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Gesellschaft: Die schönsten Franzosen kommen aus der Pfalz

Mehr Sonne und höhere Temperaturen verändern die deutsche Weinkultur. Schon wachsen hierzulande Merlot, Syrah und Cabernet Sauvignon. Der Riesling dagegen schwitzt sich zu Tode. Ein Weinklimabericht zum G 8-Gipfel.

Die Bilder des Sahara-Jahrgangs 2003 sind unvergessen. Wie eine Glucke hatte sich die brütende Hitze des Spätsommers wochenlang auf die Weinberge gesetzt. Pechschwarz leuchteten die Spätburgunder-Trauben von ausgedörrten Hängen. Im Kaiserstuhl stieg das Thermometer an 54 Tagen über 30 Grad. Im Durchschnitt aller Sommertage war es in Freiburg wärmer als im nordafrikanischen Tunis.

Die Winzer ernteten Trauben mit den höchsten Mostgewichten seit Menschengedenken; schwere, likörähnliche Weine mit 16, 17 Grad Alkohol waren keine Ausnahme. Gleichzeitig waren die Säurewerte so niedrig, dass künstlich gesäuert werden musste. „Wir konnten die Sonne ja nicht abstellen“, entschuldigten sich die Winzer.

2003 markierte den bisherigen Höhepunkt des Wärmeschubs in den Weinbauregionen, der Ende der 80er Jahre eingesetzt hatte. Dabei war gerade jenes Jahrzehnt noch von „sauren“ Jahrgängen gekennzeichnet. 1984 etwa war eine Katastrophe, kaum eine Traube war reif geworden. Auch 1987 bleibt als Weinjahr mit stahliger Säure in Erinnerung. Es sollte der vorläufig letzte kalte Jahrgang in Deutschland bleiben.

Seitdem registrierten die Weinregionen eine fast schon beängstigende Abfolge mittlerer, guter und exzellenter Jahre. Die Durchschnittstemperatur in Neustadt an der Pfälzer Weinstraße ist im vergangenen Jahrzehnt vom langjährigen Mittelwert 10,1 auf 11,2 Grad geklettert – für Winzer ein gewaltiger Sprung. Die Reben treiben im Schnitt volle zwei Wochen früher aus, die Sonnenscheindauer stieg von dem im 20. Jahrhundert in Neustadt gemessenen Mittelwert von 1719 Stunden auf 1961 Stunden für die Zeit von 1997 bis heute.

In den letzten 20 Jahren hat sich der deutsche Stil dramatisch verändert. Die Weine wurden voller, die Alkoholgehalte höher. Auch der Rebsortenspiegel steht kopf. Auffälligste Veränderung: Das Weißweinland errötet. Heute ist die Pfalz mit 9000 Hektar das größte Rotwein-Anbaugebiet Deutschlands. Dabei waren hier im Jahr 1980 gerade elf Prozent der Rebfläche mit den Wärme liebenden roten Trauben bestockt. Jetzt hat man die 40-Prozent-Grenze erreicht.

Plötzlich werden Rebsorten gepflanzt, die man früher eher im Gewächshaus kultiviert hätte. Zwischen Grünstadt und Landau, zwischen dem Freinsheimer Musikantenbuckel und dem Wollmesheimer Mütterle sind die Winzer besonders innovativ. Angefeuert von den warmen Jahrgängen, wird in der „deutschen Toskana“ intensiv mit italienischen und spanischen Rebsorten experimentiert. Südfranzosen, gehören schon lange zum festen Inventar. Die beiden wichtigsten Trauben des Bordeaux-Gebiets, Cabernet Sauvignon und Merlot, sind hier inzwischen weit verbreitet.

Heinrich Vollmer war der Pionier. Der Winzer aus Ellerstadt musste sich 1985 den Versuchsanbau der Bordeaux-Sorte Cabernet Sauvignon noch gerichtlich erstreiten. Vollmer, der bei einer Bergtour in den Anden verschollen und für tot erklärt worden war, hatte nach seiner spektakulären Rettung durch Indios ein Überlebensfest gefeiert und dabei Cabernet-Weine der ganzen Welt probiert. Darunter befand sich auch ein Tropfen aus Neuseeland. Danach war Heinrich Vollmer überzeugt: „Wenn der dort reif wird, wächst er auch bei uns.“

Die ersten Stöcke setzte er heimlich, ohne die amtliche Erlaubnis, die für den Anbau jeder neuen Rebsorte erforderlich ist. Vollmer fiel prompt auf die Nase. Er musste seinen illegalen Cabernet wieder rausreißen, um ihn dann im Folgejahr – diesmal mit offizieller Genehmigung – als Versuchsanlage neu pflanzen zu dürfen. Aber er hatte Glück: Mit dem Trio 1988, 1989 und 1990 folgten schnell drei warme, Cabernet-taugliche Jahrgänge. Heute sind ihm die Bordeauxreben so vertraut wie Riesling und Silvaner.

Das Weingut Knipser im nordpfälzischen Laumersheim, eine der besten Rotweinadressen Deutschlands, schmuggelte 1988 heimlich seine ersten Cabernet-Stöcke zwischen seine Spätburgunder-Reben. Man spürt noch den Winzerstolz Werner Knipsers über das Piratenstück. „Wir wussten damals nicht, ob die neuen Sorten hier überhaupt reif werden, und wie sie zu unseren Böden passen.“ Nur ein Jahr später wurde eine Cabernet-Versuchsanlage genehmigt. 1992 gab es die erste Lese, 1993 den „ersten Knaller“, einen großen Cabernet, der sich jetzt, als 14-jähriger Wein, in Hochform präsentiert. Heute hat Knipser nicht nur acht Hektar „Bordeaux-Segment“ im Anbau, sondern auch den südfranzösischen Syrah, den er zu einem tintenfarbigen und tabakwürzigen Rotspon im internationalen Stil ausbaut.

Noch Anfang der 90er Jahre war Deutschland für seine Rotweine belächelt worden. Hellrot, dünn und in fruchtiger Kitschigkeit präsentierten sich Weine, die in Italien oder Frankreich eher als Rosé durchgegangen wären. Die Häme über die „Himbeerbrause“ haben viele noch nicht vergessen. Umso mehr freuen sich die Winzer, wenn sie jetzt mit klimatischem Rückenwind kräftige, tieffarbige und gerbstoffreiche Tropfen, also „richtige“ Rotweine keltern.

Knipsers Wein-Nachbar in Laumersheim heißt Philipp Kuhn. Er hat 26 Jahre Handball gespielt. Sein neues Hobby: Sangiovese. Die dickschalige Rebsorte wird vor allem in der Toskana angebaut. Cabernet und Merlot sind bei Kuhn schon seit Jahren etabliert, jetzt hat er den Italiener im Versuchsanbau und dazu noch die im Rhônetal beheimatete Weißweinsorte Viognier. Kuhn will demonstrieren, „was für ein klimatisch tolles Gebiet wir sind“. Traditionen und Rebsortenprofil der Pfalz sind ihm so vertraut wie die Temperaturtabellen und Diskussionen zum Klimawandel. Den Rebsorten-Referenten der „Pfälzer Weinbautage“ hat er noch im Ohr. Nach dessen Einschätzung sind ausgerechnet die französischen Importe Chardonnay und Merlot die Rebsorten, die in den Weinbergen des Anbaugebiets klimatisch derzeit die besten Bedingungen finden.

Mit seinen mediterranen Exoten hat Kuhn erstaunliche Erfahrungen gemacht. Dazu gehört nicht nur der Sieg beim Deutschen Rotweinpreis 2004. Wichtiger für ihn: Sie werden problemlos reif, und sie kommen gut bei der Kundschaft an.

Während die südeuropäischen Sorten langsam nach Norden ziehen, bleibt den Weinbauern in Spanien und Italien nur die Flucht in höhere, kühlere Weinbergslagen. Die Südtiroler Weinbauern, glaubt das Fachblatt „Wein-Gourmet“, müssten ihre Reben in einigen Jahren in 800 bis 1000 Meter Höhe pflanzen, um ähnlich frische Weine zu erzeugen wie heute.

In der Spätsommerhitze verlieren die Trauben sonst schnell ihre Säure, die Weine werden plump und spritig. Auch die Winzer im Chianti, im Rioja oder an der südlichen Rhône werden klettern müssen. Die Champagne, aber auch das Burgund mit dem auf kühleres Klima abonnierten Pinot Noir, könnten zum Verlierer des Klimawandels werden. Weinautor Jens Priewe meint, dass Champagner in 50 Jahren „mit dem jetzigen Produkt nur noch das Prickeln gemein“ haben könnte. Profitieren werden viele osteuropäische Länder. Und auch in England wird schon respektabler Sekt hergestellt.

Der Pfälzer Jungwinzer Sven Leiner hat andere Träume. Er hat 1998 1000 Stock der spanischen Rebsorte Tempranillo gepflanzt: in Ilbesheim, einem Winzerdorf der Südpfalz. Der tiefdunkle Wein mit der animalischen Aromatik ist mit seinem selbstbewussten Preis von 23,50 Euro inzwischen der Star auf seiner Weinliste. Dasselbe gilt für den piemontesischen Nebbiolo, den das Winzerpaar Verena Suratny und Matthias Koch im Weingut Brenneis-Koch in Leistadt keltert. Die im Barolo-Gebiet beheimatete Rebsorte liefert einen attraktiven, kräftigen Roten. Auch Syrah und Viognier wachsen wie selbstverständlich auf den Rebflächen von Brenneis-Koch.

Inzwischen stößt das Vorrücken südeuropäischer Reben aber auch auf Unbehagen. „Wir sollten es nicht übertreiben“, mahnt ausgerechnet Cabernet-Pionier Heinrich Vollmer. Vor lauter Begeisterung über die heißen Typen aus dem Süden könnten alte Stärken vergessen werden. Die heißen bisher noch Riesling und Spätburgunder. Die beiden wichtigsten deutschen Rebsorten reifen in unserem kühlen Klima zu großer Finesse.

Nur: So richtig kühl ist dieses Klima schon lange nicht mehr. Dem Spätburgunder hat das nicht geschadet, aber der Riesling ist nicht nur im Hitzejahr 2003 etwas plump ausgefallen. So könnte die angesehenste deutsche Rebsorte zum ersten Opfer des Klimawandels werden.

Wo man diese Weine findet:

Weingut Knipser u.a. bei Wein und Glas, Wilmersdorf, Prinzregentenstraße 2 und bei Sekt, Wein und Design, Kreuzberg, Stresemannstraße 28.

Heinrich Vollmer bei Getränke Hoffmann. Weingut Philipp Kuhn in den Filialen von Weinladen Schmidt, z. B. Neukölln, Sonnenallee 68 und Enoteca Blanck und Weber, Wilmersdorf, Ludwigkirchstraße 11.

Weingut Sven Leiner bei Viniculture, Charlottenburg, Grolmanstraße 44–45.

Weingut Brenneis-Koch bei Slow, Prenzlauer Berg, Prenzlauer Allee 205.

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