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Panorama: Erwachsene müssen draußen bleiben

„Underage“-Partys sind der neueste Hit in der Londoner Clubszene – 15-Jährige organisieren ihre eigenen Konzerte

Von Markus Hesselmann

Party im Coronet-Club, Krach und Ekstase. Die Garagenpunkband The Horrors tritt auf. Fans stürmen die Bühne. Entfesselt springen und tanzen sie um die Musiker herum. Ein ganz normales Londoner Punkkonzert – auf den ersten Blick sieht das so aus. Doch hier ist alles anders. An der Bar gibt es Orangensaft statt Bier. Der Tonic muss ohne Gin auskommen, die Cola ohne Bacardi. Londons neueste und im wahrsten Sinne jüngste Szene hat sich versammelt. Unter dem Begriff „Underage“ (minderjährig) trifft sie sich zu Konzerten, DJ-Sets und Festivals. Erwachsene haben keinen Zutritt. Die jungen Fans wollen unter sich sein und nicht unter Aufsicht. Wer über 18 ist und einen Eindruck von der wilden Horrors-Show im Coronet bekommen will, der muss sich das Video dazu auf Youtube ansehen.

Die Internetplattformen Youtube und Myspace sind die wichtigsten Medien dieser Szene. Doch je mehr sie sich per Computer vernetzt, umso stärker wächst der Wunsch, sich draußen in der Welt zu treffen. Aus der virtuellen Community wird eine reale Gemeinschaft. Ihre gemeinsame große Liebe ist die Musik. „Das war der Ausgangspunkt“, sagt Sam Killcoyne, der 15-jährige Impresario der Szene. „Ich konnte meine Lieblingsbands nie bei Konzerten sehen. Dabei machen sie ihre Musik doch für Teenager“, sagt der Schüler. Minderjährigen ist der Zutritt zu Pubs und Clubs mit Alkoholausschank verwehrt. Die spannendsten Konzerte neuer Bands finden aber gerade dort statt.

Man müsste die Konzerte einfach selbst organisieren, dachte sich Sam. Dann gibt es halt keinen Alkohol und die jungen Fans können kommen. Hehre Antidrogen-Ansprüche will er dabei gar nicht geltend machen. „Es geht mir um die Musik“, sagt er, nicht um irgendwelche pädagogischen Botschaften. Sein Vater Barry Smith, einst Mitglied der Avantgarde-Elektronikband Add N To (X), steht allerdings an der Tür und achtet darauf, dass niemand besoffen oder zugekifft reinkommt. „Den einen oder andern muss ich wieder wegschicken“, sagt Barry Smith, der seinen Sohn auch sonst bei der Organisation der Konzerte unterstützt.

Vor einigen Monaten begann Sam Killcoyne mit den Underage-Konzerten. Er ist die Identifikationsfigur der Szene, ein freundlicher Junge mit Beatles-Haarschnitt („Rubber Soul“-Phase), spitzen schwarzen Schuhen, dunklem Anzug und psychedelischem Hemd. „Ich bin nicht cool“, sagt er. Das klingt völlig natürlich und kein bisschen kokett. Er will im Hintergrund bleiben und nicht auf Bildern in der Zeitung erscheinen. „Auf die Bands kommt es an.“

Zu den Underage-Konzerten kommen durchschnittlich rund 500 Fans. In der kommenden Woche wird die zehnfache Zahl erwartet, wenn Underage ein Gastspiel in der etablierten Kulturszene unternimmt. Beim Southbank-Festival ist ein Samstagnachmittag im Foyer der Queen Elizabeth Hall dem Underage gewidmet. Jarvis Cocker, der Sänger der Band Pulp, hat geholfen, das Musikprogramm zusammenzustellen. Und das ist beeindruckend. Bobby Gillespie (Primal Scream), Douglas Hart (The Jesus and Mary Chain) und Kevin Shields (My Bloody Valentine) spielen dort als Supergruppe Crawling Kingsnakes. Jarvis Cocker legt als DJ an dem Nachmittag auch selbst auf. Und alles bei freiem Eintritt. Das Southbank-Kulturbudget macht es möglich. Sonst kosten Tickets zu Underage-Konzerten durchaus taschengeldkonforme fünf Pfund (7.50 Euro). „Wir verdienen damit kein Geld, wir machen aber auch keine Verluste“, sagt Barry Smith. Im August ist ein großes Underage-Open-Air-Festival in London geplant.

Sam liegen Tausende Anfragen junger Bands vor, die gern bei Underage auftreten würden. Er will mit seinen Konzerten und Partys die Musikszene weiterbringen statt immer wieder Altbekanntes runterzunudeln. „Strictly no Arctic Monkeys“ ist der Leitsatz der DJs. Die Britpopper aus Sheffield sind schon zu sehr Establishment.

Die neue Szene soll ihre eigenen Stars hervorbringen. Zum Beispiel Pull In Emergency. Die zwei Mädchen und drei Jungen, Durchschnittsalter 14, machen melodiös-schrammeligen Gitarrenpop. „Der Begriff Punk wäre mir lieber“, sagt Gitarristin Alice Costelloe und kündigt vorsichtshalber für kommende Songs mehr Härte an. Schon jetzt wirkt der Gesang erstaunlich reif. Pull In Emergency klingen, als habe sich eine amerikanische Songschreiberin im Übungskeller einer britischen Gitarrenband verirrt. Eine aufregende Mischung. Kürzlich haben Pull In Emergency bei Mute Records unterschrieben. Da sind sie jetzt Kollegen von Depeche Mode und Nick Cave. Schülerkombo ist anders.

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