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Erfurt: Wieder Leben im Gutenberg-Gymnasium

Mit den 600 Gymnasiasten und ihren Lehrern kehrt nach drei Jahren Leben in die Erfurter Schule zurück, deren Namen viele Menschen mit einer schrecklichen Bluttat verbinden. Es ist die Rückkehr an einen Tatort.

Erfurt (06.07.2005, 14:47 Uhr) - Es ist ein Kommen und Gehen: Junge Leute tragen Umzugskartons und zusammengerollte Landkarten die Freitreppe zum Portal hinauf, auf dem «Gutenbergschule - erbaut 1908» steht. In den farbig getünchten, breiten Fluren geht es geschäftig zu. Es wird ausgepackt und eingeräumt.

Hinter der hellbeigen Jugendstilfassade mit den großen brauen Fenstern hatte am 26. April 2002 ein 19 Jahre alter Ex-Schüler mit einer Pistole wild um sich geschossen. Er tötete zwölf Lehrer, zwei Schüler, die Sekretärin, einen Polizisten - und richtete sich selbst. Die Bilder von Angst gezeichneten Kindergesichtern, schwerbewaffneten Polizisten und sich in den Armen liegenden Mädchen des Gutenberg-Gymnasiums gingen von Erfurt um die Welt. Etwa zehn Minuten dauerte nach den Ermittlungen von Justiz und Polizei das Morden - Minuten, die das Leben der Familien der Toten, von Lehrern und Schülern aus den Angeln riss.

«Wir haben nicht vergessen, was passiert ist, aber wir können damit inzwischen umgehen», sagt eine 16-Jährige, die noch vor dem Umzug die Prüfungen der 10. Klasse absolviert hat. «Ich freue mich, dass wir wieder hier sind. Wir mögen diese Schule», sagt Christin aus einer 9. Klasse. Mit dem Abstand von drei Jahren und neu hinzu gekommenen Jahrgängen wollen die Gymnasiasten, ihre Lehrer und Schulleiterin Christiane Alt vor allem eins: Normalität. «Wir sind einen langen, mühsamen Weg gegangen.»

Trotzdem igeln sie sich nicht ein, wollen aber nicht immer wieder von der Vergangenheit und dem monströsen Verbrechen sprechen. Die Glastür des Gymnasiums, das für fast zehn Millionen Euro umgebaut wurde, steht offen. Das soll auch so bleiben, wenn der Unterricht Ende August beginnt. Die obersten Stufen der riesigen Freitreppe, unter der sich nach dem Umbau eine Aula verbirgt, lassen den Bick in die Klassenräume der unteren Etagen zu. Hinter den Fenstern sitzen junge Leute, reden, lachen. Beim Auspacken in den Gängen ist ein Hauch Ferienstimmung zu spüren, andere erkunden neue Errungenschaften wie Mensa, Bibliothek und Hörsäle.

Die Projektwoche bis zum Ferienbeginn, die für auch den Umzug vom Ausweichquartier am anderen Ende der Thüringer Landeshauptstadt genutzt wird, soll beim Herantasten an den Ort helfen, der für viele mit traumatischen Erlebnissen verbunden ist. Als Geschichtslehrer Rainer Heise, der den Täter Robert Steinhäuser nach seinem Mordfeldzug eingesperrt hatte, am Mittwoch zur Projektwoche kommt, begrüßen ihn zwei ältere Schüler mit «Hallo» und einer kurzen Umarmung.

«Es ist nicht so, wie viele denken: Dass wir Angst vor der Schule haben. Es ist eher wie ein Neubeginn», sagt eine 17-Jährige. Im Gymnasium soll es einen «Raum der Stille» als Rückzugspunkt geben. Noch ist nicht ganz klar, wie er eingerichtet wird. «Viele wollen aber, dass die Namen der Toten dort stehen.» (Von Simone Rothe, dpa)

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