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Spaghetti con Zucchini: T. C. Boyle in der Küche seines Hauses in den kalifornischen Bergen, wohin er sich gern zum Schreiben zurückzieht. Foto: Thomas Rabsch/laif

© Thomas Rabsch/laif

Gesellschaft: Essen und gegessen werden

Starautor T. C. Boyle und die Küche: Hier erzählt er, was er von Gourmets hält, warum er stolz auf sein Ratatouille ist und wie der Hummer sein Herz erweichte. Eine kulinarische Beichte.

Ich habe immer viel gegessen. Ich bin ein hyperaktiver Typ, voller unbändiger Energie und brauche jede Menge Treibstoff, viele Proteine, viele Kohlehydrate. Schon als Kind war ich so. Das Essen meiner Mutter ähnelte – trotz ihrer irischen Abstammung – der deutschen Küche: Immer viel Butter und am Sonntag Braten mit Kartoffelbrei und viel Soße. Hähnchen am Sonntag, so wie es die Nachbarn hielten, das war für meine Mutter undenkbar, das hätte sie als würdelos empfunden.

Ich mag seitdem den Geruch von Fleisch, und ich liebe Hamburger, welcher vernünftige Mensch tut das nicht, sie schmecken fantastisch. Und doch esse ich kein Fleisch von Rind oder Schwein mehr, nur noch Geflügel und Fisch. Das ist eine ethische Entscheidung, eine individuelle, denn meine Frau kaut sich jede Woche durch ganze Rinderherden. Ich akzeptiere das, kaufe ihr auch das Fleisch ein, nur zubereiten muss sie es sich selbst.

Meine Frau kocht recht anständig, allerdings selten, und als die Kinder noch im Haus waren, stand ich abends in der Küche. Wenn mir nicht nach längerem Kochen war, habe ich einen Salat gemacht und den Pizzaservice angerufen. Grundsätzlich koche ich ziemlich gesundes Zeug: Etwa ein Hähnchen, das ich über dem Rost grille, immer mit Gemüse, das ist ein ausgewogenes Essen.

Das ist mir nicht in die Wiege gelegt worden. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Meine Eltern rauchten je zwei Schachteln Zigaretten am Tag und waren Alkoholiker.

Meine Mutter arbeitete viel, sie kochte nicht gut, aber sie war eine gute Mutter und stand deshalb jeden Tag am Herd. Der Geruch von Schinken, gebraten in ganz viel Butter, das ist der Duft meiner Kindheit, und er zieht mich noch immer an, auch wenn ich keinen Schinken mehr esse.

Was das Trinken betrifft: Auch ich trinke – meistens Wein, manchmal bis zum Exzess, doch im Wesentlichen habe ich den Alkohol unter Kontrolle, auch die Drogen, denn ich will arbeiten. Meine Arbeit ist mein Leben, und deshalb habe ich noch nie ein Wort in einem anderen Zustand geschrieben als jenem des ungetrübten, quellklaren Geistes. Niemals würde ich beim Schreiben Alkohol trinken. Ich war Mitte zwanzig, als ich mich entschloss, nicht mehr bis vier Uhr morgens mit besoffenen Kiffköpfen in Clubs abzuhängen. Schriftsteller zu sein hatte mir Hoffnung gegeben, und im Zuge dieser Revolutionierung meines Lebens änderte sich auch mein Bewusstsein für das Essen.

Damals, in der Hippiezeit, fingen viele Leute meiner Generation an, sich darüber Gedanken zu machen, was wir eigentlich an Nahrung zu uns nehmen. Das hatte in Amerika vorher keine Rolle gespielt: Gesundes Essen und die Frage, welches Leid wir Tieren zufügen.

Ich lebte seinerzeit in Nordkalifornien und ging eines Tages mit Freunden Krebse fangen. Wir erwischten gigantisch große Krebse, und als wir sie zubereiten wollten, fanden wir plötzlich, es sei unmenschlich, sie in heißes Wasser zu schmeißen. Wir entschieden uns für kaltes Wasser – und erhitzten es dann. Doch das machte es nur schlimmer, es war furchtbar. Wir nahmen die Tiere wieder heraus, warteten und versenkten sie im brodelnden Topf.

Essen und gegessen werden, darum dreht es sich auch in meinem neuen Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“. Davon habe ich von Anfang an geschrieben. In mehreren meiner Bücher werden Menschen von Tieren getötet und gegessen. Ich will damit nicht urteilen, nicht darüber, ob etwa Vegetarier die besseren Menschen sind. Ich will nur provozieren, Gedanken provozieren. Denn zum einen ist es eine Tatsache, dass wir mit einem vegetarischen Speiseplan die grausamen Lebensbedingungen von Schlachttieren stoppen können, andererseits sind wir selbst nur große Affen.

Ich kann an einem Beispiel erklären, wie ich das meine. Wenn die Leute mich herumlaufen sehen, sagen sie: Da ist er, er ist ja so ein Genie, und wahrscheinlich kreisen gerade große Gedanken in seinem Kopf. Aber so ist das nicht. Ich bin wie jeder andere auch. Ich denke: kill, fuck, eat. So schlicht sind wir Menschen.

Ich bin kein exzellenter Koch. Ich habe es mir selbst beigebracht und verfüge über ein begrenztes Repertoire, doch mein Ratatouille würden Sie gerne essen wollen, denn es schmeckt großartig. Ich schmore ganz viel verschiedenes Gemüse, und in der letzten Minute gebe ich ein paar Shrimps oder andere Meeresfrüchte hinzu. Das Ganze serviere ich mit braunem Reis; es ist gesund und köstlich.

Eine wichtige Bemerkung zu den Shrimps: Die müssen mit den Fingern ausgepult werden, und dazu bin ich viel zu hibbelig. Das ist der Moment, in dem Frau Boyle glänzt: Sie pult die Krabben mit bewundernswerter Geduld, und das dauert eine Ewigkeit.

Hummer tun mir leid. Ich mag es nicht, sie mit zusammengebundenen Scheren beim Fischhändler im Aquarium zu sehen. Doch vor einigen Jahren, meine Frau war mit der Tochter verreist und ich mit meinen Jungs allein, habe ich noch mal einen Lobster gekocht. Ich wollte meinen beiden Söhnen etwas Besonderes bieten. Verdammt, ich werde es bestimmt nie wieder tun. Und ich bin mir sicher: Eines Tages wird der Hummer seine Rache bekommen, wenn die Welt untergeht, wenn sie im Wasser versinkt, dann werden die Hummer uns Menschen fressen.

Kochen entspannt mich, doch leider habe ich nicht immer die Zeit dazu. Wenn ich zu Hause schreibe, mixe ich mir jeden Mittag ein Müsli zusammen, und während ich esse, tu ich andere Dinge, ich gehe umher, ich notiere etwas. Seit die Kinder aus dem Haus sind, gehen wir abends häufig in ein Restaurant. Ich bin nicht furchtbar wählerisch. Mir schmeckt eigentlich alles, ob italienisch, thailändisch oder auch deutsches wie Schnitzel, Spätzle und Spargel. Für mich ist essen etwas Alltägliches, man sollte es nicht zur Besessenheit werden lassen – wie diese „Foodies“.

„Foodies“ sind Leute, in Amerika oder sonst wo auf der Welt, die verrückt sind nach teuren Restaurants, das ist ihr ganzes Leben. Sie kennen jeden Starkoch, lesen Zeitschriften und Restaurantführer und -kritiken; feines Essen hat ihr Hirn in Beschlag genommen. Ich habe eine ganze Menge Freunde, die so sind. Super-Gourmets! Ich liebe es, über fanatische Charaktere zu schreiben, insbesondere die Obsessionen beim Essen – wie in meiner Restaurant-Geschichte „Sorry Fugu“, die gerade in San Francisco und Paris auf die Bühne gebracht wurde.

Es erscheint mir ziemlich sonderbar, ein „Foody“ zu sein, diese kulinarische Entrücktheit in einer Welt, in der die Menschen überall an Hunger sterben. Gleiches gilt für den Wein. Ich schätze guten kalifornischen Rotwein, und ich weiß auch, wo ich ihn günstig bekomme. Aber ich sammle keinen Wein oder lagere besondere Jahrgänge.

Ob ich ein Alkoholiker bin, hängt von der Definition ab. Ich bin logischerweise vorbelastet, meine Eltern und auch alle Geschwister meines Vaters waren Alkoholiker. Es gab eine Tante, die ich seit meiner Kindheit nicht gesehen hatte, und irgendwann in den 80er Jahren trafen wir uns wieder. Sie war selbstverständlich schwer betrunken. Ich fragte sie vorsichtig nach dieser genetischen Disposition, sagte, dass ich Angst hätte, ein Alkoholiker zu werden. Sie brach in lautes Lachen aus: „Es ist zu spät, das ist vererbt.“

Aber ich glaube, dass ich genug Selbstdisziplin besitze und auch rigide genug bin, um kein Alkoholiker zu sein. Die Schriftsteller aus der Generation vor mir waren ständig beduselt, einige habe ich selbst so erlebt, und ich will verhindern, so zu enden. Letztlich ist die Sauferei auch eine Art Selbstmedikation. Jeder Mensch auf der Erde hat Schmerzen, tiefe psychologische Schmerzen, denn das Leben hat keinen tieferen Sinn; wir leben nur, um zu sterben. Gegen diese Wahrheit müssen wir ständig etwas tun. Meine Frau zum Beispiel stürzt jeden Morgen Unmengen Kaffee in sich hinein, nur um am Leben zu sein. Ich trinke jetzt gerade schwarzen Tee, um nicht einzuschlafen. Andere werden eben „Foodies“.

Könnte ich vor meinem Tod eine letzte Mahlzeit wählen, wäre es Fleisch. Es wäre das Fleisch von George W. Bush. Alternativ dazu fällt mir nichts ein, obwohl: Gebt mir irgendein Gemüse, nein, gebt mir Spargel. Ich schätze Spargel, der weiße deutsche ist besonders lecker, viel besser als unser kalifornischer. Oder nein, jetzt hab ich es: Ich nehme als Henkersmahlzeit einen Hummer! Er möge mir verzeihen.

Protokoll: Nina Hermann; T. C. Boyles neuer Roman erscheint im Hanser Verlag

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