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Panorama: Erreger öffentlichen Ärgernisses

Warum hat eine US-Firma tödliche Grippe-Viren in alle Welt geschickt? Fünf Fragen, fünf Antworten

Die Verschickung tödlicher Grippeviren durch eine US-Firma an tausende Labors in aller Welt hat unter Experten Entsetzen ausgelöst. Warum?

Gegen diesen Virus-Stamm H2N2, der in den Jahren 1957/58 weltweit bis zu vier Millionen Todesopfer forderte, schützen unsere Grippe-Impfstoffe seit 1968 nicht mehr. Seitdem kursieren nämlich andere Virus-Typen, gegen die aktuelle Impfstoffe Schutz bieten. Vor allem jüngere Menschen haben also gegen das Virus vom Sub-Typ H2N2 keinen Immunschutz ausgebildet. Eine Panne, durch die es wieder in Umlauf käme, könnte Mitarbeiter und Bevölkerung gefährden.

Besteht durch die Verschickung jetzt noch Infektionsgefahr?

Die kanadische Gesundheitsbehörde informierte die WHO am 26. März. In den Labors in aller Welt wurden daraufhin die Proben vernichtet, soweit das nicht schon vorher geschehen war. In den teilnehmenden deutschen Labors gingen die Proben Anfang des Jahres 2005 ein, wie Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut (RKI) mitteilte. Das Robert-Koch-Institut ist in Deutschland unter anderem für die Bekämpfung von Seuchen zuständig. „Die deutschen Labors haben frühzeitig ihre Versuche gemacht und die Proben dann vernichtet.“ Weltweit ist in den letzten Monaten über Infektionen mit diesem Grippe-Virus nichts bekannt geworden. Die aktuelle Gefahr ist also vermutlich gebannt, es ist mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit noch einmal gut gegangen. Warum regen sich die Experten dann immer noch auf? Weil so etwas nicht passieren darf. Beim nächsten Mal könnte es schließlich schiefgehen.

War das Verschicken der gefährlichen Erreger eine Panne oder Absicht?

Zunächst war von einem Versehen die Rede, etwa einer Verwechslung von Etiketten. „Ich bin sicher, dass es kein Versehen war, denn man kann unmöglich glauben, dass es der Firma nicht klar war, es mit H2N2 zu tun zu haben“, sagte am Mittwoch Julie Gerberding, Direktorin der amerikanischen Centers of Disease Control (CDC), der Presse. Dass Schlamperei auszuschließen ist, ist eigentlich beruhigend. Die Firma war beauftragt, einen Virencocktail an Labors weltweit – auch nach Deutschland – zu verschicken, um diese Labors darauf zu testen, ob sie die Erreger korrekt identifizieren. Es handelt sich bei der ganzen Aktion also um eine Sicherheitsmaßnahme. „Es wäre unerhört, wenn dafür tatsächlich Proben dieses gefährlichen Grippe-Erregers absichtlich ausgewählt worden wären“, sagte Brunhilde Schweiger, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums Influenza am Berliner Robert-Koch-Institut, gestern dem Tagesspiegel. Auch in Deutschland werden Labors noch einmal extra auf Qualität geprüft. Mit simuliertem Material wird in einer Art Labor-Tüv von „Instand“ in Düsseldorf regelmäßig getestet, ob die Labors die Aufgaben erfüllen, für die wir alle sie brauchen. Zum Beispiel müssen sie Grippe-Viren von ungefährlicheren Erregern grippaler Infekte unterscheiden können. Der Erreger wurde deshalb erst jetzt identifiziert, weil die Labors wahrscheinlich nur die Aufgabe hatten, eine Grobeinteilung vorzunehmen. „In Deutschland ist die weiter gehende Feintypisierung der Stämme eine Spezialaufgabe einiger weniger Labors“, sagt Virologe Heinz Zeichhardt von der Charité.

Wenn es Absicht war, was haben die sich dabei gedacht?

Julie Gerberding vermutet, man habe den gefährlichen Stamm H2N2 gewählt, weil es sich besonders gut im Labor kultivieren lässt. Zudem bestand zu diesem Zeitpunkt für den Stamm lediglich die offizielle Biosicherheitsstufe zwei (von insgesamt vier), so dass die Firma möglicherweise nicht an eine Gefährdung dachte. Zur gleichen Zeit war das CDC jedoch schon dabei, H2N2 sicherheitstechnisch höher einzustufen. „Hier wurde durch eine falsche Wahl unnötige Gefährdung in die Welt gesetzt", sagt auch Reiner Hanke, Chef von „Instand“. In den USA legt die Fachgesellschaft CAP, die der Firma Meridian Bioscience den Auftrag für die Zusammenstellung und den Versand des Testmaterials gab, nun Wert auf die Feststellung, man habe von der Wahl des Influenza-Stamms nichts gewusst.

Hätte es auch passieren können, dass das Labor Erreger von Pocken, Typhus, Ebola oder Aids verschickt hätte, um die anderen Labors zu testen, ob sie das merken?

Definitiv nein. Sie bekäme niemals einen solchen Auftrag. Hochgefährliche Erreger der Sicherheitsstufe vier wie beispielsweise das Ebola- oder Marburg-Virus dürfen zu Testzwecken überhaupt nicht verschickt werden. Grippe-Viren, gegen die es keinen Impfschutz gibt, könnten zu bioterroristischen Zwecken eingesetzt werden, mahnt der Virologe Alexander Kekulé von der Uni Halle und fordert eine internationale Überwachung.

Adelheid Müller-Lissner

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