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Bärenfutter. Fantastisches wird im „Hotel New Hampshire“ serviert, einem Film nach dem gleichnamigen Roman von John Irving. Foto: Cinetext

© CINETEXT

Gesellschaft: Herd John Irving am

Als Autor ist er ein Weltstar – doch in Restaurantküchen arbeitet er gern mal als Lehrling. Wie John Irving zu Hause kocht und warum er Tomatensoße liebt

In seinem neuen Roman „Letzte Nacht in Twisted River“ erzählt John Irving die Geschichte von Chefkoch Dominic, der mit seinem zwölfjährigen Sohn Danny vor einem schießwütigen Dorfpolizisten fliehen muss. Der Junge hatte versehentlich die Geliebte des Sheriffs mit einer Bratpfanne erschlagen, als diese sich gerade mit seinem Vater vergnügte. Großer Irrtum: Danny hielt die kräftig gebaute und stark behaarte Küchenhilfe seines Vaters für einen Bären. In der Geschichte der jahrzehntelangen Flucht von Vater und Sohn (Diogenes, 736 Seiten, 26,90 Euro) wird viel und kenntnisreich gekocht, italienisch, chinesisch, französisch. Unser Treffen mit John Irving endet in einem kulinarischen Protokoll:

Kochen habe ich schon als Teenager gelernt. Die Mutter meines besten Freundes hatte Schweizer und algerische Vorfahren, sie kochte südfranzösisch-norditalienisch, mit viel Tomaten, schwarzen Oliven, Olivenöl, Nussbutter, Maronenpüree. Sie brachte mir bei, zu backen, knusprige Pizza zu machen und einfaches Baguette.

Als Student der Literatur habe ich dann in einem halben Dutzend Restaurants gearbeitet, als Küchenjunge – eine Art Sous-Chef des Sous-Chefs. Das heißt, ich habe Zwiebeln und Paprika geschnitten, keine ganzen Gerichte zubereitet. Ich war ein guter Beobachter, habe zugeguckt, wie die Sachen gemacht wurden.

Viele meiner Freunde sind Küchenchefs, und als ich anfing, über den neuen Roman nachzudenken, sagte ich zu ihnen: Lasst mich in euren Restaurants arbeiten. Gratis! Ich war neugierig, wie es dort heute zugeht. Und ich war gut. Ich habe in einem chinesischen, einem italienischen und einem französischen Restaurant gearbeitet. Mein bester Freund ist Chef eines italienischen Lokals im Bostoner North End, wo ein großer Teil des Buches spielt. Dort ist er aufgewachsen, er hat mir die Geschichte des Viertels erzählt, in dem damals fast ausschließlich Italiener lebten.

Zu Hause mache ich das, was ich von besseren Köchen gelernt habe. Wenn ich in einem Restaurant etwas wirklich Gutes gegessen habe, gehe ich in die Küche und frage den Koch: Mit was haben Sie das Gericht gewürzt, wie heiß war der Ofen? Und zur Entspannung lese ich Kochbücher, keine Romane. Ich bin ein ganz ordentlicher Koch, kann Essen für viele Leute zubereiten, ohne in Verlegenheit zu geraten. Es gibt ein Dutzend Gerichte, von denen ich sage: Okay, das kann ich auch meinen Gästen anbieten. Der Rest ist einfaches Kochen für die Familie. Ich pflege eine sehr ländliche Art des Kochens. Ich mache immer gleich einen Riesentopf Marinara-Sauce, so nenne ich meine kräftige Tomatensauce, mit Zwiebeln, Knoblauch und Kräutern gewürzt, und friere einen Vorrat davon ein. Und wenn Basilikum im Garten steht, mache ich Unmengen von Pesto. Ich liebe Gegrilltes und Gebratenes, nur mit ein bisschen Zitrone und Olivenöl beträufelt, ich versuche es einfach zu halten. Die zwei Dinge, auf die ich nur schwer verzichten könnte, sind Olivenöl und Tomaten.

In meinem Roman bedeuten Kochen und Essen für Vater und Sohn auf der Flucht immer wieder vorübergehend Heimat, einen kurzen Moment des Friedens. An Soul-Food, an die tröstende Wirkung einer liebevoll zubereiteten Mahlzeit, glaube ich zwar nicht wirklich. Aber ich denke, wenn du hart arbeitest, egal ob es physische oder intellektuelle Arbeit ist, hast du es dir verdient, am Ende des Tages auszuspannen, und sei es nur, bei der Gelegenheit mit deiner Familie zusammen zu sein. Mit deiner Frau und deinen Kindern zu essen, ist etwas, das dich aufbaut, genau wie ein Essen mit Freunden. Und ich möchte immer schon morgens wissen: Was gibt es heute Abend zu essen? Bin ich der Koch, und wenn nicht, wer kocht heute und wer wird alles um den Tisch sitzen?

Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem Essen keine größere Rolle spielte. New Englands Küche ist nichts, was ich jemandem wünschen würde. Sie besteht aus Milch, Sahne und Eiern, alles wird in Soße ertränkt und alles ist verkocht. Grausam verkocht. Es ist die schlimmste ländliche Küche, die ich kenne. Die Gegend liegt direkt an einem Ozean, es gibt all diese frischen Fische, aber New England Cooking macht daraus nichts weiter als einen Eintopf, der immer und ewig kocht. Hinzu kommt, dass mein Vater Lehrer war, meine Mutter Krankenschwester, wir hatten nicht viel Geld. Was mich ernährungstechnisch während meiner Kindheit echt genervt hat, war das ständige Resteessen. Die halbe Woche gab es das zu essen, was es den Rest der Woche schon gegeben hatte. Das habe ich gehasst. Heute ist es mir egal, wie gut ein Essen war, sobald meine Familie plant, daraus ein Resteessen zu machen, sage ich: Prima, aber ohne mich. Ich esse keine Reste. Ich bin derjenige, der am Tisch so viel wie möglich isst, um ein Restedinner abzuwenden. Mit großem Erfolg.

Es ist etwas leichter, der Koch der Familie zu sein, wenn man zu Hause arbeitet, dann kann man sogar Pizza oder Brot machen. Man ist ja den ganzen Tag da, kann den Teig in Ruhe aufgehen lassen, zwei Stunden später macht man sich mal einen Kaffee, knetet den Teig kurz durch und lässt ihn wieder gehen. Man kann ja nicht abends um sieben nach Hause kommen und noch schnell Brot fürs Abendessen backen.

Mein Lieblingsgericht? In einem italienischen Restaurant würde ich immer die Spaghetti marinara bestellen, wenn sie auf der Karte stehen. Ich bleib einfach an der Tomatensauce hängen. Beim Essen suche ich keine Abenteuer. Die andere wirklich sichere Bank ist Auberginenauflauf mit Parmesan überbacken, Parmigiana di melanzane. Wenn du weißt, wie es geht, kannst du es nicht vermasseln. Wenn du nicht weißt, wie es geht, wirst du es auch nicht versuchen. Finde ich sie auf der Speisekarte, weiß jemand in der Küche, wie das geht. Wenn ich in ein Restaurant gehe, das ich nicht kenne, und ich nicht weiß, wie gut oder schlecht es ist, suche ich was aus, was jeder kann.

Julia Child schrieb in ihrem ersten Kochbuch: „Wenn Sie irgendwo hinkommen und Zweifel haben, was die Küche kann oder nicht kann, bestellen Sie etwas wirklich Einfaches, um sich selbst zu schützen.“ Als gutes Beispiel nannte Julia Child Brathähnchen. Niemand setzt das auf die Karte, wenn er kein Hähnchen braten kann. Es macht Mühe und kostet etwas Zeit. Wenn du ein Hähnchen braten willst, brauchst du einen Plan. Julia Child war übrigens einmal zum Abendessen bei mir zu Gast. Ich dachte, okay. Was mache ich? Nichts Verrücktes! Ich habe ein Hähnchen gebraten. Am Ende des Abends sagte sie: „Wunderbares Hähnchen. Ich liebe Marcella Hazan auch!“ Sie kannte sogar das Kochbuch, aus dem ich das Rezept geklaut hatte.

Aufgezeichnet von Stevan Paul.

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