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China-Restaurants

© Mike Wolff/ tsp

China-Restaurants: Einmal die 143, bitte

Ente kross gilt als chinesisch. Irrtum! China-Restaurants sind eine deutsche Erfindung. Eine süßsaure Aufklärung.

Eine halbe Stunde, und der Künstler hatte genug von der Kunst: Vor der documenta floh Ai Weiwei ins China-Restaurant. Nur fühlte er sich dort genauso fremd und verloren, das Essen kam dem Chinesen gar nicht chinesisch vor. „Es schmeckte wie aus dem Weltall“, erzählte er in einem Interview. Deswegen lud der 50-Jährige jetzt nicht nur 1001 Landsleute nach Kassel ein – die spektakulärste, vielleicht auch die spannendste Aktion der diesjährigen documenta –, sondern zusätzlich noch ein paar Köche. Gelegentlich will der Meister sich auch selbst an den Herd stellen.

Was Ai Weiwei nicht ahnen konnte, als er dort ein Stück Heimat suchte: dass das China-Restaurant praktisch eine deutsche Erfindung ist. Schon der Name ist merkwürdig, wer hat je von einem Frankreich-Restaurant gehört? Aber praktisch ist das schon, findet Dagmar Yu-Dembski, Berliner Tochter einer Deutschen und eines Chinesen: So stehen alle China-Lokale zusammen im Branchenbuch. Wer kann sich schon Namen wie Hua Li Du und Hua Li Fu merken? Im Zweifelsfall nicht mal die Chinesen selbst, sind die Worte doch nur mehr oder weniger willkürliche Transkriptionen der Schriftzeichen.

400 China-Restaurants in Berlin

Allein in Berlin soll es gut 400 Lokale geben. Unterscheiden kann man sie kaum. Schon die Einrichtung besteht in der Regel aus den immergleichen Zutaten, roten Lampions, China-Löwen, China-Bögen, kann man alles beim Großhändler per Katalog bestellen. Auf Abenteuer muss der Gast sich nicht einlassen, was auf der Karte detailliert beschrieben steht, genau das ist im Gericht auch drin: Hühnerfleisch mit Paprika und Bambussprossen, Teigtaschen mit Schweinehackepeter und Chinakohl. Ob man nun im Januar in Gelsenkirchen die Nummer 63 oder im Juni in Kassel die 143 bestellt, ist ziemlich egal, die Speisekarten, in Plastik eingeschweißt, sind meistens die gleichen. Gebratene Nudeln mit Rindfleisch, gebratene Nudeln mit Ente, gebratene Nudeln mit Garnelen, serviert werden Variationen eines Themas, gewürzt mit Glutamatat, dem Geschmacksverstärker und Fleischzartmacher, der das gefürchtete „China-Restaurant-Syndrom“ auslösen kann: Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Übelkeit, trockener Mund.

Vorbei die Zeit, da man den Glücksversprechen der Speisen, der „Melodie des Meeres“, der „Ente im Glück“, noch glaubte, das China-Restaurant eine neue Exotik in den deutschen Erbseneintopf brachte. In den 60er Jahren, als die Lokale ihren ersten Boom erlebten, war schon das Essen mit Stäbchen ein großes Abenteuer. Ihre Schwiegereltern aus Spandau waren damals noch nie in einem China-Restaurant gewesen, erzählt Dagmar Yu-Dembski, die gerade ein Buch und eine Ausstellung über Chinesen in Berlin vorbereitet. „Das war ihnen unheimlich.“

China-Lokale sind letzter Hort der deutschen Küche, nur mit Folklore

Als ob es so etwas überhaupt gäbe: eine chinesische Küche. Genausogut könnte man von einer europäischen sprechen. In einem Land, das neuneinhalb Millionen Quadratkilometer umfasst, 1,3 Milliarden Einwohner und lauter verschiedene Klimazonen, gibt es auch unzählige kulinarische Regionen: Hunan, Kanton, Szechuan… Dort kriegt man alles mögliche, nur nicht unbedingt süßsauer, das scheint eher eine deutsche Spezialität zu sein. Als Helmut Kohl nach Kanton reiste, und Rindfleisch süßsauer bestellte, musste er dem Koch erklären, wie das geht. Seitdem soll es dort unter seinem Namen auf der Karte stehen.

China-Restaurants
Chinesisches Essen in Deutschland. Ein Koch im Restaurant "Good Friends" in Berlin Charlottenburg. -

© Mike Wolff/ tsp

Um in Deutschland zu überleben, mussten sich die China-Lokale dem einheimischen Geschmack anpassen. „Wenn sie chinesisch wären“, glaubt Gunther Hirschfelder von der Uni Bonn, „würde da kein Mensch hingehen.“ Welcher Deutsche mag schon Tigerpenis oder Igelragout, genießt das Rülpsen und Schnäuzen bei Tisch, das QuerdurcheinandervomTellerderanderenessen, das wüste Schaufeln von Reis in den Mund? Nein, ihr Erfolg – selbst in der tiefsten Provinz – liegt nach Ansicht des Kulturwissenschaftlers gerade in ihrem Deutschsein begründet: „Das China-Lokal ist der letzte Hort der bürgerlichen deutschen Küche, nur mit Folklore verpackt.“ Dort gibt es noch das, was unsere Eltern gern aßen, und was es immer seltener gibt, erst eine Suppe und dann das Hauptgericht, viel Fleisch mit viel Sauce, reichlich Sättigungsbeilage und allerlei Gemüse. Knusprig gebratene Ente mit Bambussprossen und Ananas und Wasserkastanien und Apfel, so was gäb’s in China nie, dort begnügt man sich mit einer Zutat. Während die deutsche Küche immer mediterraner wird, die italienische immer schlanker, und die Griechen und Jugoslawen (die genau wie die Chinesen das deutsche Grundbedürfnis: viel Essen für wenig Geld erfüllten) vom Aussterben bedroht sind, zeigt allein das China-Lokal, so Hirschfelder, „seltsam starre Beharrungstendenzen“.

Im Osten werden China-Lokale oft von Vietnamesen betrieben

Im Zweifellsfall wird es gar nicht von Chinesen, sondern Vietnamesen betrieben. Vor allem wenn es im Osten liegt. Vor der Wende – und auch erst kurz davor – gab es in der ganzen DDR nur ein einziges China-Lokal: das „Peking“, geplant als Schmuckstück der neuen Friedrichstraße. Das war teuer und meistens leer, ein Tempel für die Vorsitzenden des Sozialismus. Nach der Wende schossen die China-Restaurants flächendeckend aus dem Boden, viele vietnamesische Vertragsarbeiter verschafften sich so eine neue Lebensgrundlage. Auch die selbsternannte Erfinderin der China-Pfanne,die die „FAZ“ in Ost-Berlin entdeckte, kommt aus Vietnam. Solche Billigversionen verdrängen die ohnehin schon günstigen Lokale, der Imbiss tritt heute gern in globaler Form auf: „China-, Thai- und Döner-Spezialitäten“ für 2,50 Euro.

Dabei ist das Restaurant als seriöse gastronomische Institution praktisch eine chinesische Erfindung. Zwar hatten schon die Römer viele Lokale, aber das waren eher Kneipen und Fast Food-Betriebe. Gutbürgerliche Restaurants etablierten sich in Europa erst mit der Französischen Revolution. Da hatten die Chinesen schon ein paar Jahrhunderte Erfahrung hinter sich. Im Linan des 13. Jahrhunderts, so schreiben Gert von Paczensky und Anna Dünnebier in ihrer Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, gab es neben Gasthäusern, Teestuben, Weinbars, Imbissbuden, Nudelständen, Suppenküchen und Konditoreien eine große Bandbreite von Restaurants: „Manche kochten im Stil des Nordens, eine deftige Küche mit Innereien und dicken Suppen, manche im etwas feineren und leichteren Stil des Südens mit Wild und Geflügel, manche boten die scharf gewürzte Szechwan-Küche und manche die Nudel- und Fischküche aus der Gegend von Kiuzhou. Es gab Restaurants zum Frühstücken und solche, die die ganze Nacht geöffnet hatten, vegetarische Restaurants, in denen hauptsächlich Buddhisten aßen, und solche für muslimische Kaufleute, in denen diese sicher waren, nicht mit Schwein oder Schnecken bedient zu werden.“

Tai-Tung, Berlins ältestes China-Restaurant

Auch die ersten Lokale in Berlin waren eher gehoben. Als chinesische Söhne aus gutem Hause zum Studieren an die Technische Universität kamen – „es hatte sich rumgesprochen, dass man hier für ein Drittel des Geldes leben konnte im Vergleich zu London und Paris“, so Yu-Dembski –, wurden in Charlottenburg bald auch Restaurants eröffnet. 1923 machte das erste an der Kantstraße auf, die Zeitungen waren begeistert von dem gediegenen Lokal, den weißen Tischdecken, den (deutschen) Kellnern im Frack, den eleganten jungen Gästen. Das Essen, von einem echten chinesischen Koch zubereitet, sei zwar etwas fremdartig, meinte ein Kritiker – „aber in digestiver und ästhetischer Hinsicht auch für den Europäer geeignet“. Schnell entwickelte sich ein kleines kulinarisches Zentrum rund um die Kantstraße, 1931 gab es schon acht Lokale.

Auch die ersten Restaurants, die nach dem Krieg eröffneten, waren gediegen. Yu-Dembskis Vater gehörte zu einer ganzen Reihe von Akademikern, die nach dem Studium in Deutschland blieben und mangels beruflicher Alternativen zu Gastwirten wurden. Am Kurfürstendamm eröffnete der Ingenieur mit einem Freund Hong-Kong-Bar und -Restaurant, im ersten Stock, „das war damals eine Sensation“, Hildegard Knef kehrte hier ein. Auf der anderen Seite der Gedächtniskirche eröffneten zwei andere Akademiker zur selben Zeit, vor genau 50 Jahren, das Tai-Tung, das heute vermutlich älteste China-Restaurants der Stadt. Und das international berühmteste. An der Budapester Straße weist bis heute Harald Juhnke mit Peking-Ente auf das Lokal hin. Susanne Juhnke ist die Tochter des Gründers und Schwester des heutigen Betreibers, Tien-Wen Hsiao. Die Reklame ist das erste, was Daniel Brühl in dem Film „Goodbye Lenin“ sieht, als er am Bahnhof Zoo ankommt: Rätsel des Westens.

Deutsches China-Lokale in Italien

Das Tai-Tung war mal ein gutbürgerliches Lokal mit Garderobe und berühmten Gästen, Peter Zadek gehört heute noch dazu, Willy Brandt kehrte hier mit seinen Beratern regelmäßig ein. Die 60er, 70er Jahre, so Hsiao, das waren die Blütejahre. Heute ist es stiller geworden in dem riesigen Lokal, in dem auch Reste des alten „Hongkong“ untergebracht sind. Sauerscharf-Suppe, Schweinefleisch süßsauer, Ente kross gebraten, Frühlingsrolle: Die Klassiker, sagt Hsiao, dürfe er nicht von der Karte streichen. Aber vor der Haustür liegt längst die moderne Konkurrenz. Entlang der Kantstraße haben sich die neuen Asiaten angesiedelt (und jede Menge chinesische Möbelläden): vietnamesische Sushi-Bars, Mr. Hai, Good Friends, Kuchi, Tai Ji, das Selig mit seiner nordwestchinesischen Nudelküche. Die meisten von ihnen sind minimalistisch eingerichtet, servieren Essen, wie die Deutschen es mittlerweile auf ihren Reisen durch Asien kennengelernt haben.

Aber vielleicht steht auch den traditionellen China-Restaurants eine Renaissance bevor: durch die wachsende Zahl chinesischer Pauschalreisegruppen. Chinesen essen nun mal am liebsten chinesisch, allein der Gedanke an kaltes deutsches Frühstück gruselt sie, und dass hier jeder von seinem eigenen Teller isst, ist ihnen unverständlich. Im Tai-Tung werden sie automatisch an den großen runden Tischen platziert, wird ihnen gedämpfter Aal und das scharfe Tofugericht mit Hackfleisch serviert.

Möglicherweise wandert das deutsche China-Lokal auch nach Italien aus. Wenn man dort überhaupt ein ausländisches Restaurant findet – die Italiener essen nun mal am liebsten italienisch –, dann ist es garantiert ein chinesisches. Anfang der 80er Jahre, so war kürzlich in einer Meldung zu lesen, gab es in ganz Italien 100 China-Lokale; heute sollen es allein in Mailand mehr als 400 sein.

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