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Panorama: Es geht ans Herz

Tony Blair, der ewig junge, musste ins Krankenhaus – die Blumensträuße seiner Verehrer sind ihm gar nicht recht

Der britische Premier ist „fit, gesund und munter und zu 100 Prozent wieder hergestellt". Nachdem Tony Blairs Herzrhythmusstörungen am Montag die Titelseiten der britischen Zeitungen beschäftigten und am Sonntag Abend noch die Fernsehärzte in die Studios gezerrt wurden, um den Briten die Bedeutung von „supraventikularer Tachykardie“ zu erläutern, geht am heutigen Dienstag in der Downing Street alles wieder seinen geregelten Gang. Einen Tag relativer Ruhe gönnte sich Tony Blair auf Anraten der Ärzte. Aber man nahm die Glückwunschkarten und Blumensträuße in der Downing Street Nummer 10 eher peinlich berührt entgegen. Irgendwie passt ein herzkranker Tony nicht zum Bild des ewig aktiven Gipfelstürmers aus der Downing Street. So lautete die Parole schon um elf Uhr morgens beim täglichen Pressebriefing schon wieder „Business as usual".

Heute, am Dienstag also, wieder volles Programm für Blair.

Jetzt sieht er so alt aus, wie er ist

Fernsehkameras und Journalisten werden den bald 51-jährigen Blair mit besonderer Aufmerksamkeit unter die Lupe nehmen – auch wenn ja nicht gerade neu ist, dass die Bürde seiner über sieben Amtsjahre an Blair nicht spurlos vorüberging.

Als Blair in einer dieser Superstresswochen Ende September auf dem Labourparteitag um seine politische Zukunft kämpfen musste wie noch nie, räumte er es ja selber ein: „Nun sehe ich so alt aus, wie ich bin." Premier sein, sagte er, das sei ein „echtes Privileg, auch wenn es hart ist". Mit seiner Rede in Bournemouth hatte sich Blair unangefochten wieder an die Spitze der Partei gesetzt und Spekulationen verstummen lassen, dass sein baldiger Abgang bevorstünde. Doch gestern fragte der „Express": „Ist dies das Ende von Blair?" Spekulationen über die Zukunft blieben nicht aus, so sehr sich die Downing Street mühte. Der plötzliche Herztod von Labourchef John Smith, der Blair 1993 an die Spitze der Labourpartei brachte, sitzt Labour heute noch in den Knochen. Blair wird, als er am Sonntag mit Herzrasen ins Hammersmith Hospital gebracht wurde, auch an seinen eigenen Vater gedacht haben, der, als er am Schlaganfall starb, jünger als Tony Blair heute war. Blair wird auch an seine vier Kinder gedacht haben, insbesondere den dreijährigen Leo.

Ja, an den frühen Tod seines Vaters denke er schon, bekannte Blair, als er vom „Saga"- Magazin für die über 50-Jährigen interviewt wurde. Er achte jetzt mehr auf das, was er esse. Doch was ihm die Politik so auftischt, darauf hat er weniger Einfluss – und das letzte Jahr hatte es in sich. Vielleicht wird die Queen bei der nächsten Audienz ihre skeptischen Fragen zur EU-Verfassung und dem britische Souveränitätsverlust etwas taktvoller formulieren. Aber die Probleme bleiben. Die wachsenden Rufe nach einem Verfassungs-Referendum, der Streit um die Rolle der Nato; überhaupt die prekäre Rolle der Briten zwischen den USA und Europa, die durch das enge Zusammenrücken der Achse Berlin-Paris noch heikler wurde. Die Dauersorge mit einer renitenten Labourfraktion und einem mächtigen Schatzkanzler, der nach Blairs Job trachtet – das kann einem Premier das Leben schwer machen.

Dann hängt das Urteil von Lord Hutton zur Krise um den Selbstmord des Waffeninspektors David Kelly wie ein Damoklesschwert über Blair, und die größte Sorge auf seinen Schultern bleibt der Irak.

Was rät Cherie?

So sind Blairs politische Perspektiven auch ohne Herzrasen enger geworden.

Aber er ist sportlich, spielt Tennis, raucht nicht, hat kein Übergewicht – die Ärzte stellten ihm auch gestern eine exzellente Prognose aus. Er ist fitter als viele große Staatenlenker – man denke an den alten Reagan oder Konrad Adenauer. Winston Churchill hatte 1953 einen Schlaganfall und blieb im Amt – bis er 80 Jahre war. Keine Frage, meint der „Guardian" gestern, dass Blair es wie Churchill machen und noch lange weiter regieren könnte. Doch wird er? Niemand kann es sagen. Wenn Blair, etwa auf Anraten seiner Frau Cherie, das Handtuch werfen will, müsste es bis nächsten Sommer geschehen.

Wahrscheinlicher ist, dass er die Labourpartei noch einmal in einen Wahlkampf führt. Blairs Programm ist noch nicht erfüllt: Die Reformpolitik, Europa, das Verhältnis zu den USA, der Irak – das sind unvollendete Projekte, die er nicht ausgerechnet jetzt mitten in der Krise einem Nachfolger Gordon Brown überlassen will. Fraglicher ist aber, ob er dann eine dritte Amtszeit wirklich ganz durchziehen würde. Um Frau Thatchers Regierungsrekord einzustellen, könnte er nach zwei, drei Jahren in der nächsten Legislaturperiode abtreten.

Gordon Brown, der mutmaßliche Nachfolger, ist am Wochenende Vater geworden. Damit hat er Blair für ein Wochenende lang in der positiven Aufmerksamkeit ausgestochen. Vielleicht überrundet er Blair ja nun wirklich.

Zumindest, wenn es um den Eindruck von Frische und Jugendlichkeit geht.

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