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Panorama: Eroberer aller Geschlechter

Wie schwul war Alexander der Große? Amerika streitet über Oliver Stones neuen Film

Er war jung, schön, erfolgreich – und vielleicht schwul. Man weiß in dieser Hinsicht nicht viel mit Gewissheit über Alexander den Großen (356–323 v. Chr.), aber eben das macht ihn so interessant. Jetzt hat ausgerechnet Oliver Stone, als Erzprovokateur des US-Kinos immer für einen Skandal gut, das Leben des berühmtesten Griechenfürsten für die Leinwand verfilmt – und verursachte damit schon vor dem US-Filmstart an diesem Wochenende Aufruhr. Zwar deutet Stone die Bisexualität Alexanders eher an, als dass er sie explizit zeigen würde, doch schon diese dezente Darstellung genügt, um Protestler auf die Barrikaden zu bringen.

„Wir haben den Film zwar nicht gesehen“, gibt Jannis Varnakos zu, doch dann wettert der griechische Anwalt, „es gibt kein einziges historisches Dokument, aus dem eine Homosexualität Alexanders hervorgeht.“ Er droht nun in Amerika gemeinsam mit 24 Kollegen der Produktionsfirma Warner Bros. mit einer saftigen Klage. Mindestens, so fordert Varnakos, solle der Vorspann darauf hinweisen, dass alles „frei erfunden ist“.

Seit sich kurz darauf auch noch Gore Vidal zu Wort meldete, war klar: Amerikas Medien bekommen noch eine richtige Debatte zum Jahresende. Der Schriftsteller, ebenso glühender Linkaußen unter den US-Intellektuellen wie ein bekennender Homosexueller, sprang für Stone in die Bresche: Der Film sei „wegweisend und brillant“, ein Durchbruch für die Gleichberechtigung der Schwulen, die Kritiker Stones dagegen seien Hinterwäldler. Vidal hat seine Erfahrungen mit Hollywood. Einst hatte er das Drehbuch zu William Wylers „Ben Hur“ geschrieben und es – trotz allen Erfolgs des Films – dabei wegen einiger zweideutiger Szenen auch bald mit den Moralhütern Hollywoods zu tun bekommen.

Dass es in diesem Streit auch, aber nicht nur um Schlagzeilen und zuschauerträchtigen Wirbel geht, ist offensichtlich. Auch das Private ist in den USA hochpolitisch. Und in Zeiten, in denen die US-Gesellschaft um die von der Regierung heftig bekämpfte Zulassung der Homosexuellenehe streitet, ist einigen offenbar auch ein Männer liebender, Drogen konsumierender Herrscher ein Dorn im Auge.

Zumal viele Zuschauer, die den Film gesehen haben, auch noch Parallelen zwischen Alexander, dem Feldherrn und Eroberer, und der Politik der derzeitigen US-Administration entdecken wollen. Stone zeigt Alexander als komplexbeladenen Sohn, der unter einem übermächtigen, angstvoll verehrten Vater leidet. Einen Bezug zur US-Regierung könnte in dem Film auch Alexanders letztlich gescheiterter Asienfeldzug darstellen, der ihn über den heutigen Irak und Persien bis nach Indien führte.

Regisseur Oliver Stone selbst bestreitet auf Nachfrage solche Ähnlichkeiten: „Mir geht es um eine historisch angemessene Darstellung. Dazu gehört, dass die damalige griechische Kultur andere Vorstellungen von Sexualität hatte“, sagte er im Gespräch. Auch mit dem Irakkrieg und der Bush-Familie habe sein Film nichts zu tun, sagte Stone, der in seinen Filmen unter anderem die US-Präsidenten John F. Kennedy, Richard Nixon, aber auch Jassir Arafat und Fidel Castro, sowie Rockstar Jim Morrisson porträtiert hat: „Was allerdings alle meine Filmhelden gemeinsam haben: Sie hatten eine Vision. Und sie sind oft mit dieser Vision gescheitert.“

Für seinen Film hat Stone die wichtigsten Werke der Geschichtsschreibung konsultiert, aber auch poetische Fantasiestücke wie „Alexander“, den Debütroman von Klaus Mann. „Ein spannendes Buch“, sagt Stone, und tatsächlich weist die 1929 erschienene Darstellung Manns mit dem Untertitel „Roman der Utopie“ einige bemerkenswerte Gemeinsamkeiten mit Stones Film auf: Der bekanntermaßen homosexuelle Schriftsteller porträtiert den Griechenfürsten als Träumer und Vorreiter eines neuen, freiheitlichen Lebensstils, der im Sexuellen eine nie gekannte Freizügigkeit mit sich gebracht habe.

Der britische Historiker und Alexander-Biograf Robin Lane Fox, der Stone in der Vorbereitung beriet, ist sich sicher: „Seine Sexualität entsprach seiner Zeit und seiner Rolle als Kaiser. Alexander konnte alle haben. Er hatte Ehefrauen, Konkubinen, Eunuchen und Männer im Bett.“ Aber genau deshalb sei Alexander nicht der neue Held einer schwulen Gegenkultur. Auch Paul Cartledge, Autor einer neuen Biografie, sekundiert: „Er ist ein normaler Mann seiner Zeit gewesen. Das heißt, er war nicht schwul, sondern bisexuell. Liebe zwischen Männern fanden die Griechen damals normal.“ Das ist auch durch Platon belegt, wobei man streiten könnte, ob er bei der Liebe unter Männern auch körperliche Liebe meinte.

Die heutigen Griechen sehen vieles ein bisschen anders als früher. Als auf einem Historikerkongress in Thessaloniki vor zwei Jahren ein Redner über die Homosexualität Alexanders dozierte, stürmten anschließend mehrere hundert aufgebrachte Demonstranten den Veranstaltungssaal.

Rüdiger Suchsland

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