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Tainá Guedes zeigt in ihrer "Entretempo Kitchen Gallery" in Prenzlauer Berg, dass Essen auch Kunst ist.

© promo

Die Künstlerin Tainá Guedes im Porträt: Iss schön auf!

Sie kam aus Brasilien nach Berlin, wollte als Köchin arbeiten. Stattdessen stand Tainá Guedes mit ihrem Koffer im Schnee – und serviert jetzt Kunst gegen die Wegwerfgesellschaft.

Auf den ersten Blick mutet es doch etwas paradox an: Da verschreibt sich eine Künstlerin dem Kampf gegen Lebensmittelverschwendung, und um darauf aufmerksam zu machen, lässt sie 137 Brötchen von der Decke der Markthalle Neun baumeln. Echte Schrippen wohlgemerkt, zusammen sechs Kilo schwer. So viel Brot, wie jeder Deutsche im Jahr statistisch wegwirft. Müsste nicht für jemanden, der sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, mehr noch als für alle anderen der Satz gelten: „Mit Essen spielt man nicht“?

Ach, sagt Tainá Guedes. Den Spruch habe sie natürlich als einen der ersten gehört, als sie 2006 aus São Paulo nach Berlin zog. Doch Kindern, denen man das ständig predige, bekämen ja Angst vorm Essen. Dabei stehe es um deren Wissen, was Ernährung angeht, eh schon katastrophal schlecht. Als sie 2013 mit Schülern ein Kunstprojekt organisierte, für das ihr später der Unesco-Preis für Engagement verliehen wurde, zeigte sich, dass viele gar keine Ahnung hatten, wo ihre Lebensmittel herkommen. Die Schule lag in Berlin-Mitte, wohlgemerkt.

„Wie soll man einen Bezug zum Essen bekommen, wenn man nicht auch mal damit spielen darf?“, fragt sie zurück. Ansonsten könne sie einen beruhigen: Die Brötchen aus der Markthalle wurden allesamt aufgefuttert. Teil des Konzepts.

Eigentlich wollte sie Köchin im Cookies Cream werden

Guedes, deren Name, wenn sie ihn selbst ausspricht, so ähnlich wie „Gädschs“ klingt, sitzt in ihrer „Entretempo Kitchen Gallery“ in Prenzlauer Berg. In dem Ladenlokal präsentiert sie Ausstellungen, veranstaltet Kochevents und plant Projekte wie die Food Art Week, die das nächste Mal vom 7. bis 14. Juli in Berlin stattfinden wird.

Neben ihr klickt eine Praktikantin am Laptop, hinter ihr tragen zwei Frauen Bretter in den Ausstellungsraum, der gerade aussieht wie die Baustelle eines Burger-Restaurants. Es ist ein Donnerstag im Februar. Am Wochenende soll eine neue Ausstellung eröffnen. Eine fiktive Fastfood-Filiale wird dafür aufgebaut, mit Tresen, Tablettwagen und einem an das von McDonald’s angelehnte Logo: „MW – Mehr Wert“. Getreu dem Slogan wird auf Papierunterlagen und Postern nicht für Shakes und Fritten, sondern für Nachhaltigkeit geworben.

Guedes, die sich ein buntes Tuch um die hochgesteckten Haare gewickelt hat, serviert Apfelkuchen, von dem sie selbst jedoch nichts isst, und redet über ihre Kunst und ihr soziales Engagement. Mal auf Deutsch, mal auf Englisch. Die Übergänge sind fließend. Bei beidem.

So richtig geplant war das mit der Galerie nicht, erzählt sie. Eigentlich kam sie nach Berlin, weil sie eine Stelle als Köchin im Cookies Cream in Aussicht hatte. Nach ihrem Umzug hieß es dann aber, sie könne doch nicht anfangen. „Das war so ziemlich der worst case“, sagt sie. „Ich hatte in Brasilien alle Zelte abgebrochen und stand hier mit meinen Koffern im Schnee.“

Sie baut Ozeane aus Plastiktüten.

Auch ein Nudelauflauf ist mehr als die Summe seiner Teile. In ihrem neuen Kochbuch plädiert die Künstlerin für eine "Küche der Achtsamkeit".
Auch ein Nudelauflauf ist mehr als die Summe seiner Teile. In ihrem neuen Kochbuch plädiert die Künstlerin für eine "Küche der Achtsamkeit".

© promo

In ihrer Heimat hatte die 1978 geborene Tochter des Künstlers Omar Guedes als Lifestyle-Journalistin gearbeitet, ein Unterwäsche-Label gegründet, schließlich neun Jahre lang mehrere japanische Restaurants gemanagt. Allerdings war den Köchen ihre Herangehensweise oft zu experimentell. Olivenöl? Vegetarische Menüs? Das gehe gar nicht. Kurzerhand machte Guedes selbst eine Kochausbildung. Nur konnte sie damit in Berlin erst mal nichts anfangen.

Ging sie damals aus, fragten alle ständig: Was machst du so? Also fing sie an zu machen: organisierte Tauschbörsen für Nahrungsmittel, arbeitete mit Künstlern wie Olafur Eliasson. „Meine Überlegung war immer, wie man mit Essen und Kunst die Welt besser machen könnte.“

2013 entstand aus dem Gedanken das Buch „Kochen mit Brot“, in dessen Rezepten Reste verarbeitet wurden. Guedes machte aber die Erfahrung, dass ihr Ansatz vielen zu didaktisch war. „Kinder haben das zum Beispiel überhaupt nicht verstanden“, sagt die Mutter eines sechsjährigen Sohnes.

In der Kunst sieht sie jetzt vor allem ein Mittel, die Menschen emotional zu erreichen und zum Nachdenken zu bewegen. Über Menschenrechte, Tierhaltung, Umweltschutz. Und so baut sie mal einen Ozean aus Plastiktüten, in dem ein Menü serviert wird, das wie unser Planet zu 70 Prozent aus Wasser besteht. Oder sie flambiert wie Bäume drapierte Brokkoliröschen, die mit einer Soße quasi gelöscht werden können. Eine Mahnung angesichts der Rodung des Regenwaldes.

Sie plädiert in ihrem Buch für bewusstes Genießen

Auch solche Ansätze erreichen aber nicht jeden. Als sie vor einer Weile eine Installation mit Kühlschränken in der Galerie hatte, kamen Nachbarn und drückten ihr Bedauern aus, dass sie mit der Kunst anscheinend nicht genug verdiene und jetzt Haushaltsgeräte verkaufen müsse. Dabei muss man sich diese Sorge wohl nicht machen. Guedes ist sich nicht zu fein, auch für Autokonzerne zu arbeiten oder für eine Brauerei eine neue Fassbrause zu entwickeln.

Guedes schuf einen Ozean aus Plastiktüten, um auf die Verschmutzung der Meere hinzuweisen. Darin servierte sie ein Menü.
Guedes schuf einen Ozean aus Plastiktüten, um auf die Verschmutzung der Meere hinzuweisen. Darin servierte sie ein Menü.

© Foto promo

An ihrem gehörigen Selbstbewusstsein als Künstlerin kratzen solche Flirts mit der Industrie nicht. Dass auch die Kreationen von Sterneköchen mitunter als Kunst bezeichnet werden, sieht sie kritisch. Oft fehle dabei eine Agenda jenseits der Ästhetik. Ein Mangel, den sie selbst Künstlern wie Joseph Beuys attestiert, der schon vor Jahrzehnten mit Lebensmitteln arbeitete. Natürlich kann man kritisch einwenden, dass sich auch Daniel Spoerri, Wegbereiter der Eat-Art, der in den 1960er Jahren dreidimensionale Stillleben aus Essensresten schuf, den ein oder anderen Gedanken zur Nachhaltigkeit gemacht hat.

Doch gegen kontroversen Austausch hat Guedes gar nichts: Der Food Art Week, die in diesem Jahr zum zweiten Mal in Berlin stattfindet, verpasste sie zum Beispiel den Titel „vs Meat“ („versus Fleisch“). Ja, kämpferisch. Sagt sie selbst. Und damit ordentlich diskutiert wird, hat sie gleich mal Hendrik Haase, den Autor des Buches „Craft Meat“, eingeladen.

Sie selbst hat auch gerade wieder ein Buch verfasst, in dem sie sich dem Thema „Mottainai“ widmet – einer aus Japan stammenden Philosophie der „Küche der Achtsamkeit“ (Kunstmann, 208 Seiten, 28 Euro). In dem Buch, das neben Tableaus von Zutaten, die bald auch ausgestellt werden sollen, Rezepte ihrer japanischen Mutter und ihrer brasilianischen Heimat enthält, plädiert sie für bewusstes Genießen.

Klar, wegwerfen ist ebenfalls wieder Thema: Aus dem, was bei anderen Leuten im Müll landet, macht Guedes „Bananenschalen-Schnitzel“. Putzen, panieren, braten ... schmeckt gewöhnungsbedürftig. Aber Kunst soll ja vor allem kreativ sein.

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