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Gesellschaft: brauen Die sich was

Bier ist in Deutschland in der Hand von wenigen Konzernen. Doch es tut sich was: Junge Brauer machen ihren eigenen Stoff – besonders in Berlin

Bereits beim Betreten kann jeder riechen, dass das Hops and Barley keine gewöhnliche Kneipe ist. Statt Zigarettendunst hängt der süßliche Duft gedarrten Getreides in der Luft. Philipp Brokamp hastet an der Theke vorbei und mit eingezogenem Kopf die schmale Holztreppe runter. Aus der blubbernden Sudpfanne läuft die Stammwürze durch Schläuche in den Keller. Dort muss Brokamp die Temperatur prüfen. Er tut das leicht gebückt, die Decke in dem schmalen Raum ist kaum höher als er selbst.

Philipp Brokamp, 36, ist Diplom-Braumeister, seit seinem Studium an der Versuchs- und Lehranstalt der Technischen Universität Berlin. Vor drei Jahren hat er sich selbstständig gemacht, Braustätte mit Ausschank im Friedrichshainer Südkiez. 70 000 Euro flossen in Technik und die Sanierung der ehemaligen Metzgerei, die schnörkeligen Fliesen hinter dem Tresen ein Relikt aus Zeiten von Fleisch und Blut.

Heute wird Bier gemacht. Brokamp kippt einen Eimer säuerlichen Breis in den Bottich mit der Würze, die Hefe. Jetzt beginnt die Gärung, sieben Tage lang. Industriebiere werden kürzer vergärt, bei höherer Temperatur. „Wenn ich wärmer vergäre, habe ich Gärnebenprodukte, die nicht so erwünscht sind.“ Was er damit meint: Fuselalkohole, die fiesen Katerkatalysatoren. Nach dem Gären wird sein Gebräu drei Wochen im Fass reifen, dann schleppt er es treppauf, wo es in die Kehlen der Kundschaft fließt.

Unten brauen, oben zapfen – dieses Prinzip krempelt gerade die heimische Bierlandschaft um. Während mittelständische Betriebe schließen, zählt der Deutsche Brauerbund inzwischen 900 Kleinstbrauereien, 300 mehr als vor 15 Jahren. München und Hamburg haben je eine Handvoll, in Berlin sind es dagegen schon stolze 16.

Dass die Mikrobrauereien im Trend liegen, freut auch Michael Weidner, Biermacher vom alten Schlag. Nur eins stört den Vereinsvorsitzenden für Berliner Brauereigeschichte. Das Wort. „Mikro! Klingt wie Eisenbahnplatte im Keller“, sagt er an seinem Stammtisch im Brauhaus Spandau, einer der ältesten Berliner Gasthausbrauereien – so der genehme Ausdruck. Bierbereiten sei nicht irgendein Hobby, sondern hartes Handwerk. Den müden Augen seines Sitznachbarn ist das anzusehen. Von sechs Uhr morgens an hat Brauchef Michael Metscher, 67, an den Kesseln gestanden. Zehn Stunden schroten, prüfen, putzen. Zum Glück hilft Sohn Cristian, 25.

Wenn es nur dabei bliebe.

„Mein Junge fängt an zu diskutieren“, klagt Metscher dem Kollegen. „Jetzt will der so ein englisches Stout machen.“ „Tja“, sagt Weidner, „die Jungen wollen experimentieren.“ Mit der Probierlust der jungen Bierhandwerker brechen trübe Zeiten an. Naturtrübe, um genau zu sein: Viele setzen auf unfiltrierte, nicht pasteurisierte Biere. Auch Brokamp, der Helles, Dunkles und Pilsner braut. „Aber ein Pils wie früher. Herber, trüber, aromatischer“, sagt er. Angenehm fruchtig schmeckt es, süffig wie Saft.

Jeden Monat gibt es ein Spezialbier. Gerade ein Brown Ale, kräftig, dabei nicht zu bitter, sechs Prozent Alkohol. Demnächst ein Wiener Lager, mit dunklem, intensivem Wiener Malz. 20 Sorten hat sein Mälzer im Sortiment, Brokamp probiert durch. Die Hopfensorten variiert er ebenfalls, letztens hat er eine aus den USA bestellt, Cascade, die dem Bier einen ausgeprägten Zitruscharakter verleiht. „Es macht das Angebot interessanter, wenn es nicht immer das Gleiche gibt“, sagt er.

Deshalb wäre die Arbeit in einer Bierfabrik nicht sein Ding. „Da hast du deinen Controller, der diktiert dir, welchen Hopfen du nächste Saison zu nehmen hast.“

Doch nicht jeder frisch gelernte Brauer entscheidet sich freiwillig für einen eigenen Kessel. Weil in den vergangenen Jahren immer mehr Bierproduzenten zu Konzernen verschmolzen sind, gibt es kaum Arbeitsplätze.

Das musste auch Wilko Bereit erfahren. Drei Mal hatte sich der Neuköllner bei der Kindlbrauerei in der Nachbarschaft beworben. Erst als Lehrling, später als Geselle, selbst mit dem Meisterbrief in der Hand kam er nicht mal am Pförtner vorbei.

Vor zwei Jahren, mit 36, hat er es doch in den alten Backsteinbau an der Werbellinstraße geschafft. Nachdem der Mutterkonzern Oetker 2005 entschied, die Produktion nach Alt-Hohenschönhausen zu verlegen, stand die Fabrik leer. Im Keller hat Bereit seine Privatbrauerei Am Rollberg eingerichtet.

Der Eingang zum Sudhaus ist geschlossen. Dann stapft Bereit in Gummistiefeln die Treppe hoch. „Bei der Hefeernte bleibt die Tür zu, sonst wird der Brauer zickig“, sagt er. Hygiene sei wichtig, „wir machen schließlich Lebensmittel.“

Steril sieht es unten nicht aus: Neben den Kesseln eine Polsterliege, an den Wänden Bandposter, Sepultura, AC/DC, Queens Of The Stone Age. Aus der Ecke wummert ein Subwoofer. „Mit dem kann ich richtig Alarm machen. Ich brauch Punkrock bei der Arbeit“, sagt Bereit. Als Angestellter hätte er im weißen Kittel vor einem Bildschirm gehockt. Kein Gram mehr wegen der Absagen. „In der Großbrauerei bist du ein Rädchen im Getriebe. Hier bin ich von der Malzannahme bis zum Ausschank dabei.“

Er zapft eine Kostprobe. Honiggelbe Farbe, üppig-voller Schaum wie Sahnesteif. Das Aroma reich, auf leicht bitter folgt blumig. Das schmeckt ihm: „Abfüllen!“, weist er seinen Praktikanten an. 60 Fässer machen die beiden jede Woche voll, nur ein kleiner Teil wird vor Ort ausgeschenkt. Das Bier aus Neukölln gibt es mittlerweile in 15 Kneipen über die Stadt verteilt.

Um den Vertrieb kümmert sich Freund und Geschäftspartner Nils Heins, der früher im Getränkehandel gearbeitet hat. „Von dort wusste ich, dass viele Leute gerne auf die großen Konzerne schimpfen und lieber etwas Kleines, Feines, Regionales trinken wollen“, sagt Heins.

Richtig regional sind die Berliner Handwerksbiere nicht. Der Hopfen stammt meist vom Bodensee, und wenn der Malzlaster aus Bayern in die Hauptstadt rollt, wirft er vor jedem der 16 Braukeller seine Säcke ab. „Aber das Wasser, das ist von hier“, sagt Heins schelmisch. Das Neuköllner Wappen ziert seine Biergläser, das Prädikat „lokal“ verkauft sich gut.

Die anderen Kiezbrauer setzen ebenfalls auf die Devise „Bier von hier“. Im Weddinger Eschenbräu gibt es das Rote Wedding, eine Anspielung auf die Vergangenheit des Arbeiterviertels. Und Brokamp aus dem Hops and Barley nennt seine Kreationen Friedrichshainer. „Marketing muss sein“, wie er sagt. Deshalb bietet er Fanshirts an und eine Dampferfahrt mit Bierverkostung. Die Experimentierfreude der Jungbrauer beschränkt sich nicht auf die Bierherstellung.

Auch am Stammtisch in Spandau schätzt man die neue Offenheit. „Früher war mein Junge von der stillen Sorte, jetzt gibt er Führungen, weil er merkt, wie gut das ankommt“, sagt Braumeister Metscher. Mit seinem Stout muss der Sohn trotzdem warten. „Wir haben viel altes Stammpublikum. Das will keine Veränderung“, sagt der Vater. Touristen spazieren selten rein. Trotzdem sei der Laden, 350 Sitzplätze, an den Wochenenden „knackevoll“. Er ist eine Spandauer Institution, zum jährlich stattfindenden Bockbieranstich kommt sogar der Bürgermeister. „Er hat genug zu tun, aber wenn wir fragen, ist er sofort dabei“, erzählt Metscher.

„Der kriegt ja auch Freibier bei euch“, sagt Weidner zu ihm. Der Herr Vereinsvorsitzende lässt sich oft genug selbst einspannen, im Festzimmer hält er Vorträge zu Bieren aus aller Welt. Und Chef Metscher wird zum Rotbieranstich wieder mit roter Perücke um die Tische flitzen.

Auch die Älteren wissen eben, wie Marketing funktioniert. Nur so nennen würden sie es wohl nicht.

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