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© Deike Diening

Essen und Trinken: Erfolgsrezept

Donna Leon lebt seit 30 Jahren in Venedig und schreibt Kriminalromane. Ihre beste Freundin weihte sie in die Küche Italiens ein. Nun haben die beiden zu Hause für unsere Reporterin gekocht.

Fleisch isst sie nur, um Freunde nicht zu enttäuschen. Rindfleisch wegen seiner Produktionsbedingungen nie. Fisch? „Ungern, schon rein geschmacklich.“ Und sie weiß inzwischen einfach zu viel über Gifte, um die venezianischen Muscheln noch zu essen. Sie sind in der Lagune von Venedig von der Petrochemie verseucht. Bleibt noch zu erwähnen, dass sie seit über 20 Jahren eigentlich auch keinen Alkohol mehr trinkt.

Kann so jemand ein Kochbuch herausbringen? Donna Leon rührt entschieden das Kürbisrisotto um. Sie rührt nach dem Rezept ihrer besten Freundin Roberta Pianaro, in deren Küche sie gerade steht, und mit der sie das Kochbuch herausgibt. Darin ihre Geschichten, wie Familie Brunetti gerne isst, und auch die Gerichte, die alle von Roberta stammen. Heute Abend wird ganz nach dem Buch gekocht. Donna Leon selbst ist süchtig nach Kürbisrisotto, sie kann es problemlos viermal die Woche essen. Sie hat Risottokochen von Roberta gelernt, wie die ganze italienische Küche mit ihren einfachen Wahrheiten, die aber einer Amerikanerin mit fleisch- und zuckergesättigter Kindheit erst einmal einleuchten müssen.

In Venedig, wo das Schmatzen nicht von schlechten Tischmanieren kommt, sondern von den Küssen der Verliebten, wo statt Autos unablässig die Rollen der Hartschalenkoffer über den Marmor schlagen, ist seit beinahe 30 Jahren unter den an Zahl stetig schwindenden Einwohnern die amerikanische Bestseller-Autorin Donna Leon eine der widerständigsten. Sie steht in Robertas winziger Küche unter dem Dach, wo die eine sich gut umdrehen kann, wenn die andere nur ganz dicht am Kühlschrank stehen bleibt. Unter der Dachschräge thront der große Holztisch, an dem Donna Leon nachweislich die meisten Mahlzeiten ihres Lebens zu sich genommen hat. An diesem Tisch fand über 30 Jahre die kulinarische Wandlung einer Amerikanerin in Venedig zu einem kulinarischen Menschen statt.

An diesen Tisch trägt nun Roberta, tagsüber Schmuckdesignerin, als Vorspeise eine venezianische Spezialität: Sardinen süß-sauer, die bereits seit 24 Stunden mit Zwiebeln, Rosinen und Pinienkernen flirten (Rezept unten). Und da sie noch die Nachbarn eingeladen haben und ein befreundetes Winzerpaar, legt sich dazu ein Stimmenschnattern über alles wie eine eigene, national unverzichtbare Zutat, die das Essen erst zu einem italienischen macht.

Leons Erfolgsrezept war bislang der Kommissar Brunetti, aber ihren Lesern fiel auf, dass der immer so gut aß. Dass sich beim Essen das Erzähltempo verlangsamte. Dass alles etwas zur Ruhe kam. Die schlagartig entspannten Leser dachten, es muss am Essen liegen, und wollten die Rezepte haben. Leon sah sich also in ihren Büchern die kulinarischen Stellen noch einmal durch. „Wieso schicken mir so viele Leute Kommentare dazu? Wie habe ich über Essen eigentlich geschrieben? “

Erleichtert stellte sie fest: Sie hatte keinerlei „Food-Porno“ produziert. „Food-Porno“ nennt sie dieses lüsterne Schwelgen in detailreichen Beschreibungen von Flutschigem, Heißem, Feuchtem. „Food-Porno“ kann sie nicht ausstehen. Bei ihr war es sprachlich gesehen einfachstes Niveau: Sie hat die Gerichte bloß benannt. Sie hat beschrieben, wie die Brunettis von diesem noch einen Löffel nahmen, sich auf jenes freuten, und wie ihnen ein ums andere Mal etwas im Halse stecken blieb. Das war’s.

Immer, wenn ihr die Rezepte ausgingen, hat sie Roberta angerufen. Wenn sie wissen wollte, was gerade in die Saison passte, auch. Roberta macht als Erstleserin eine Art kulinarisches Lektorat. Ihr fällt auf, wenn Brunetti doppelt zu Mittag isst. Und über all die Jahre, in denen der Kommissar den Deutschen einen Anlass gab, nach Venedig zu reisen, saß Donna Leon an diesem Holztisch und verfiel mehr und mehr der italienischen Küche.

Wie wenig Zutaten man braucht! Einfach ein gutes Gemüse, ein gutes Öl, etwas Parmesan, ein paar scharfe Peperoncinischoten. Niemand muss sich in diesem Land für eine Gemüseleidenschaft rechtfertigen! Wenn sie zwei Stunden aus Venedig hinausfährt, erzählt sie bei ihrem Risotto, in das sich weich ein Kürbis kuschelt, ist sie in Belluno, wo ihr Landhaus steht. Man muss sich Donna Leon dort als eine unabhängige, sehr selbstbestimmte Frau vorstellen, die keinen Mann und keine Kinder hat, aber sich gerne die Hände schmutzig macht bei der Aufzucht von Gemüse. Mit beiden Beinen im Beet vermisst sie überhaupt nichts auf dieser Welt.

Nicht das geschmorte Kaninchen, das Roberta gerade in einer Duftwolke aus dem Ofen holt, und auch keinen Wein. Sie kennt sie ja schon längst, Robertas perfekte Kombination aus Kaninchen, Walnüssen und Oliven. Deshalb dimmt nun das Gespräch der Gäste zu anerkennendem Gemurmel herunter, nur Donna Leon erzählt ungerührt weiter. Nach zwei Gläsern Wein habe sie oft dem Bedürfnis nachgegeben, sich wegen akuter Müdigkeit mal eben zurückzuziehen, aaahh, ganz kurz nur, auf das dunkle Sofa da hinten unter der Dachschräge, wo für längere Zeit niemandem auffiel, dass sie fehlte. Leider ist sie dann immer fest eingeschlafen. Da gab sie das Weintrinken zugunsten der Unterhaltung auf.

Vor etwa 40 Jahren wollte sich Donna Leon auf einem Venedig-Urlaub eine Goldkette fertigen lassen. „Ich kann das nicht so schnell“, sagte Franco, der Juwelier, den sie als Erstes fragte. „Aber drüben gibt es eine junge Goldschmiedin.“ Tja, und Roberta Pianaro hat dann gesagt, sie macht es in zwei Tagen. Als sie das nächste Mal nach Venedig kam, waren Roberta und Franco verheiratet. Als Donna Leon nach Jahren des Reisens in Saudi- Arabien feststellte, dass ihr Leben so nomadisch nicht weitergehen konnte, rief sie Roberta an. „Ich komme erst mal nach Venedig,“ sagte sie. „Ich brauche was zum Bleiben.“ Von da an wuchsen die drei zu so etwas wie einer Familie zusammen.

Donna Leon fing mit den Krimis an, mit nun 67 Jahren hat sie längst eine Arbeitsroutine entwickelt. Man kann sich am Morgen nach dem Essen für ihren frühen Besuch auf dem Rialto-Markt mit ihr verabreden. Rechts in der Häuserfront gegenüber den Fisch-Arkaden der Gemüsehändler ihres Vertrauens, Zucchiniblüten, feurige Peperoncinisträuße. Von links zupft schon ein Deutscher mit Sonnenbrille an ihr: Ein Foto, ja, is it possible? Er schiebt sie etwas ins Licht. „Frauen bitten meistens höflicher“, sagt sie. Niemals aber lehnt sie ab.

Dann stolpert sie über eine Kiste rot-grüner Tomaten, ihr fällt ein, dass Tomaten ihr erstes erfolgreiches Geschäftsmodell waren. Als sie mit Anfang 20 zu Hause in New Jersey war, wo das Gemüse üppig im Garten ihrer Mutter reifte. „Die müssen sie verkaufen!“, rief eine Nachbarin. Sie kaufte stattdessen einem Bauern aus der Gegend günstig stiegenweise Tomaten ab und drapierte sie am Wochenende malerisch vor dem Garten an der Landstraße. Wenn die Leute fragten: „Sind die auch von hier?“, wies sie mit dem Daumen über die Schulter. „Sehen Sie doch.“ Für ihre Verhältnisse, damals die einer kleinen Universitätsangestellten, häufte sie in dieser Saison ein kleines Vermögen an.

Sie möchte jetzt noch in die Kaffeebar, in der sie sich jeden Morgen mit Roberta trifft, bevor die in ihr Schmuckgeschäft geht und sie selbst an den Schreibtisch. Ungefähr jetzt, sagt sie, nach diesem ersten Cappuccino, ist die richtige Zeit zum Schreiben. Sie drückt einem noch einen leuchtenden Strauß Peperoncinischoten in die Hand, als Überlebenshilfe. Donna Leon ist nämlich der Meinung, dass man mit einem Stück Parmesan und ein paar kleinen, scharfen Schoten überall auf der Welt durchkommen kann.

„Bei den Brunettis zu Gast. Rezepte von Roberta Pianaro und kulinarische Geschichten von Donna Leon“, Diogenes-Verlag, 288 Seiten, 22,90 Euro.

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