zum Hauptinhalt
In kleinen Schälchen wird Sambal gereit. Es gibt 300 Sorten.

© Philipp Engelhorn/laif

Die Vielfalt der indonesischen Küche: Der Fluch des Nasi Goreng

Krosse Ente fürs Bebek Sambal Matah, Kokos im Rendang – um die Gewürze für diese Gerichte wurden Kriege geführt. Die indonesische Küche hat mehr zu bieten als nur gebratenen Reis.

Es gibt Momente, da beneidet Christian Adelius die Vietnamesen und Thailänder. Adelius sitzt am Fenster seines Restaurants Tuk Tuk in der Schöneberger Großgörschenstraße. Die Wände sind mit geflochtenem Bast verkleidet, die Bar ist einer tropischen Bambushütte nachempfunden, Gamelan-Musik plinkert ihren sphärisch-entrückten, leicht bekifft klingenden Melodiebogen. „Es ist so“, erklärt der 41-Jährige. „Die haben viele Gerichte, bei denen man die Zutaten einfach frisch in den Wok gibt – und fertig.“

Ganz anders die indonesische Küche. Damit hat Christian Adelius lange Jahre Erfahrung. So deutsch sein Name klingt, der Wirt stammt aus Indonesien. Seit 20 Jahren lebt er in Berlin. Er kam ursprünglich nur zum Studieren, blieb dann, als er eine Anstellung als Steuerberater fand, und machte später seine Passion fürs Essen zum Beruf. Vor drei Jahren übernahm er das Tuk Tuk von Bekannten, die in Rente gingen. 1984 eröffnet, ist es das dienstälteste indonesische Restaurant in Berlin – und ziemlich lange war es das einzige.

Fünf Stunden muss das Rendang garen

„Unsere Küche ist sehr aufwendig“, erklärt Adelius, der regelmäßig die Botschafter von Indonesien, Malaysia und Brunei bewirtet, wenn die mal kulinarisches Heimweh haben. Im Grunde ist er aber selbst ein Botschafter: des Geschmacks seiner Heimat. Kein einfacher Job. Das Bebek Sambal Mat Ah zum Beispiel, ein Gericht aus Bali, der Bestseller im Tuk Tuk. Auf der kross gebratenen Ente ruht eine zitronig-duftige, säuerlich-frische und recht scharfe Gewürzpaste. In die gehören allein sieben Kräuter. „Die müssen klein gehackt werden – sehr klein!“, sagt er. „Das geht nicht eben mal in zehn Minuten. Außerdem kann das nicht jeder.“ Schnitttechniken sind eine wichtige Sache. Garzeiten eine andere. Gerichte wie das Rendang, eine Art Curry mit Kokosmilch, erfordern eine lange Vorbereitung, müssen fünf Stunden garen. Undankbar in der Gastronomie, wo es immer schnell gehen muss. Schließlich die Zutaten. Da ist Adelius zum Improvisieren gezwungen. Man bekommt hier ja keinen indonesischen Sellerie, der kleiner und aromatischer als der deutsche ist. Und die roten Zwiebeln und Auberginen aus Thailand, mit denen sie im Tuk Tuk kochen, sind auch nicht die richtigen.

Natürlich ist der Geschmack in einer Stadt wie Berlin längst globalisiert, praktisch jede Landesküche irgendwie repräsentiert. Ghanaisches Fufu? Kein Problem, gibt’s im Wedding. Kabeljau aus Island? Gerade das heiße Ding in Mitte. Pisco aus Peru? Letzte Woche hat in Neukölln eine Bar aufgemacht, die den Weinbrand zum Ceviche serviert. Und wer noch zählt, wie viele Koreaner jeden Monat neu aufmachen, hat wohl sonst nicht viel zu tun.

Doch so weit die Vermessung der kulinarischen Welt auch fortgeschritten sein mag, Indonesien bleibt ein blinder Fleck. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es mit 249 Millionen Einwohnern das viertbevölkerungsreichste Land der Erde ist. Und mit seinen 17 500 Inseln, 200 Volksgruppen und der komplexen Migrations- und Kolonialgeschichte eine unglaublich reiche wie vielseitige kulinarische Tradition hat. Immerhin wurden um indonesische Gewürze schon Kriege geführt.

Kulinarisches Begleitprogramm zur Buchmesse

Da klingt es fast wie ein Witz, dass das wohl untypischste Gericht gleichzeitig das bekannteste ist: Nasi Goreng. Gebratener Reis, wahlweise mit Hühnchen oder Gemüse. Eine schnell zubereitete Wok-Speise, die in Varianten in vielen asiatischen Küchen Einzug gehalten hat. Dessen Bekanntheit ist aber durchaus ein Problem. Es vermittelt einen falschen Eindruck.

Leon Joskowitz hat einen ganz anderen gewonnen. „Die Küche ist ein ungeborgener Schatz“, findet der Frankfurter Koch und Caterer, der durch Indonesien reiste, um für das Festival „Spice it up“ zu recherchieren, das er als kulinarisches Begleitprogramm zur Frankfurter Buchmesse veranstaltet. Mit 15 Teilnehmern und 50 Veranstaltungen wird es das größte Treffen indonesischer Köche bisher sein. Zwei mobile Garküchen werden auf den Straßen Frankfurts unterwegs sein. Denn auch Streetfood ist ein ganz großes Thema in Indonesien.

Die Indonesier sind essensverrückt

Auf einem Bananenblatt gedämpfter Fisch.
Auf einem Bananenblatt gedämpfter Fisch.

© PIFood/ Alamy

Joskowitz ist beeindruckt von der extremen Vielfalt der indonesischen Küche. Schon die Sambals, die zum Essen in kleinen Schälchen gereicht werden: „Allein 300 Sorten gibt es“, sagt er. Die Gewürzpasten reichen von mild bis scharf über fruchtig bis salzig. Bei manchen werden frische Chilischoten mit dem Mörser zerstoßen, bei anderen die Gewürze mit Chili und Tomate in Öl gebraten. „Gerade in der Schärfe verstecken sich unglaublich viele Geschmacksnuancen, die man erst nach ein paar Tagen erkennt, wenn man sich ein bisschen an sie gewöhnt hat.“

Ohnehin sind die Indonesier essensverrückt. Ihre Küche ist untrennbar mit dem Alltagsleben verbunden. „,Es schmeckt mir gut‘“, erzählt Joskowitz, „hat eine viel weitreichendere Bedeutung. Eher: ,Schön, dass wir hier zusammen sind‘.“

Unzählige Regionalküchen

Wie stark das Essen die Identität prägt, zeigt sich auch in der Literatur, in der die Küche eine tragende Rolle spielt. Im Roman „Pulang (Heimkehr nach Jakarta)“ von Leila Chudori (Weidle Verlag) etwa geht es um eine indonesische Familie, die nach Paris emigriert und dort ein Restaurant eröffnet. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Zwar konnten die Emigranten, die vor dem Diktator Suharto flohen, gar nicht kochen, da jedoch die Franzosen auch nicht wussten, wie indonesische Küche schmeckt, fiel das nicht so ins Gewicht. Die Kochbuchautorin Petty Elliot, die ebenfalls nach Frankfurt zur Buchmesse kommt, hat aus den Gerichten, die im Roman beschrieben werden, Rezepte entwickelt.

Die Vielfalt der indonesischen Küche zu durchdringen, ist ein Großprojekt. Es mag ein paar Gerichte geben, die jeder in Indonesien kennt, Nasi Goreng natürlich, Rendang, Satay-Spieße und Pisang Goreng etwa, frittierte Bananen, ein beliebter Streetfood-Snack. Doch einerseits existieren unzählige Varianten – alleine für das Rendang gibt es gut 50 gängige Zubereitungsweisen –, andererseits haben selbst die Indonesier nicht immer den Durchblick, wer was wo genau isst.

Von den unzähligen Regionalküchen sind nur die größten landesweit bekannt. Berühmt ist die Küche aus Sumatra, die entfernt an die indische erinnert, aber auch chinesisch, arabisch und malaiisch beeinflusst ist. Auf Java wird eher mild gegessen, scharf dagegen im Norden Sulawesis und die Molukken sind bekannt für ihre in Bananenblättern gedämpften Fischgerichte. Was genau auf Borneo gegessen wird, bekommt man auf Bali nicht mit.

In den Niederlanden wird die Tradition modernisiert

In kleinen Schälchen wird Sambal gereit. Es gibt 300 Sorten.
In kleinen Schälchen wird Sambal gereit. Es gibt 300 Sorten.

© Philipp Engelhorn/laif

Auch weil viele Geheimnisse nur mündlich überliefert werden, wie das Wissen um die Gewürze, die Basis der Küche. „Es ist ein großer Unterschied, ob man junges oder älteres Zitronengras nimmt“, erklärt Agus Hermawan. „Altes schmeckt intensiver, man muss es ganz anders dosieren.“ Man müsse wissen, wie ein Gericht schmeckt, um es nachzukochen. Die festgeschriebenen Rezepte geben da nur bedingt Aufschluss.

In den Niederlanden ist Hermawan ein bekannter Mann. Ende der 90er Jahre erkochte er einen Michelin-Stern in dem Restaurant Spanderhoeve – mit indonesischer Küche. Damals ein weltweites Novum. Heute betreibt er drei Restaurants namens Blauw in Amsterdam, Utrecht und Den Haag und ist regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Im Spanderhoeve servierte der Autodidakt traditionelle Gerichte in westlicher Menüfolge, kombinierte indonesische Aromen mit niederländischen Zutaten wie Muscheln oder Lammcarré, modernisierte die Techniken, etwa indem er anders als in seiner Heimat Sauce und Fisch separat zubereitete. Diese Experimentierfreude vermisst er in seiner Heimat manchmal. „Mir kommt das Kochen in Indonesien sehr traditionell vor“, sagt Hermawan. Die ehrgeizigen jungen Köche würden sich eher der westlichen Küche zuwenden, als ihre eigene zu modernisieren.

Zur Buchmesse erscheinen auch indonesische Kochbücher

In den Niederlanden ist die indonesische Küche seit 1945, als das Land seine Unabhängigkeit erklärte, fester Bestandteil der Kultur, da viele Indonesier damals eingewandert sind. Entsprechend bekommt Hermawan 80 Prozent der Gewürze, die er verwendet, aus dem lokalen Handel. Auf manches, wie Asam Kandis, eine Tamarindensorte, oder Daun Kemangi, ein spezielles Basilikum, muss er allerdings verzichten.

Für Leon Joskowitz ist es nur eine Frage der Zeit, bis indonesische Küche auch außerhalb der Niederlande bekannter wird. „Das Land war lange mit sich selbst beschäftigt. Jetzt präsentiert es sich mehr nach außen.“ Zur Buchmesse erscheinen einige Kochbücher, in Berlin gibt es mittlerweile vier indonesische Restaurants.

Christian Adelius leistet derweil im Tuk Tuk Basisarbeit. Zum Beispiel bei der Frage, wie heiß das Essen sein soll. In Indonesien isst man die Gerichte lauwarm oder kalt. Immer wenn bei ihm ein neuer indonesischer Koch anfängt, muss Adelius ihn erst mal bitten, dass er die Gerichte auch wirklich heiß servieren soll. Weil für Indonesier heiß aber höchstens lauwarm ist, wundern sich die Gäste bisweilen über die Temperatur der Gerichte. Das ist dann zwar ziemlich authentisch, aber was hilft das schon, wenn es keiner erkennt? Oder besser: noch keiner.

Neue Kochbücher:

Jenny Susanti, Andreas Wemheuer: Indonesisch vegetarisch, Hädecke Verlag, 120 Seiten, 14,95 Euro.

Jenny Susanti, Andreas Wemheuer:  Bali & Java Street Food: Kulinarische Reiseskizzen mit vielen Rezepten, Hädecke Verlag, 216 Seiten, 18 Euro.

Felix Denk

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false