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Gesellschaft: Gesang Wein, Weib und

Gianna Nannini wuchs zwischen Torten auf und hat sich ein Weingut in der Toskana gekauft. Hier erzählt sie vom Geschmack ihrer Heimat

DIE TOCHTER DES KONDITORS

Ich bin in Siena aufgewachsen, in einer Konditorfamilie. Mein Großvater Guido Nannini gründete 1911 ein Geschäft mit Süßspeisen und der ersten Kaffeemaschine der Stadt. Mein Vater und mein Onkel bauten das Lokal zu einem großen Unternehmen aus. Ein kleines Mädchen in einer Konditorfamilie, umgeben von Lebkuchen, Stollen, Panettone, Kuchenstücken – so könnte man sich meine Kindheit vorstellen. So war es aber nicht. Bei uns zu Hause gab es kaum Süßspeisen, nur sonntags kamen welche auf den Tisch. Ehrlich gesagt, war ich auch nicht so scharf darauf, weil ich früh gemerkt habe, dass mir nach zu vielen Süßigkeiten schlecht wurde. Und in der Schule hatte ich eine Banknachbarin, die brachte selbst gebackene Kekse ihrer Mutter mit, die schmeckten mir besser. Nur die mit Creme gefüllten Hörnchen unserer Pasticceria waren unwiderstehlich.

Trotzdem habe ich viele Jahre im Betrieb meines Vaters mitgeholfen, da habe ich alles gelernt, was man über den Beruf des Zuckerbäckers wissen muss. Ich wäre eine gute Konditorin geworden, ich war mit viel Leidenschaft bei der Sache. Aber eine andere Leidenschaft war größer: das Singen. Mit 18 beschloss ich, zu Hause auszuziehen. Siena ist eine wunderschöne Stadt mitten in der Toskana, aber sie war zu klein für jemanden wie mich, der Rockstar werden wollte. Mein Vater war enttäuscht, er hatte sich erhofft, dass ich ihm eines Tages im Betrieb nachfolgen würde. Auch ich war hin- und hergerissen. Ich sagte mir, wenn es mit der Musik nicht klappen sollte, kann ich immer noch als Konditorin arbeiten – und dann ging ich nach Mailand.

GUTE KÜCHE, SCHLECHTE KÜCHE

Komischerweise hat sich in meiner Familie, in der sich viel um das Backen dreht, kaum jemand für das Kochen interessiert. Meine Mutter stand selten in der Küche, mein Vater nie, wir hatten eine Köchin, sie hieß Pia. Erst in Mailand habe ich Kochen gelernt – von Freunden aus Apulien. Mitte der 70er Jahre war ich in der italienischen Frauenbewegung aktiv. Wir wollten uns vom Schema der klassischen Hausfrau befreien, das in Italien vom Papst und den Eltern vorgegeben wurde. Es ging um Gleichberechtigung und Lohnausgleich, Frauen haben nur ein Drittel so viel verdient wie Männer. Aber Feministin zu sein hat für mich nie bedeutet, aus Trotz die Küche zu meiden.

Die süditalienische Küche, vor allem die aus Apulien, ist für mich die beste der Welt. Sie ist von den Griechen beeinflusst, ist sehr einfach und kommt mit viel Gemüse, wenigen Zutaten und kaum Fett aus. Die verschiedenen Rouladen aus Apulien sind großartig: Es gibt Fisch-, Rinder- und Auberginen-Rouladen. Meine absolute Leibspeise sind Miesmuscheln und Kartoffeln, ein einfaches Gericht aus Süditalien, das nur noch wenige Großmütter beherrschen.

Was mir hingegen gar nicht schmeckt, sind Gerichte, die mit Knoblauch gewürzt sind. Innereien kann ich nicht essen, und ich hasse fettige Saucen.

Ich habe viel Zeit in Deutschland verbracht, die deutsche Küche ist mir etwas zu schwer, aber ein Essen blieb mir in Erinnerung: Es muss 1987 oder 1988 gewesen sein, als in Berlin noch die Mauer stand. Wie hielten an einer Raststätte nahe Ost-Berlin, irgendwo am Stadtrand. An den Tischen saßen Lkw-Fahrer, es gab Schinken, Steaks, Kartoffeln. Es war einfach, unverfälscht und hervorragend.

AUF TOURNEE

In den 70er und 80er Jahren habe ich viele Konzerte gegeben, ich war mit meiner Band in der ganzen Welt unterwegs. Damals habe ich nicht besonders auf Ernährung geachtet, heute ist das anders. Ich komme zwar nicht oft dazu, selbst zu kochen, aber wenn ich die Zeit finde, dann verwende ich biologische Produkte, und am liebsten Gemüse aus meinem eigenen Garten. Dort baue ich Tomaten, Artischocken, Zwiebeln, Zucchini, Basilikum an. Eine pasta ai pomodori schmeckt doch tausend Mal besser, wenn die Tomaten aus dem eigenen Garten kommen.

Auf Tour achte ich inzwischen sehr darauf, mich gesund zu ernähren. Kurz vor den Auftritten esse ich gar nichts mehr, tagsüber nur Reis und nach der Show Nudeln. Während der Konzerte trinke ich Wasser. Früher trank ich auch Wein, ach, da war mir alles egal. Bis mir mein Körper irgendwann eine Grenze gesetzt hat. Ich habe eigentlich nur auf der Bühne getrunken, um mehr Selbstvertrauen zu erlangen. Ich fühlte mich nicht sicher genug, wenn ich am Mikro stand. Heute bin ich stärker. Das brauche ich nicht mehr. „Basta!“ habe ich mir irgendwann gesagt, ich kann mich nicht mehr jeden Tag betrinken. Nur manchmal nach den Konzerten genehmige ich mir ein schönes Glas Rotwein.

DER GESCHMACK DER HEIMAT

Wie Sie merken, bin ich Wein überhaupt nicht abgeneigt. Ich bin mit dem Getränk aufgewachsen, ich habe ja nicht Hopfen gepflückt, sondern bei der Weinlese geholfen. Als Kind durfte ich mit den nackten Füßen die Trauben zermatschen. Den Geruch der geernteten Trauben werde ich nie vergessen. Richtig schätzen gelernt habe ich Wein erst mit 18 Jahren, damals sind wir mit den Motorrollern zum Picknicken gefahren, eine Flasche Wein und eine Gitarre waren immer dabei, mehr brauchten wir nicht.

Ende der 90er Jahre begann ich, mich intensiver mit Weinanbau zu beschäftigen, 2002 habe ich in der Nähe meiner Heimatstadt das Weingut Certosa di Belriguardo gekauft. Ich hatte einfach Sehnsucht nach dem Geruch meiner Heimat, dem Geruch des Sangiovese. Das ist eine rote Rebsorte, sie hat eine kräftige Farbe, das Hauptanbaugebiet ist die Toskana. Erst vor wenigen Tagen habe ich noch drei Hektar dazugekauft.

Ich arbeite mit Renzo Cotarella zusammen, einem Weinberater. Wie bei der Musik geht es darum, ein gutes Team aufzubauen. Ich habe nie einen Sommelier-Kurs gemacht, bin jedoch Sommelier ad honorem. Schon als kleines Mädchen lernte ich, einen Blauburgunder von einem Merlot zu unterscheiden. Sehen Sie, ich liebe die natürlichen Gerüche, sei es beim Wein oder beim Essen. Ich möchte nicht, dass wir irgendwann die natürlichen Aromen vergessen.

WEIN UND ROCK

Wein ist Geschmacksache, so wie die Musik. Man kann nicht einfach sagen: Das ist der beste Wein oder das beste Lied der Welt! Es gibt allerdings Vorurteile, zum Beispiel, dass guter Wein und Rockmusik nicht zusammenpassen.

Guter Wein steht angeblich auf den Tischen reicher Leute, die ihn sich leisten können. Ich wollte einen Wein kreieren, dessen Geschmack zu den einfachen Leuten passt und der trotzdem schmeckt. Einen Wein, den man nicht nur zu besonderen Anlässen trinken kann, sondern immer. Meine Wein-Philosophie ist wie die bei der Musik: Wein ist Kommunikation, er lässt uns lebensfroh werden. Ich liebe die euphorische Wirkung des Weines.

Vor sieben Monaten bin ich Mutter geworden, während der Schwangerschaft habe ich meine Ernährung umgestellt. Ich habe genau gemerkt, was meiner Tochter Penelope guttut und was nicht. Ich hörte auf zu rauchen, Kaffee und Alkohol zu trinken. Mit dem Rauchen fing ich nicht wieder an, aber den Wein habe ich sehr vermisst. Noch am Tag der Geburt habe ich mich abends hingesetzt und mir ein paar Gläser gegönnt. So angeheitert war ich lange nicht mehr gewesen.

Von Gianna Nannini erschien zuletzt das Album „Io e te“ (Sony). Ihren Wein kann man unter anderem im Restaurant Sale e Tabacchi (Rudi-Dutschke-Str. 25) probieren oder im Weinhandel Benzo (Montanstr. 25) kaufen.

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