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Ernte ohne Dank: Landwirte beklagen Verluste wegen Ehec-Epidemie

In Deutschland und anderen europäischen Ländern bleiben Bauern auf ihrem Gemüse sitzen. Welches Ausmaß haben die Ausfälle?

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Die Verbraucher sind verunsichert wegen Ehec – für die Erzeugerbetriebe von Tomaten, Gurken und Blattsalat hat das zum Teil verheerende Auswirkungen. Nun hat die EU-Kommission Entschädigungszahlungen für betroffene Unternehmen in Höhe von 150 Millionen Euro vorgeschlagen.

Wie stark leiden die deutschen Gemüsebauern unter den Folgen von Ehec?

Seit Beginn der Ehec-Krise haben sich die Umsätze der deutschen Gemüsebauern in etwa halbiert: Der Deutsche Bauernverband beziffert die Umsatzeinbußen auf etwa fünf Millionen Euro pro Tag, insgesamt waren es bislang 50 Millionen Euro. Am stärksten betroffen sind die Bauern in Norddeutschland, aber auch in anderen Landesteilen bleiben Bauern auf ihrem Gemüse sitzen. „Wir befinden uns gerade in der Haupternte, da trifft uns Ehec besonders stark“, sagt Hans-Dieter Stallknecht, beim Bauernverband für den Fachausschuss Obst und Gemüse zuständig.

Die deutschen Bauern fühlen sich an Tschernobyl vor 25 Jahren erinnert. Damals mussten sie als Vorsichtsmaßnahme ihr Freilandgemüse unterpflügen. Die Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung, Salat, Tomaten und Gurken nicht roh zu verzehren, habe faktisch die gleiche Wirkung wie damals die behördliche Anordnung, sagt Karl Schmitz, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO): „Wir werden unsere Ware nicht mehr los.“

Die Folge: Die Salate auf den Feldern werden gehäckselt und in den Boden eingepflügt. Gurken und Tomaten aus den Gewächshäusern werden nach der Ernte auf die Müllkippe gebracht. „In einigen Kommunen müssen die Bauern auch noch dafür zahlen, dass sie ihr Gemüse als organischen Abfall entsorgen können“, klagt Bauernvertreter Schmitz. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Entschädigungssumme von 150 Millionen Euro für ganz Europa hält er für zu gering. „Das ist weniger als das, was Spanien allein für sich reklamiert“, sagt Schmitz. „Das ist viel zu wenig“, kommentiert auch Bauernverbandskollege Stallknecht die vorgeschlagene Summe.

Wie geht die EU mit dem Problem um?

Wegen der Ehec-Krise ist Deutschland auf europäischer Ebene derzeit nicht besonders gut gelitten. Es gibt Kritik in der EU am Krisenmanagement der Deutschen. EU-Gesundheitskommissar John Dalli warnte bei einer Debatte im EU-Parlament am Dienstag vor vorschnellen Informationen, wenn Infektionsquellen noch nicht wissenschaftlich gesichert seien. Deutsche Abgeordnete von SPD und Grünen stimmten lautstark in die Schelte ein. Das „Tohuwabohu“ zwischen Hamburg, Hannover und Berlin habe zu einem „Ansehensverlust für Deutschland in Europa geführt“, beklagte Jo Leinen, aus dem Saarland stammender SPD-Politiker und Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Die Gesundheits- und Verbraucherexpertin Dagmar Roth-Behrendt (SPD) sagte, eine „überforderte Bundesregierung versinkt im Kommunikationschaos“.

Schon vor dem Treffen der Agrarminister in Luxemburg am Dienstag war klar, dass Spanien sich mit einem Anteil an den von der EU zunächst in Aussicht gestellten 150 Millionen Euro nicht begnügen würde. So verpflichtete sich EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos nach dem Treffen, die Zahl noch einmal durchzurechnen. Spanien beziffert die Verluste durch die voreilige deutsche Informationspolitik auf rund 225 Millionen Euro – pro Woche. Dafür fordert Spaniens Agrarministerin Rosa Aguilar eine hundertprozentige Entschädigung, die sie notfalls einklagen will – eventuell auch von Berlin. Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) beharrte aber darauf, dass es um Entschädigungen „von EU-Seite“ gehe.

Wie versuchen die Fahnder, die Erregerquelle einzukreisen?

Nach wie vor sind die wichtigsten Quellen für die Recherche der Experten die Patientenbefragungen. Sie sind Grundlage der Verzehrwarnungen. Die Patientenangaben haben die Fahnder etwa auf die hessischen Kantinen in Darmstadt und Frankfurt sowie in das Lübecker Restaurant „Kartoffelkeller“ geführt. Nach Informationen des Tagesspiegels gibt es weitere sogenannte „Hot spots“, wie die Experten der „Task Force“ mögliche Gefahrenquellen nennen. Um welche Orte, Einrichtungen oder Veranstaltungen es sich genau handelt – dazu schweigen die Behörden. Fest steht nur: Alle diese Orte, um die es noch geht, liegen in Norddeutschland.

Die Befragungen ergeben nach wie vor nicht nur Hinweise auf Sprossen, sondern auf die zu Beginn der Ermittlungen genannten Gemüsesorten Tomaten, Gurken und Kopfsalat. In einer Befragung von 46 Ehec-Patienten gaben 95 Prozent von ihnen an, dieses Gemüse verzehrt zu haben. Auch Studien zu den Fällen in Hessen ergaben, dass Mitarbeiter, die von der Salattheke einer Kantine gegessen haben, fast siebenmal so häufig blutigen Durchfall bekommen haben wie Mitarbeiter, die keinen Salat gegessen hatten. Nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) werde aber auch anderes Gemüse „ergebnisoffen“ untersucht.

Alle Informationen werden im BVL gebündelt und analysiert, das BVL selbst nennt diese Gruppe „Task Force“, doch der Name vermittelt mehr Dynamik als die Realität es zulässt. Die schnelle Arbeit vor Ort müssen sowieso die Fahnder der Gesundheitsbehörden und des Robert-Koch-Instituts machen. In den Bundesämtern wird dann gepuzzelt und versucht, beispielsweise Lieferwege nachzuvollziehen. Gerade aufgrund dieser langen Behördenkette fällt es selbst den Experten schwer zu glauben, sie könnten jetzt noch den Erreger lokalisieren.

Aus diesem Grund sagt Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung: „Der bakterielle Ausbruch ist sehr schlimm, aber wir müssen damit leben. Solche Epidemien werden auch weiterhin unser Alltag sein. Leider ist das die unbefriedigende Wahrheit.“

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