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Vertreibung. Mancherorts ist Picknick verboten: zu viel Müll. Im Görli (Bild) darf man – noch.

© Thilo Rückeis

Freizeit in Berlin: Warum Picknicken das Allerletzte ist

Welch Missachtung aller zivilisatorischen Errungenschaften! Sand weht auf die Melone, die Blase drückt: Arm ist, wer fürs Freisein Ameisen im Schritt braucht!

Von Julia Prosinger

Es klingt paradiesisch: mitten in die Natur gebettet. Oder humanistisch: nach römisch-griechischem Gelage. Es klingt nach Ausbruch aus Konventionen wie Geradesitzen und nach revolutionär mutiger Abkehr von bürgerlichen Erfindungen wie Tischdecken oder Weingläsern. Es klingt nach Abenteuer trotz Großstadt, Flower Power trotz Festanstellung, Wieder-Kind-Sein trotz Führerscheins.

Stopp! Das sind alles nur Gerüchte. Lasst euch nicht täuschen von Rezeptstrecken in Essen & Trinken-Magazinen, von Instagram-Accounts voll Girlanden und Geburtstagseinladungen zum Angrillen im Park. Arm sind diejenigen, die fürs Freisein Ameisen im Schritt brauchen!

Bereits auf dem Weg zur Wiese ist einem das Blech mit den Käsespießen aus der Hand geglitten, beim Auspacken des neuen Picknickkorbs – bald wird er die Abstellkammer verstopfen wie Hometrainer und Eismaschine – stellt man fest, dass das Salz für die hartgekochten Eier noch auf dem Küchentisch steht, und kaum hat man endlich ein angenehm schattiges, aber doch auch leicht sonniges Stück Gras ohne Hubbel gefunden, kippt die Apfelsaftschorle über die flauschige Decke, denn wer, zur Hölle, kann schon im Liegen einschenken?

Beim Pinkeln hinterm Busch auf angeturnte Pärchen aufpassen

Wehrlos ist man ab jetzt den Launen der Natur ausgeliefert. Erst verranzt einem die Sonne die selbst gemachte Kräuterbutter, bis man es aufgibt, dem Schatten hinterherzulaufen, dann weht einem der Wind eine Prise Sand auf die Wassermelonenscheibe. Selbst die raffiniertesten Wraps werden, auf erhitztem Tupper gelagert, zu labbrigen Teigwürsten. Und wer weiß nach Stunden hier draußen noch so genau, ob die schwarzen Flecken an den Mozzarella-Bällchen Basilikum sind oder schon Gewitterfliegen?

Langsam beginnt die Hüfte zu schmerzen, der aufgestützte Unterarm ist eingeschlafen. Sobald man sich nun zu antiken Gedanken ausholend von der Decke heruntergestikuliert, landet die Hand in Hundescheiße, rollt man sich erschrocken zurück, trifft einen geradewegs der Stachel einer hinterlistig wartenden Wespe.

Darauf jetzt einen Schluck der so überhaupt nicht mehr kalten Erdbeerbowle, aber wirklich nur einen, denn sonst muss man los, eine Toilette suchen, oder hinter den nächsten Busch, wo man ein von der bloßen Vorstellung des romantischen Picknickens angeturntes Pärchen beim Petting aufschreckt.

In Venedigs historischen Straßen sind Takeaways verboten

Picknicken, welche Missachtung aller zivilisatorischen Errungenschaften! Die Italiener, deren kulinarische Überlegenheit kein vernünftiger Mensch anzweifelt, haben das längst erkannt. Takeaways sind in Venedigs historischen Straßen verboten, und ausgerechnet in Rom kann einen ein Gelage antiker Art 500 Euro Strafe kosten. Beispielsweise direkt vor dem Kolosseum. Schließlich sollen weder Essen noch Steinegucken zum Begleitprogramm geraten.

Wenn die Blase drückt und die Mückenstiche jucken, erlöst nur ein heranziehendes Gewitter. Auf der Suche nach einem aufnahmebereiten Mülleimer sudeln erst Nudelsalatreste (hätte diese Sünde ohne die Erfindung des Picknicks überhaupt eine Chance gehabt?) aufs Sommerkleid, dann fallen die Plastikgabeln zu Boden, schließlich rutschen die eingesuppten Pappteller hinab, einmal bückt man sich noch, danach tut man es dem Rest der Picknicker gleich, hinterlässt ein zerstörtes Paradies, denn Rettung naht. Endlich daheim, darf man sich mit Besteck – wie genial! – an einen Tisch – wunderbare Schöpfung! – setzen: Weil noch der kleinste Krümel es verdient, dass wir uns für ihn aufrichten.

Von wegen das Allerletzte: Warum Picknicken das Schönste ist - eine Liebeserklärung

Hier besser nicht Picknicken

Boxhagener Platz: Zigarettenstummel statt Grashalme, Kronkorken statt Gänseblümchen, Schrammelpunk statt Blätterrauschen.

Urbanhafen: Hier attackieren einen von Dönerzwiebeln verwöhnte Killer-Schwäne, aufgequollene Ratten treiben im Kanal vorbei.

Görlitzer Park: Das fragile Gefüge aus Konsumenten, Dealern und Parkläufern kann keine weitere Störung gebrauchen.

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