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Gesellschaft: Buntes Ein Kessel

In Valencia wurde die Paella erfunden, und nur hier gibt es Antwort auf die Fragen: Was gehört hinein? Fisch oder Fleisch? Wie wird alles gelb? Eine Reise zum Ursprung der berühmten Reispfanne.

Die Urkunde sieht aus, als hätte Seine Majestät, der spanische König, persönlich Hand angelegt. Sie wimmelt vor Wappen, Kronen, Schnörkeln auf gerolltem Pergament. Fehlt nur noch die öffentliche Ausrufung. „Hiermit sei verkündet: Der Koch Francisco Serrano Marco hat den landesweiten Paella-Wettbewerb des Syndikats der Reisbauern Spaniens gewonnen!“

Auch 36 Jahre nach seinem historischen Sieg platzt der kugelrunde Restaurantchef vor Stolz. „Das war noch ein richtiger Paella-Wettbewerb“, sagt er, „nicht wie heute, wo manche Teilnehmer zu dumm sind, um einen Kochlöffel zu halten.“ Inzwischen gebe es an jeder Straßenecke Wettbewerbe, alles nur für die Touristen. Seit seinem Triumph steht der Chef unter dem schweren Verdacht, dass in seinem Restaurante Cañas y Barro eine der besten Paellas Spaniens entsteht. An guten Tagen trägt die Küchencrew schon mal 80 der großen Pfannen an die Tische.

Das Lokal liegt in El Palmar, vor den Toren Valencias. Hier, an der großen Küstenlagune La Albufera, befindet sich die Wiege dieses Reisgerichts, das zu Spaniens Identität gehört wie Stierkampf und Flamenco. In El Palmar sieht man kleine Würfelhäuser und Paella-Restaurants entlang der Hauptstraße, die kühle Eleganz gekachelter Hauswände, zwischendrin als museale Relikte die letzten reetgedeckten Fischerhäuser, die eine weiße Mütze aus Mörtel auf dem Dachfirst tragen. Dahinter leuchtet das üppige Grün der Reisfelder, in denen Kraniche wie eingeschlagene Pfosten stehen. In den Kanälen, die sich durch das Dorf ziehen und von denen zwei noch Verbindung zum Meer haben, schaukeln die Boote der Einheimischen.

Wenn Valencia die Heimat der Paella Valenciana ist, dann ist El Palmar das Epizentrum. Hier wurde die Paella erfunden, am größten See Spaniens, der einst eine Meeresbucht war, hier liegt das größte Reisanbaugebiet des Landes. Hier haben Landarbeiter auf dem Feld einen Dreifuß aufgestellt, die große Pfanne daraufgesetzt und das erste goldgelbe Durcheinander angerichtet. „Hey Pepe, sammle noch etwas Holz!“ „Manolo, wo sind denn die Kaninchenkeulen, und bring noch ein paar Bohnen aus deinem Garten!“ Auf historischen Bildern sieht man stämmige Arbeiter in rauer Kluft, die sich um die schwarze Pfanne scharen, in der eine Reis-Gemengelage vor sich hin simmert. Damals, im 16. oder 17. Jahrhundert, ahnte niemand, dass dies einfache Essen die berühmteste Speise ganz Spaniens werden sollte.

Heute werden bei Paella-Wettbewerben in Valencia ganze Straßenzüge gesperrt und lodernde Holzfeuer entzündet. Ursprünglich brannten vor allem die Äste des Orangenbaumes und der Kiefer unter der Reispfanne. Man könne jedes Holz nehmen, sagt Paella-Koch Francisco, aber niemals den Feigenbaum. Der bringe einen bitteren Geschmack in den Reis. „Aber Sie können auch auf dem Gasherd eine anständige Paella machen.“

Was gehört nun tatsächlich in die Paella? Der Chef überlegt nicht lange: Typisch und traditionell wäre es, in die Pfanne zu hauen, was man zur Verfügung hat. Die Landarbeiter und ihre Familien hatten Hühner und Kaninchen, einen kleinen Gemüsegarten und vor allem: Reis! Und sie sammelten ein paar Schnecken. So gehören in die echte Paella Valenciana neben dem hier wachsenden Reis der Sorte Bomba einige Stücke Kaninchen- und Hühnerfleisch, eine Handvoll Schnecken, ein paar grüne und weiße Bohnen, etwas Tomate und als Gewürz und Farbgeber Paprikapulver, Safran, Salz, ein Zweig Rosmarin. Am Anfang, wenn das Fleisch im heißen Öl anbrät, darf man eine Knoblauchzehe mitziehen lassen.

Das alles, philosophiert der Alte, sollte man möglichst lässig handhaben. „Die Paella ist ein wenig verhext, wenn man sich zu viel Mühe gibt, misslingt sie.“

Und dann überlegt er, was definitiv nicht in eine traditionelle Paella gehört: keine Oliven, keine Paprika, keine Fleischklopse, kein Schinken, keine fetten Fische. Und niemals Fisch und Fleisch zusammen! Denn für eine Fischpaella muss ein eigener Sud gekocht werden, der dem Reis zugegeben wird. Fisch und Fleisch zusammen wäre der Paella-Gau. Aber wie ist dann der Fisch in die Paella gekommen? Als Antwort genügt der Blick in die Landschaft. Das Meer ist fünf Minuten entfernt, der See liegt vor der Haustüre.

Der Stadtstrand Valencias, breit wie ein Flugzeugträger, wird von einer kilometerlangen Reihe von Restaurants gesäumt. Alle zehn Schritte eine andere Paella. Im Pepica hat Hemingway seine Reispfanne gegessen. „Das Restaurant ist längst nicht mehr, was es mal war“, hat Nacho Landerer von der Slow- Food-Vereinigung Valencias gewarnt. Also wird nebenan das Marcelina besucht, das jüngst einen ernsthaften Paella-Wettbewerb gewonnen hat.

Acht verschiedene Paellas stehen auf der Karte. Das Hühnerfleisch ist trocken, die Artischocke leicht lederig, aber der Reis ist mustergültig. Plötzlich versteht man Bissen für Bissen das Prinzip Paella. Der Reis saugt mit der zugegebenen Flüssigkeit die Aromen aller Zutaten auf und vereint sie zu etwas ganz Eigenem. So ist die Reispfanne immer mehr als die Summe ihrer Zutaten. Die Esser im Marcelina sind gespalten. Die Hälfte bestellt traditionell mit Huhn und Kaninchen, die anderen variieren mit Fisch, Tintenfisch, Muscheln, Langusten oder ordern einen Mix aus Fisch und Fleisch. Anything goes – sogar die Luxus-Hummer-Paella.

„Die Paella prostituiert sich“, poltert der Traditionalist Francisco. Es gebe sogar tiefgefrorene Pfannen! Oder Paella to go. Die wird an der Markthalle von Valencia, dem grandiosen mercado central, angeboten. Morgens gekocht wird das Gericht stundenlang warmgehalten, bis es für drei Euro auf dem Pappteller der Touristen als Karikatur einer Paella endet.

Dabei ist gerade die Markthalle eine kulinarische Kathedrale. Köche kaufen Seehecht, Wolfsbarsch, Doraden und anderes Meeresgetier. Frisch gefangen und noch erstaunt über den eigenen Tod, liegen die Fische appetitlich glitzernd auf den Verkaufstheken. Daneben Stände mit Hühnerköpfen, Melonen und Schmalzgebäck, Schweinehintern und Mandeltörtchen. Über allem schwingen sich Jugendstil-Ornamente einer fast moscheenhaften Architektur. Am Ausgang der Markthalle steht der Verkäufer für Kochutensilien. Seine größte Paella-Pfanne misst eineinhalb Meter Durchmesser und kann ein kleines Fußballstadion versorgen.

Francisco in El Palmar serviert die Paella im klassischen Kleinfamilienformat. „So muss eine authentische Paella aussehen!“ Als einziges Entgegenkommen an den Zeitgeist duldet er etwas Ente statt Huhn. Und schon reden wir über die Seele der Paella: das Socarrat. Spanier können sich stundenlang darüber unterhalten. Es geht um die am Pfannenboden angesetzte Kruste mit ihrem unwiderstehlichen Geschmack. Socarrat darf nie verbrannt schmecken, er darf auch nicht zu trocken sein. Er muss gerade so angeknuspert sein, also leicht angesetzt, dass er mit kräftigem Armeinsatz abgekratzt werden kann. Wie Goldsucher tauchen diese auf den Pfannenboden und häufeln sich die gebräunten Reiskonglomerate auf den Teller.

Aber wie schafft es Francisco, die Pfanne genau dann vom Herd zu ziehen, ohne dass sie anbrennt, der Reis trocken wird oder die Paella noch so suppig ist, dass am Boden nichts passiert? Der Koch fasst sich an die Ohrläppchen: Er koche mit den Ohren. Die sehen alles! Francisco horcht an der Pfanne und erkennt am Flüstern des Reiskorns den Aggregatzustand. „Es muss anfangen, ein wenig zu knistern, aber nicht zu viel“, sagt er. Auf keinen Fall umrühren!

Und noch eins: Was ist eigentlich mit dem Safran? Warum wird über die Gewürzfäden, die Farbe ins Spiel bringen, so selten geredet? Weil Safran meist durch Farbstoffe ersetzt wird. Francisco redet auch über dieses heikle Thema ganz offen. „Die Leute wollen goldgelbe Paellas, das können ein paar Safranfäden nicht schaffen.“ Um den gewünschten Farbeindruck zu erzielen, sagt er, müsste man so viel Safran zugeben, dass es erstens teuer wird und sich zweitens der Geschmack verändert. Das Täuschungsmanöver durch ein wenig „Colorante“ ist für die meisten spanischen Köche die Regel. Sie haben keine Angst vor Chemie, sie fürchten eher, es könnte herauskommen, dass die Männerdomäne des Paellakochens längst von Frauen erobert ist.

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