zum Hauptinhalt
Gewinner: Nach Meinung unseres Autors sind diese Lebkuchen der Firma Düll die besten in Nürnberg.

© Frank Krems

Essen & Trinken: Nürnbergs dunkles Geheimnis

Von hier kommen seit Jahrhunderten die feinsten Lebkuchen. Was macht sie so gut? Unser kulinarischer Detektiv hat sich in Franken auf die Suche nach dem besten Bäcker begeben.

Meine jüngste Lebkuchen-Attacke vor zwölf Tagen endete mit einer Verstimmung. Ich war durch einen Drogeriemarkt gelaufen, als er plötzlich vor mir stand: ein 200-Gramm-Pappkarton mit Foliendach in verführerischem Königsblau zu 1,59 Euro. Zu Hause riss ich die Schachtel auf und aß sofort drei Lebkuchen. Hernach fühlte ich mich schlecht. Aus Gier war ich auf diese kleinen Miststücke reingefallen – zum Großteil bestehend aus Zucker, Weizenmehl und Glukose-Fruktose-Sirup.

Erinnerungen hatten mich ins Regal greifen lassen: Ein Fest war das, wenn Mutter im Advent eine Büchse HaeberleinMetzger öffnete. Dieser Duft nach Nelken und Zimt, dieser satte Schokoladenüberzug! Der Markenname stand damals für höchste Qualität. Gibt es die Nürnberger Firma noch? Und wer produziert eigentlich heute den besten Lebkuchen in der Heimat des Gebäcks? Im Internet finden sich die jüngsten Ergebnisse von Stiftung Warentest (12/2010). Demnach kommen die Produkte von Bahlsen, Rewe und Aldi Nord auf die ersten drei Plätze (Schulnoten 1,9 bis 2,1). Haeberlein-Metzger ist mit einer 4,1 Letzter. Empörte Leser bezeichneten das Ergebnis als „irrwitzig“: „Die Tester haben offensichtlich noch nie bei einem Lebküchner in handwerklicher Tradition hergestellte Lebkuchen gekauft.“

Am Tag darauf stieg ich in den Zug. Fünf Stunden braucht die Bahn von Berlin nach Nürnberg. Zeit genug, mich in die Historie einzulesen. Und die beginnt bei den Pharaonen, die sich 1500 v. Chr. süße Fladen mit ins Grab legen ließen.

In Nürnberg wird der Beruf des Lebküchners erstmals 1395 erwähnt. Im späten Mittelalter dann boomen die kleinen, gewürzten Laibe. Die Stadt liegt damals im Mittelpunkt des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Natio“. Alle großen Handelswege führen hierher. Asiens sündhaft teure Gewürze, etwa Zimt, Piment oder Pfeffer, werden in Venedig auf Ochsenkarren geladen und unter Begleitschutz in die Kaiserstadt gefahren. Nürnberg ist aber nicht nur reich an Gewürzen, sondern auch an Honig, der in den weiten Mischwäldern der Umgebung geerntet wird.

Zwei Voraussetzungen, die es zur Hauptstadt des Lebkuchens werden lassen. Größter Produzent ist heute „Lebkuchen-Schmidt“, der von Oktober bis Weihnachten täglich drei Millionen Stück backt und in alle Welt versendet.

Am Bahnsteig traf ich Jochen, einen alten Freund, der eine Menge von gutem Essen versteht. Über meine Pläne, hier nach allerfeinsten, noch handgemachten Lebkuchen zu fahnden, ließe sich am besten bei Bier und Schäufele (Schweineschulter) sprechen, sagte er. In der Traditionswirtschaft schwenkte die Kellnerin mit zwei Krügen an unseren Tisch, während Jochen Unterlagen hervorkramte und strahlte: „Hier, der Urenkel Heinrich Haeberleins könnte dir weiterhelfen...“

Der Urgroßvater würde sich in der Lebkuchenbüchse umdrehen.

Der Urenkel öffnet höchstpersönlich. Utz W. Ulrich ist 72 Jahre alt und Rechtsanwalt. Er trägt gern gelbe Fliegen und kümmert sich seit mehr als 20 Jahren als FDP-Stadtrat um kulturelle Angelegenheiten. Seine Wohnung samt Kanzlei misst 400 Quadratmeter. Bis 1977 sei er Chef im Hause Haeberlein gewesen. Dann habe die Firma Schoeller ein „unwiderstehliches Angebot“ gemacht. Ulrich hat es angenommen, „zermürbt von der Schlankheitswelle und dem ewigen Kampf um Supermarkt-Regale“.

Schoeller wurde später von Nestlé aufgekauft. Heute produziert der Aachener Konzern „Lambertz“ unter dem Namen Haeberlein-Metzger. Ulrichs Urgroßvater würde sich in der Lebkuchenbüchse umdrehen. Beim Abschied im Treppenhaus des Patrizierhauses steckt mir der Liberale noch einen Zettel zu: „Ich backe meine Lebkuchen meist selbst. Aber wenn Sie richtig gute finden wollen, dann suchen Sie bei diesen Adressen – alle in der Altstadt.“

Schon läuft die Fahndung. Während die Sonne vom Himmel lächelt, schlendere ich über die Pegnitz zum ältesten Nürnberger Bezirk, der Sebalder Altstadt. Links und rechts: Sandsteingotik des 14. und 15. Jahrhunderts. Es riecht schon verdächtig nach Lebkuchen und Bratwurst.

Am Weinmarkt bleibe ich stehen. Bemerkenswert, was Romana Schell hier in ihrem Feinstkostlädchen „delikatEssen“ präsentiert: den wohl teuersten Lebkuchen (6,90 Euro) der Welt. Hersteller: „Tres Aromas“. Klingt nach Zeitgeist, klasse. Von denen wusste Urenkel Ulrich natürlich nichts. Ich trete ein und frage, wer diesen Luxusartikel kreiert habe. Frau Schell deutet nach links: „Das ZweiSterne-Restaurant ,Essigbrätlein’ auf der anderen Straßenseite.“

Sowohl Inhaber Andree Köthe (im November vom Gault Millau zum „Koch des Jahres“ gekürt) als auch dessen Chefkoch Yves Ollech haben Zeit, zu plaudern. Dazu servieren sie ihr Meisterstück – ein 130 Gramm schweres, pralinenähnliches Gebäck, das ich auf Anhieb zum besten Lebkuchen der Stadt erkläre. Sie lassen es seit 2006 in fünf Geschmacksrichtungen (traditionell, mit schokoladiger, thailändischer, indischer und chinesischer Note) produzieren.

Ich bin am Ziel – aber nur scheinbar. Gebacken wird das gute Stück nämlich „beim besten Bäcker Frankens“, Arnd Erbel in Dachsbach, gut 40 Kilometer entfernt. Also nix mit „Nürnberger Lebkuchen“, der nur vor Ort hergestellt werden darf; der Name ist seit 1996 Jahren europaweit geschützt. Blöd.

Also Zettel raus und zur nächsten Adresse. Die „Confiserie Neef“ in der Winklerstraße steht da an erster Stelle. Florian Neef, wie fast alle Lebküchner von imposanter Körperfülle, serviert im orange bestuhlten Café seine Elisen-Lebkuchen, die Könige unter den Gewürzlingen. Sie müssten aus mindestens 25 Prozent Mandeln, Wal- oder Haselnüssen bestehen und dürften maximal zehn Prozent Mehl beinhalten. Selbstverständlich verwendet Neef mehr „Edelkerne“ (36 %) und nicht ganz so viel Mehl. Dazu gesellen sich bei ihm Zitronat und Orangeat, Marzipan, Zucker, Aprikosenmarmelade, Honig, Eiweiß, Hirschhornsalz, Backpulver und jede Menge Gewürze, die – wie bei allen Lebküchnern – unter strengster Geheimhaltung stehen.

Qualitätsfanatiker bei der Lebküchnerei Düll

Nur so viel verrät er: Zimt, Nelken, Vanille, Anis sind darunter. Ich breche einen Neef’schen Lebkuchen in zwei Stücke: bestechend der Duft, saftig und großporig die Konsistenz, nicht zu fein gemahlen die Nüsse. Schulnote: eins minus. Im Vergleich zum Tres-Aromas-Traum leider einen Tick weniger gut.

Nach zwei weiteren Eliteproduzenten stehe ich vor einer Filiale der Lebküchnerei Düll. Ich kaufe einen Lebkuchen, beiße ab – und bin augenblicklich im Reich meiner Kindheit. Eins plus. Die und keine anderen! Und wo werden sie produziert? In Nürnberg! Mathildenstraße 28. Die Straßenbahn fährt mich hin.

Hinten in der Backstube sitzt Holger Düll – neben drei weiteren Konditor- und Bäckermeistern – auf einem ausgeleierten Bürostuhl. Um seinen mächtigen Leib spannt sich eine Gummischürze. Vor ihm steht ein kleines, hantelförmiges Gerät, das so nicht mehr hergestellt wird: der Lebkuchenstreicher. Darauf legt er Oblaten, die er mithilfe eines Schäufelchens mit Lebkuchenmasse belädt und zum kulinarischen Kunstwerk formt. 100 Prozent Handarbeit.

Für den letzten Schliff sorgen eigens für den Überzug verantwortliche Mitarbeiter. Die ziehen die fertig gebackenen Scheiben entweder durch Kakao oder bestreichen sie mit Zuckerglasur. Wie viele von ihren Topmodellen schaffen die Künstler am Tag? Düll drückt sein Kreuz durch: „Von früh um sieben bis nachmittags gegen drei Uhr etwa 4000 bis 5000.“

Holger Düll hilft mit. Er ist Qualitätsfanatiker und „kein Typ, der wo lang im Büro sitzen kann“. Der Nussanteil seiner Masse beträgt fast 50 Prozent. Die Edelkerne (neben Mandeln hauptsächlich Haselnüsse) werden täglich frisch geröstet und gemahlen. Orangeat und Zitronat würfelt er selbst. Seine belgische Kuvertüre hat einen Kakaogehalt von 80 Prozent. Gewürze kauft er vor Ort – beim Händler seines Vertrauens. Der „perfekte Lebkuchen“ ist Dülls Lebenswerk. Auch an Allergiker hat er gedacht. Für die verwendet er ausschließlich Walnüsse.

Zufrieden mit meinem Fahndungserfolg betrete ich am Abend Stefan Rottners 200 Jahre altes Wirtshaus – mit grünem Kachelofen, Terracottaboden, Holzbänken und schmiedeeisernen Laternen an der Decke. Rottner, Nürnberger Mittelfeldmann in der Fußballnationalmannschaft der Spitzenköche, will mir „noch eine Steilvorlage zur Abrundung der Geschichte“ zuspielen. Auf seiner Speisekarte finden sich: Rinderfilet und -backen mit Lebkuchensauce. Außerdem: Lebkuchenmousse mit eingelegten Mandarinen. Wunderbar! Und welche Lebkuchen nutzt er als Zutat? „Die von Woitinek, dem besten Lebkuchenbäcker der Stadt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false