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Essen & Trinken: Nobelköchin

Frau Nüsslein-Volhard, eine deutsche Nobelpreisträgerin: Sie hat gern Gäste zum Essen, sie schrieb sogar ein Kochbuch. Ein Hausbesuch.

Das Essen – ach ja, das Essen. Sie hat es mit Vergnügen verspeist, aber was da genau an jenem 10. Dezember 1995 auf dem Teller lag, daran erinnert sie sich nur noch dunkel. Viel wichtiger als das, was auf der Speisekarte zum Nobelpreisbankett stand, war doch das ganze Drumherum! Das Zeremoniell, die Lichter, die Festlichkeit. Wenn Christiane Nüsslein-Volhard, als Naturwisschenschaftlerin eher unsentimental, davon erzählt, bekommt sie leuchtende Augen. Allein wie die Heerschar der Kellner auf der Treppe stand, der Zeremonienmeister mit dem Stock das Kommando zum Servieren gab und der König von seinem eigenen Bediensteten vorgelegt bekam – „toll!“ Wenn nur ihr Tischherr nicht so dröge gewesen wäre. Angst, vermutet sie, habe er, der schwedische König, vor ihr gehabt – Naturwissenschaftlerinnen, haben die nicht Haare auf den Zähnen? Tapfer hat sie versucht, Konversation zu machen. „Wie schön, die Tischdecke!“ – „Ach was“, hat er ihr Entzücken weggewischt. „Wie gut das Essen schmeckt!“ – „Es könnte viel besser sein“.

Aber ihre Freude hat selbst der König nicht trüben können. Christiane Nüsslein-Volhard, seit gut 20 Jahren Leiterin des Tübinger Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, hat den Luxus genossen, sich eine ganze Woche lang mal um gar nichts kümmern zu müssen.

Am morgigen Montag werden in Stockholm gleich zwei deutsche Naturwissenschaftler, die nicht in die USA abgewandert sind, mit dem Nobelpreis geehrt. Vor zwölf Jahren, als die Biochemikerin ihn bekam, war das eine Sensation. Aber warum sollte sie sich vom Land der großen Verheißungen locken lassen? Sie wohnt ja schon im Paradies: am Rande von Tübingen, gegenüber vom Kloster Bebenhausen. Durch das alte, offene Haus führt der Weg an der Küche vorbei in den lauschigen Garten. Im Sommer schwimmt die Wissenschaftlerin jeden Morgen zwischen Seerosen und Stocherkahn in ihrem Teich, unter Bäumen hat sie Sitzplätze arrangiert, für jede Tageszeit einen, hier eine Laube für den Kaffee im Nieselregen, dort ein Liegestuhl für die Abendsonne.

Eben war sie schon am Institut – fünf Minuten mit dem Auto durch den Wald –, nachher muss sie in Tübingen frische Noten holen (was der Garten im Sommer, ist die Flöte im Winter), am Abend bekommt sie Gäste; seit einer Woche hat sie jeden Abend Besuch, gestern hat sie beim Einkaufen einen Bekannten getroffen und ihn gleich zum Abendessen eingeladen, während des Interviews wird sie nebenbei ein Dreigängemenü zaubern.

Die 65-Jährige redet, wie sie kocht: fix, schnörkellos und gerne. Nie würde sie von „zaubern“ sprechen. Das Kochen ist für sie keine Hexerei, eher eine Mischung aus Lust, Pragmatismus und Organisation. Ihre Tiefkühltruhen sind gefüllt, mit Beeren, Fleisch und Suppen („ein ganzer Gang!“), ihre Rezepte gehen flott – fünf Minuten und der Kuchenteig ist fertig –, ihre Gäste animiert sie zum Helfen. Am Ende des Mahls tragen sie die Tische aus dem Garten rein, stellen das Geschirr in die Spülmaschine und verschwinden. Dann will die Hausherrin ihre Ruhe haben.

„Filet de cerf fondu dans une sauce de cassis. Garniture de cèpes, courges d'Italie et noix de porc fumé. Petites galettes de pommes de terre“: Das war der Hauptgang an jenrm 10. Dezember ’95, als die Embryonenforscherin den Nobelpreis für Medizin bekam. So was würde sie ihren Gästen nie servieren. Schon weil sie nicht einschüchtern will. Essen ist bei ihr die Grundlage, nicht die Hauptsache, Atmosphäre und Gespräch, darauf kommt es ihr vor allem an. Deswegen lädt die Frankfurterin am liebsten acht Leute ein, so dass noch alle ein gemeinsames Gespräch führen können.

Wobei es auch um die Arbeit gehen kann. Die Chefin fordert und fördert, verlangt von ihren Mitarbeitern harte Arbeit – aber backt ihnen auch Kuchen, lädt sie zum Essen ein. Das, findet sie, ist ganz wichtig: dass man auch mal in informellem Rahmen redet. An einem Institut wie ihrem, an dem Wissenschaftler mit Zeitverträgen immer nur ein paar Jahre an einem Projekt forschen, ist das umso wichtiger, den Zusammenhalt zu fördern. Für die Kinder der jungen Forscher macht sie ebenso ein Sommerfest wie für die Kollegen aus dem Ethikrat. Da zündet dann der Theologe Richard Schröder schon mal ein Feuerwerk überm Teich ab.

Zu essen gibt es dann aber keine petites galettes de pomme de terres, sondern Kartoffeln. Heute Abend wieder: geschrubbt, halbiert, aufs Blech, Olivenöl drüber, in der Mitte ein Schweinefilet mit Kruste, ab in den Ofen. Gern steckt sie die Kartoffeln auch in die Mikrowelle, das ihr das allerliebste Küchengerät zu sein scheint, mit etwas Wasser und Butter, da muss man nicht mal mehr abgießen und umfüllen.

Essen spielte schon früh eine große Rolle in ihrem Leben: In der Kriegs- und Nachkriegszeit gab es immer zu wenig davon. Umso mehr hat die Tochter eines Architekten und einer Kindergärtnerin die Pellkartoffeln mit Dickmilch geliebt, die es in den Ferien beim Bauern gab, „das war für mich Schlaraffenland“. Noch als Kind hat sie Kartoffelpuffer für die ganze Familie gebraten, das Rezept dafür, vier Zeilen lang, hat sie zusammen mit denen für Bratkartoffeln, Stampfkartoffeln, Kartoffelsalat…, kleinen Geschichten und Tipps veröffentlicht.

Die Wissenschaftlerin ist ein Familientier. Ihre vier Geschwister samt Anhang hat sie damals alle nach Stockholm mitgenommen, für ihre Nichten und Neffen und die ganze Verwandtschaft hat sie ihre bewährten Rezepte zunächst aufgeschrieben, die ihre Nichte Susanne Baumgarten, Grafikerin in Berlin, gesetzt und illustriert hat („hinreißend!“); das Heft geriet in die Hände eines Freundes, der jemanden beim Insel Verlag kannte, wo es denn erschienen ist („Mein Kochbuch“, 15 Euro) – nach gründlichen Korrekturen und Kontrollen. Die Forscherin scheint immer noch ganz fassungslos, wie viel Zeit so ein Kochbuch kostet. Wohlwollend wurde es aufgenommen, stellt sie erleichtert fest. Da ist sie ganz anderes gewöhnt. „Da kann man ganz schön winseln.“

„Ein ganzer Schwall von Unrat“ zum Beispiel nach einem offenen Brief an Wolfram Siebeck. Die Vehemenz, mit der sie nicht nur da gegen Bio-Anhänger und Gen-Technik-Kritiker wettert und darauf, dass diese mehr auf Glaube und Ideologie als auf Wissen setzen würden, hat, so scheint es, mit dem Gefühl zu tun, als Naturwissenschaftlerin als Quelle alles Bösen angesehen zu werden. So forsch sie auftritt, so verletzlich erscheint sie da.

Neugier: Das scheint für sie selber ein Motor zu sein, als Forscherin wie als Köchin. Sie will wissen, wie etwas funktioniert, bei der Fruchtfliege ebenso wie beim Hefekuchen. Bei Dienstreisen in alle Welt greift sie beherzt zu („ich esse immer zu viel“), auch wenn man „in China tapfer sein muss“. Embryonenforscherin, Frau, Nobelpreisträgerin, das macht sie für Tagungen, Gremien, Talkshows zu einem begehrten Gast. „Ich decke da mehrere Minoritätensparten ab“, sagt sie und lacht.

Dass das so nicht bleibt, dafür hat sie selber gesorgt. Vor zwei Jahren hat die lässig elegant gekleidete Forscherin, selber geschieden und kinderlos, eine Stiftung zur Unterstützung junger Wissenschaftlerinnen gegründet. Ein Jahr lang bekommen sie 400 Euro im Monat, um sich Zeit zu kaufen, für Kinder und Laborarbeit. So können sie Babysitter und Haushaltshilfen anheuern, sich einen Kindergarten leisten, in dem sie nicht noch selber schrubben müssen. Allerdings, so Nüsslein-Volhards Erfahrung, ist das oft das Schwierigste: nicht alles selber und perfekt machen zu wollen. Fertigkost kann doch auch gut sein! Genauso wie von den Quitten in ihrem Garten, schwärmt sie von Hengstenberg-Dosen und der Sieben-Kräuter-Mischung von Iglu, aus der die Frankfurterin ihre berühmte Grüne Soße macht. Wenn sie die Kräuter nicht im eigenen Garten erntet.

„Haben Sie Hunger?“ Die Hausherrin hat. Eier werden verrührt und mit Estragon gewürzt, Salat geputzt, Quark mit Zucker und Zitrone angerührt, die Rote Grütze, für abends schon vorbereitet, in ein Schälchen gefüllt, aus der Tomatensauce von gestern wird die Tomatensuppe von heute, die Teller von Manufactum kommen aufs Tablett, „Halt! Halt! Halt!“, jetzt hat sie glatt vergessen die Salatsauce anzurühren, „man ist immer unter Dampf“. Das Essen ist wunderbar.

Ein bisschen ist ihr die Küche zum Laborersatz geworden. Durch alle ihre Ämter und Aufgaben kommt sie dort kaum noch zur praktischen Arbeit. Dabei ist ihre Küche alles andere als ein Hightech-Arbeitsplatz, eher schlicht und unauffällig, in offenen Regalen stehen Töpfe und leere Marmeladengläser. Das, sagt sie, sei ein Fimmel von ihr: Gelees einkochen. Obwohl sie selber gar keine isst. Macht nichts, hat sie was zu verschenken.

Christiane Nüsslein-Volhard ist es gewohnt, die Zügel in der Hand zu halten. Mit anderen zu kochen, dazu fehlt ihr die Geduld. Jemand, der stundenlang nur Radieschen schnitzt, schrecklich! Aber einmal im Jahr lädt sie zum Plätzchenbacken ein. Am Mittwoch wird es wieder voll in ihrer kleinen Küche, dann werden 17 Doktoranden und Diplomanden aus dem Institut Zimtsterne und Vanillekipferl, Bethmännchen und Schwabenbrot formen. Übrigens, verrät sie in ihrem Buch, aus dem Rest des Teigs lässt sich auch schnell noch eine Linzertorte machen.

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