingen von bis zu 30.000 Todesopfern aus. In Léogane lebten vor dem Beben etwa 134.000 Menschen. In den Orten Gressier und Carrefour sei in den am schlimmsten betroffenen Vierteln fast jedes zweite Haus zerstört. An der Südküste in Jacmel sind 50 bis 60 Prozent der Gebäude vernichtet.

Nach wie vor gab es erhebliche logistische Engpässe am Flughafen von Port-au-Prince, wo die USA inzwischen die Kontrolle übernommen haben. Die Verteilung der Hilfslieferungen verbessere sich, "aber sie bleibt sehr kompliziert und sehr langsam", sagte die Sprecherin des UN-Büros für die Koordination humanitärer Angelegenheiten (OCHA), Elisabeth Byrs. Sie hatte das Erdbeben zuvor als eine "Katastrophe historischen Ausmaßes" bezeichnet, die schlimmste in der Geschichte der Uno.

US-Hubschrauber erhöhten zwar die Frequenz der Hilfslieferungen, viele hungernde Menschen plünderten jedoch erneut Geschäfte in der Hauptstadt Port-au-Prince. Das Welternährungsprogramm (WFP) richtete Ausgabestellen für Lebensmittel ein, an denen sich lange Schlangen bildeten. Die Organisationen des internationalen Roten Kreuzes flogen nach Angaben eines Sprechers 15 Flugzeugladungen Hilfsgüter ein, die von 19 Hubschraubern stetig abgeworfen würden.

Unter den Toten des Erdbebends befindet sich auch die gesamte Spitze der UN-Mission in Haiti (MINUSTAH). UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon bestätigte, der Missionschef Hedi Annabi aus Tunesien, dessen Stellvertreter Luiz Carlos da Costa und der UN-Polizeichef in Haiti, der Kanadier Doug Coates, seien tot aus den Trümmern geborgen worden. Damit ist das Erdbeben in Haiti der schwerste Schlag für die internationale Organisation seit August 2003: Damals waren bei einem Selbstmordanschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad 22 Mitarbeiter getötet worden, unter ihnen der Sonderbeauftragte Sergio Vieira de Mello. Zu Beratungen über die Lage tritt am Montag in New York der UN-Sicherheitsrat zusammen, wie das mexikanische Außenministerium mitteilte. 

Bis die Hilfe bei allen 1,5 Millionen Obdachlosen ankommt, dürfte es aber noch dauern. Ein Beobachter sah, wie ein US-Hubschrauber ein halbes Dutzend kleiner Kartons mit Hilfsgütern über einem Stadion voller hungernder Menschen abwarf. Viele versuchten, sich mit dem Einsatz von Buschmessern einen Teil dieser mageren Ration zu sichern. Nach Angaben der Uno versuchen viele Menschen angesichts der zunehmenden Gewalt und des Verwesungsgestanks in der Hauptstadt in andere Landesteile zu fliehen.

In Washington sagte Präsident Barack Obama, die Verteilung der Hilfsgüter sei eine "enorme Herausforderung". Die Hilfeleistungen würden "Monate und Jahre" laufen. "Wir stehen der Bevölkerung von Haiti bei, die eine so unglaubliche Widerstandsfähigkeit gezeigt hat, und wir werden ihr helfen, von vorne zu beginnen und wiederaufzubauen", sagte Obama. Gemeinsam mit seinen Amstvorgängern George W. Bush und Bill Clinton rief er seine Landsleute zu Spenden für Haiti auf. Die USA hätten eine der größten Hilfsaktionen in ihrer Geschichte gestartet.

Nach Schätzungen der haitianischen Behörden wie auch der Weltgesundheitsorganisation WHO kamen bei dem Erdbeben am Dienstag bis zu 50.000 Menschen ums Leben, 250.000 weitere wurden verletzt. Etwa 1,5 Millionen Menschen wurden obdachlos. Haitis Ministerpräsident Jean-Max Bellerive sagte AFP am Samstag, bislang seien 25.000 Todesopfer geborgen und beerdigt worden. Temperaturen um die 30 Grad beschleunigten die Verwesung der in den Straßen liegenden Leichen und erhöhten die Seuchengefahr.

OCHA-Sprecherin Byrs gab sich am Sonntag zuversichtlich, dass noch mehr Überlebende gefunden werden könnten. Bis zum Vortag seien mehr als 70 Verschüttete geborgen worden, weitere könnten noch in Hohlräumen ausharren.

US-Außenministerin Hillary Clinton sicherte den Haitianern vor Ort langfristigen Beistand zu: "Wir werden heute, morgen und in Zukunft hier sein", sagte sie in Port-au-Prince.

Quelle: ZEIT ONLINE, AFP

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