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Zu viel Teig. Pelmeni gehören zu den Klassikern der russischen Küche. Alina Bronsky hat’s lieber asiatisch: leicht und scharf. Foto: Imago

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Alina Bronsky: Guten Appetit auf russisch

Alina Bronsky wird nostalgisch, wenn sie an die russische Küche denkt. Ein Treffen mit der Schriftstellerin bei Pelmeni und salzigen Gurken.

Alina Bronsky war schockiert. Ein Brötchen. Ein kaltes weißes Brötchen zum Frühstück, das war sie nicht gewohnt. Zu Hause gab’s immer warmen Buchweizenbrei. Und jetzt, zum ersten Mal in einem deutschen Schullandheim, lag es vor ihr, und hat ihr Misstrauen geweckt: Ob das wohl essbar sei, fragte die 13-Jährige sich.

Mehr als ihr halbes Leben ist das her, dass sie, die in Jekaterinburg jenseits des Urals geboren wurde, mit ihren Eltern nach Hessen zog. Längst hat sie sich gewöhnt an all die belegten und bestrichenen Brote, die für sie „der Inbegriff von keiner guten Küche“ waren – Nutella hat ihr den Übergang in der Fremde versüßt. „Über Nutella habe ich Deutschland kennengelernt.“

Aber den geliebten nussigen Buchweizenbrei, mit dem Geschmack, der so eigen ist, dass die Schriftstellerin ihn gar nicht richtig beschreiben kann („das muss man mögen“), den gibt’s heute noch bei ihr. Jetzt ist sie es, die ihn ihren Kindern serviert, ob die wollen oder nicht. „Mit der Vorliebe bin ich allein“, sagt sie und lacht.

Wir sitzen im Grünberg, einem polnischen Restaurant, aus Ermangelung eines russischen. Bis vor kurzem gab’s in Darmstadt wohl noch eins, aber es hat, wie alle Vorgänger, dicht gemacht. Doch osteuropäisch sollte es schon sein für das Gespräch über ihren neuen Roman, mit dem sie auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand: „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“ (Kiepenheuer & Witsch, 319 Seiten, 18,95 Euro).

Ein paar Leute haben die Schriftstellerin schon gefragt, ob das Buch nur Rezepte enthält oder auch ein paar Geschichten. Nun: Rezepte stehen gar keine drin, das fand die Autorin „weder originell noch nötig“. Aber Geschichten, so prall wie die russischen Speisen, enthält das ebenso harte wie vergnügliche Buch umso mehr. Die Küche als Zentrale des Lebens und das Kochen sind ein roter Faden in dem Roman, der sich über viele Jahre erstreckt, in der Sowjetunion anno 1978 beginnt und im Deutschland von heute endet, und in dessen Mittelpunkt die Ich-Erzählerin Rosalinda steht, samt Tochter und Enkelin. Rosalinda ist eine dominante, ja, herrische, in sich selbst verliebte Tatarin, die immer besser als alle anderen zu wissen glaubt, was für sie gut ist, und die einem doch irgendwie ans Herz wächst in ihrer zupackenden Monsterhaftigkeit.

Natürlich ist Rosalinda die Große auch die beste Köchin weit und breit, die ihre diversen Schwiegersöhne in spe mit tatarischem Huhn, süßem Tschak Tschak und gefiltem Fisch zu becircen versucht. Was eine Leistung ist, denn Lebensmittel zu ergattern, wird immer schwieriger im Laufe der Jahre. Stundenlang steht sie für ihre geliebten Vitamine an.

Der Titel des Romans ist ein bisschen irreführend und soll es auch sein, denn scharf sind die Gerichte, von denen man hier liest, nicht. Scharf, findet Bronsky, ist vor allem Rosalinda selbst. Nicht einmal richtig tatarisch sind die Speisen, denn was tatarische Küche eigentlich ist, weiß keiner so genau. Rosalinda selbst fehlt das kulturelle Gedächtnis, sie hat weder Mutter noch Großmutter gehabt, die ihr Rezepte hätten weitergeben können, aufgewachsen ist sie in einem Waisenheim. Also, sagt ihre Schöpferin durchaus mit Stolz in der Stimme, „füllt sie die Lücken sehr selbstbewusst mit ihrer Fantasie aus“. Das ist es, was sie von Dieter unterscheidet, dem pädophilen Deutschen und Schwiegersohn Nummer drei, der gekommen ist, ein Buch über die tatarische Küche zu schreiben. Ein Vorhaben, das er irgendwann für gescheitert erklärt, weil er nicht damit zurechtkommt, dass die Grenzen zwischen den Nationalküchen der Sowjetunion so schwammig sind. Das ist für Bronsky gerade das Schöne an der russischen Küche: „Ich kenne kein anderes Land in der Welt, das so viele verschiedene Kulturen hat, die haben ja alle die Küche bereichert.“

In Darmstadt kommen jetzt Schwarzbrot mit Schmalz und Salzgurken auf den Tisch, die Autorin schmiert sich eine Schnitte. Wer sich Alina Bronsky als Rosalinda in jungen Jahren vorstellt, der irrt ganz gewaltig. Freundlich und höflich ist sie, ihre Stimme, ihre Figur, ihr Lachen, alles scheint mädchenhaft an ihr, die zehn Jahre jünger aussieht als die 31, die sie ist. Vor ein paar Jahren, als der Begriff gerade Hochkonjunktur hatte, wäre sie, die schon mit ihrem ersten Roman „Scherbenpark“ Furore machte, wahrscheinlich als Fräuleinwunder gefeiert worden. Aber ein Fräulein ist sie schon lange nicht mehr, sondern eine geschiedene Frau, Mutter von drei Kindern, von denen das Älteste elf Jahre alt ist. Alina Bronsky, den Namen hat sie sich ausgedacht: Um ihr Privatleben und ihr Schriftstellerleben ein bisschen getrennt zu halten.

Eigentlich, gesteht Alina Bronsky gleich zu Beginn des Gesprächs, hat sie für die russische Küche wenig übrig. Viel zu schwer ist die ihr, zu viel Fleisch, zu viel Teig. Und dann, aus der Not geboren, all das Eingemachte und Eingelegte, „das find ich nicht so prickelnd“. Sie selber hat’s gern asiatisch und vegetarisch, leicht und scharf. Nun denn: Das „Darmstädter Echo“ hat das Grünberg für seine „ungekünstelte polnische Küche mit deftigen Speisen zu günstigen Preisen“ gelobt. Zum Mittagessen haben wir Pelmeni bestellt, die hier Pierogi heißen: eine satte Portion Maultaschen, ihre sind mit Sauerkraut gefüllt. Irgendwann fängt sie an, die Füllung herauszupuhlen, um sie solo zu essen, schiebt die dicke feste Hülle an den Tellerrand. Zu viel Teig.

Ihre Eltern, Wissenschaftler, waren keine traditionellen Menschen, erzählt die Autorin, die „demonstrativ russisch“ kochten. „Es wurde halt gekocht, was da war.“ Sie selber empfindet sich da schon als nostalgischer. „Plakativ nostalgisch“, so bezeichnet sie sich, in einzelnen Dingen wie dem warmen Breichen, dem Sanddorn ihrer Großmutter, den sie in ihren Garten gepflanzt hat, der kleinen Ikone, die sie als Talismann in der Tasche trägt. Ansonsten ist sie ziemlich unsentimental. Neulich, als die Oma aus Russland für ein paar Tage zu Besuch kam, 15 Jahre hatten sie sich nicht gesehen, brachte diese einen Koffer voller Lauchpierogen und Zimtschnecken mit. Wie die geschmeckt haben? „Normal.“ Auch für Zimtschnecken hat sie nicht viel übrig. Zu teigig. Gesagt hat sie das der Großmutter mit Sicherheit nicht. Denn Russen sind ihrer Erfahrung nach da noch verletzlicher als Deutsche. Von Kritik am Essen anderer rät sie ohnehin ab. „Das ist so, als würde man sagen, dein Kind ist hässlich.“

Alina Bronsky, die deutsch schreibt und mit ihren Kindern russisch spricht, ist seit ihrer Jugend nicht mehr in ihrer alten Heimat gewesen. Sie will ihre Familie nicht so lange zurücklassen – und mitnehmen will sie sie erst recht nicht in dieses Land, das sich in diesem heißen, brennenden Sommer von seiner, wie sie findet, besonders gruseligen Seite zeigte, als Hunderte von Menschen „krepierten“. Nein, Heimat, das ist für sie die Sprache und die Literatur, die Eltern, bestimmte Erinnerungen und natürlich der Buchweizenbrei. „Aber nicht das Land.“

Mit dem alten bäuerlichen Gericht ist sie in Darmstadt praktisch Avantgarde. Den Getreidebrei hat sie ja gegessen, lange bevor die heutigen Bio-Mütter auf den Geschmack kamen.

Alina Bronsky hat’s selber gern gesund. Aber dass ein Kritiker ihren ersten Roman mit einer angebrochenen Tüte Chips verglichen hat, die man „besinnungslos leerfrisst“: Das hat ihr außerordentlich gefallen. So gut, dass sie es auf die Rückseite der Taschenbuchausgabe hat setzen lassen.

Früher hat Bronsky sich für eine Werbeagentur Sprüche für Sekt und Schokolade ausgedacht, aber das ist für die 31-Jährige so lange her, dass sie sich nicht mehr daran erinnern kann. Nur daran, dass sie die Arbeit schrecklich fand, dieses Verwässern von Ideen. Im Unterschied zum Romanschreiben, das ihr eine große Lust ist.

Als unordentlich und faul beschreibt sie sich ein paar Mal im Gespräch, selbst wenn man es nicht glauben mag. Doch deswegen wird sie jetzt auch den Kleingartenverein verlassen: Sie hat nicht genügend Unkraut gezupft. Aber Marmeladekochen, wie Rosalinda, das macht sie schon. „Klar.“ Im Roman schildert sie die so unterschiedliche deutsche und russische Art: Die einen kochen die Früchte stundenlang, die anderen sind, dem Gelierzucker sei Dank, in ein paar Minuten fertig. Alina Bronsky bevorzugt die schnelle deutsche Weise, aber die russische hat sie geprägt: „Das sind noch richtig tolstoische Bilder aus meiner Kindheit, die großen Kupferkessel, dieser intensive Duft nach kochenden Beeren.“ Und die Erinnerung an den Schaum, der abgeschöpft und abgefüllt und den Kindern als Leckerei serviert wurde.

Am Schluss des deutsch-russischen Romans stolpert Rosalinda, auf dem Weg in die Oper, in eine Kneipe, die der türkische Besitzer gerade für immer zumachen will: Er ist pleite. Die Tatarin stellt sich kurzerhand an den Herd und schrubbt – und man denkt sich: Ja, warum ist sie nicht längst Wirtin geworden! Als schön,ja, friedlich beschreibt die Autorin das Ende des traurigen Buchs. „Rosalindas großes Problem ist ja, sie will die Welt verändern, sie hat eine immense, auch kreative Energie, mit der sie aber Menschen gebrochen hat.“ Dass sie da plötzlich eine ganz andere Perspektive entdeckt, die Welt zu gestalten, „und anfängt, fast schon aschenputtelartig sauber zu machen“ – das gefällt Bronsky.

Alina Bronsky liest am 26. Oktober in der Georg Büchner Buchhandlung in der Wörtherstraße 16, Prenzlauer Berg.

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