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Kochduett: Der Ägypter Ahmed Kotb (rechts) und der Österreicher Harald Höllrigl kreieren gemeinsam Fusion-Gerichte für das Kochbuch "Eine Prise Heimat".

© Thilo Rückeis

Eine Prise Heimat: Wir kochen das!

Für das Buch „Eine Prise Heimat“ haben sich Spitzenköche und Flüchtlinge an den Herd gestellt und gemeinsame Menüs kreiert.

Man hört es sofort: Die beiden Männer, die an diesem Sommertag gemeinsam in einer Schöneberger Küche stehen, kommen nicht von hier. Wenn Ahmed Kotb spricht, verschluckt er manchmal ein paar Silben, und braucht einen Moment, bis ihm das Wort „Erbsen“ einfällt. Auch bei Harald Höllrigl ist es mit dem Hochdeutschen nicht so weit her, dabei lebt der Österreicher seit vielen Jahren in Berlin, führt einen Cateringservice, wachte früher mal als Küchenchef über die Schnitzel im Borchardt.

Gerade versucht er Kotb die richtige Aussprache von „Zwetschgenröster“ beizubringen. „Swesch, Swetsch –“, stottert Ahmed und lacht. Es muss sich ja nicht gut anhören. Es muss nur gut zum Feteer passen, einer Art Croissant aus seiner Heimat Ägypten. Den Teig dafür bereitet er gerade vor.

Höllrigl, der Profi, und Kotb, der Hobbykoch kombinieren ihre Esskulturen. Remixen, ergänzen, vergleichen. Mehrere Stunden wird es dauern, bis am Ende ein Drei-Gänge-Menü steht, das es ins neue Kochbuch des Berliner Vereins „Über den Tellerrand kochen“ schafft. Seit 2013 kümmert man sich dort um kulturellen Austausch, vor allem über das Kochen und Essen, immer häufiger auch über Sportkurse, Sprach-Tandems und ein Mentoringprogramm für den Einstieg in die deutsche Arbeitswelt.

Die Idee zum dritten Buch, „Eine Prise Heimat“, hatte Lisa Thaens, Vereinsmitglied der ersten Stunde und eine der zwei hauptamtlichen Mitarbeiter. Jetzt läuft die 25-Jährige zwischen Ahmed Kotb und Harald Höllrigl hin und her, notiert jeden Schritt. Die ersten Kochbücher – darunter das 2014 erschienene und 10 000-fach verkaufte „Rezepte für ein besseres Wir“ – stellten Lieblingsgerichte von Geflüchteten vor und erzählten Geschichten von Heimat und Flucht. Nun geht es einen Schritt weiter, die Geflüchteten kommen an, auch kulinarisch, also: Vertrautes und Neues auf dem Herd. „Wir wollten mal schauen, wie ganz unterschiedliche Sachen zusammen funktionieren können“, sagt Lisa Thaens.

Ahmed Kotb will vor allem lernen. Gerade hat der 34-jährige Familienvater eine Zusage für eine Kochausbildung bekommen. Es wäre das vorläufige Ende einer Geschichte, die in Ägypten angefangen hat: Mit den salafistischen Nachbarn, die Blutrache schworen, auf sein Auto schossen, sein Haus anzündeten, ihn auch noch bedrohten, als er nach Kairo zog. Schließlich ergatterte er für sich, seine Frau und die zwei Kinder ein einwöchiges Touristenvisum für Deutschland. Zweieinhalb Jahre ist das jetzt her. Das dritte Kind kam schon in Berlin zur Welt.

Gericht mit doppelter Staatsbürgerschaft: Confierter Zander an Linsensalat.
Gericht mit doppelter Staatsbürgerschaft: Confierter Zander an Linsensalat.

© Promo/Carina Adam

Langsam findet Ahmed Kotb hier seinen Platz. Leicht war das nicht. Erst die fremde Sprache, dann die fremde Arbeit. Sein ägyptischer Jura-Abschluss wird in Deutschland nicht anerkennt, seit einem Jahr kümmert er sich bei einem Taxiunternehmen um die Datenverarbeitung. „Aber Kochen mag ich viel lieber.“

Die ersten neun Monate verbrachte seine Familie in einem Flüchtlingsheim in Spandau mit zentraler Essensversorgung. „Das war ziemlich langweilig, gerade meine Kinder wollten lieber etwas anderes essen.“ Doch das Geld, das Kotb bekam, reichte nur manchmal für einen kleinen Einkauf. Dann stellte er sich in die Küche des Heims und kochte für die Familie. Mit der eigenen Wohnung in Spandau änderte sich viel. „Das war ein großer Schritt Richtung Normalität. Ich fühlte mich wieder wie ein Mensch, durfte kochen, was ich wollte.“

Seine Leidenschaft fiel auch einem Freund auf, der ihn bald mit zum Tellerrand-Verein nahm. Seither hat Kotb den Kochlöffel kaum noch aus der Hand gelegt. Er gibt Kurse, veranstaltet ägyptische Pizzanächte, zusammen mit einem Syrer übernahm er sechs Monate lang die Kantine der Kreuzberger Markthalle IX. „Mit solchen Sachen sprechen wir auch Leute an, die mit Geflüchteten bislang noch nicht so viel zu tun hatten“, erklärt Lisa Thaens. Mit dem Erlös aus dem Buchverkauf finanziert der Verein neue Projekte, Kurse und Angebote.

Auch andere Initiativen zeigen, dass Kennenlernen übers gemeinsame Essen geht. Das erfolgreiche „Welcome Dinner“ etwa hat, genau wie „Über den Tellerrand kochen“, bereits Ableger in mehreren Städten. Wer sich auf der Plattform der Initiative als Gastgeber anmeldet, kann Geflüchtete zum gemeinsamen Kochen und Essen bei sich zu Hause einladen.

Für „Eine Prise Heimat“ reicht Alltagsküche aber nicht aus. Die Rezepte sind fein austariert, kreativ und erfordern ein wenig Geschick. Zwölf Paare, jeweils ein Koch mit Fluchterfahrung und ein Küchenprofi, haben die Menüs zusammengestellt. Die beteiligten Geflüchteten engagieren sich im Verein, Lisa Thaens hat verschiedene Nationalitäten und Altersgruppen ausgewählt. Ralf Zacherl stand mit der Syrerin Alaa Abu Hashem in der Küche. Gaith Hanki aus Aleppo besuchte den gefeierten Sven Elverfeld zum Kochduett im Wolfsburger „Aqua“. Michael Kempf vom Berliner Zwei-Sterne-Restaurantl „Facil“ hat mit Reza Ahmadi aus Afghanistan aus den Zutaten für dessen Lieblingsspeisen neue Gerichte kreiert.

Mettigel? Bloß nicht!

Ägyptisch-österreichisches Dessert: Die Teigteilchen namens Feteer bekommen Gesellschaft vom Zwetschgenröster.
Ägyptisch-österreichisches Dessert: Die Teigteilchen namens Feteer bekommen Gesellschaft vom Zwetschgenröster.

© Promo/Carina Adam

„Die Geflüchteten finden das spannend, sie lernen ihre Gerichte von neuen Seiten kennen“, sagt Lisa Thaens. Ein Gambianer aß zum ersten Mal süß und salzig zusammen. Und Ahmed Kotb ist überrascht, dass Harald Höllrigl Eis zu seinen Feteer vorschlägt. „Das würden wir so in Ägypten nicht essen. Ist aber eine interessante Idee.“ Und schmeckt’s? Kotb grinst. „Keine Ahnung, ich faste.“ Es ist Ramadan, und er hält sich daran.

Ob das ägyptisch-österreichische Experiment geschmacklich gelungen ist, wird er erst sagen können, wenn er die Gerichte noch mal allein zubereitet. Ein Koch, der nicht abschmecken darf – geht das denn? „Ich salze etwas weniger und würze dann noch mal abends nach dem Fastenbrechen oder lasse andere Leute kosten.“ Schon reicht er einen Löffel vom Linsensalat, zu dem Harald Höllrigl den confierten Zander vorbereitet.

Den Zwetschgenröster für das Dessert (Rum!) und die Karotte im Schmorsud (Weißwein!) wird der Ägypter – zumindest nach Höllrigls Rezept zubereitet – auch nach der Fastenzeit nicht probieren können. Dass der Alkohol beim Kochen verfliegt: Geschenkt, das Essen ist nicht halal. Kotb glaubt, es wird auch alkoholfrei schmecken.

Die Arbeiten zum neuen Kochbuch waren nicht immer so unkompliziert wie bei Kotb und Höllrigl, erzählt Thaens. Wo zwei Welten aufeinandertreffen, kann es knirschen. Etwa bei Micha Schäfer vom hoch gelobten Restaurant „Nobelhart & Schmutzig“ und der Syrerin Mallake Jazmati, die in ihrer Heimat eine eigene Koch-Show hatte. Schäfers Küche ist dafür bekannt, „brutal lokal“ zu sein. Was nicht in der Region wächst, landet auch nicht auf dem Tisch. Seine Kochpartnerin hätte auf vieles verzichten müssen: Zimt, Pfeffer, Kreuzkümmel, diverse Gemüsesorten, die in Deutschland gerade keine Saison hatten. Das geht einfach nicht, sagte sie, die Einschränkungen veränderten ihre Rezepte zu sehr, so würde es kaum noch nach Syrien schmecken.

Drei Treffen hat es gebraucht, bis ein Kompromiss gefunden war. Die fünf wichtigsten Gewürze durften schließlich in das gemeinsame Menü. „Beide haben einen sehr hohen Anspruch an sich als Köche. War nicht ganz leicht“, sagt Lisa Thaens.

Beim Treffen mit Harald Höllrigl und Ahmed Kotb läuft alles glatt. Höllrigl wiegt und misst alle Zutaten feinsäuberlich ab, kneten tut er am liebsten mit den Händen. Kotb gießt das Wasser für den Feteer-Teig eher nach Gefühl in die Schüssel. Der Profi schaut interessiert zu, wie er den fertigen Teig faltet.

Der Koch in spe und der Profi: Ahmed Kotb (li.) und Harald Höllrigl.
Der Koch in spe und der Profi: Ahmed Kotb (li.) und Harald Höllrigl.

© Thilo Rückeis

Dabei kocht Kotb längst nicht mehr rein ägyptisch – falls es das überhaupt gibt. „Koschari, das Linsen-Reisgericht, das man in Ägypten fast täglich isst, kommt wahrscheinlich aus Indien.“ Seit er in Deutschland ist, hat er die italienische Küche für sich entdeckt, backt Pizza und lernt mit Hilfe von YouTube-Videos Fettuccine selbst zu machen. „Das ist Kochen für mich: immer was Neues ausprobieren.“ Wie man einen Kartoffelsalat hinbekommt, hat ihm eine Freundin gezeigt. Ein anderer Klassiker des deutschen Party-Buffets jagt ihm kalte Schauer über den Rücken. „Bei einem Frühstück gab es mal Mettigel. Ich dachte nur, Leute, ernsthaft? Das ist rohes Fleisch!“

Die in Ägypten obligatorischen Linsen hat er für das Kochbuch in einem Salat umgesetzt und zur Abwechslung mit frischem Orangensaft gewürzt. Sein Traum: Irgendwann Chef einer Fusion-Küche sein. Kotb nennt es „multikulti“. Ob die Familie bleiben darf, ist nicht sicher. Gerade erst hat Ahmed Kotb einen Brief von der Ausländerbehörde bekommen. Obwohl er eine Zusage für einen Ausbildungsplatz in einem Berliner Restaurant hat, droht ihm die Abschiebung. „Der Rechtsanwalt macht uns Mut, aber ich habe keine Ahnung.“

Was kann er tun? Schulterzucken. Abwarten. Und schon mal lernen, wie man Zwetschgenröster zubereitet.

„Eine Prise Heimat. Das Fusions-Kochbuch“, erhältlich ab 5. September, Riva, 200 Seiten, 29,95 Euro. ueberdentellerrandkochen.de. Buchpremiere am 16. September ab 18 Uhr im Kitchen Hub, Roßbachstraße 6, Berlin-Schöneberg.

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