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IM ANGEBOT: Asien für Anfänger

Es ist eine kulinarische Märchenwelt: bunt, duftend – und verwirrend. Eine Expertin führt durch Regale voller Soßen, Pasten, Kräutern, Tees ...

Ping Cheng macht das schon ganz richtig. Sie redet laut, sie redet schnell, sie redet ununterbrochen. Auf jede Frage hat sie eine Antwort. So, wie es sich für eine Fremdenführerin gehört. Nur das bunte Fähnchen fehlt, das Tourguides in die Höhe halten, damit die Reisegruppe weiß, wo’s langgeht. Aber so ein Fähnchen im Asia-Supermarkt, das würde dann doch ein bisschen komisch aussehen.

Ja, ja, Fremdenführerin, sagt Cheng, das passe schon. Eigentlich ist die 40-Jährige zwar Köchin, schon ihre Eltern hatten in der südchinesischen Provinz ein Lokal; in der Kochlust in Berlin-Mitte gibt sie Einführungskurse in chinesische, vietnamesische und thailändische Küche, in Kochen mit Wok und mit dem Feuertopf. Manchmal jedoch macht sie mit den Teilnehmern, die meistens Teilnehmerinnern sind, einen Ausflug. Raus aus der gesicherten Kochkurs-Ferienanlage, rein in die unerforschte Wildnis – eine geführte Tour durch den Asia-Supermarkt.

Und so stehen sie nun da, ein Dutzend Kochkursteilnehmerinnen, vor dem Tor zu einer fremden Welt: dem Eingang zum Supermarkt „Vinh-Loi“ im tiefsten Wedding. „Damit fangen die Unterschiede schon mal an“, sagt Cheng. In Asien sind Supermärkte nicht nach ihren Gründern benannt. Sie heißen nicht „Aldi“ oder „Tengelmann“. „Vinh Loi“ ist vietnamesisch, übersetzt bedeutet es in etwa „Blühende Geschäfte mit Nutzen für alle“. Das klinge doch schon ganz anders: schöner, positiver. Einladender.

Nicole ist Webseitenprogrammiererin. Sie hat blond gefärbte Haare, ganz viele Ohrringe und trägt Trekkingturnschuhe. Heute will sie endlich herausfinden, was es im asiatischen Supermarkt noch so alles gibt, außer dem, was man in der Asien-Ecke der deutschen Supermärkte auch findet. „An den meisten Regalen bin ich bislang ahnungslos vorbeigelaufen“, sagt sie.

Juliane und Hans sind ein Studentenpärchen. Hans hat seiner Freundin den thailändischen Kochkurs inklusive Supermarkttour zum Geburtstag geschenkt. Gerne möchte sie einmal eine der Fischsoßen probieren, sagt Juliane. Aber man traue sich halt nichts. „Am Ende greife ich doch immer nur zur Currypaste.“

Tourguide Cheng stellt sich vor das Tee-Regal, die Gruppe macht einen Kreis um sie. „Ingwertee ist gut bei kalten Händen und Füßen. Auch bei Bauch- und Regelschmerzen. Jasmintee beruhigt“, sagt Cheng. Aber welchen Ingwer- oder Jasmintee soll man nehmen: den chinesischen oder den vietnamesischen? „Kommen die Sorten aus China, sind sie eher mild“, erklärt Cheng. Die aus Vietnam seien schärfer.

Alles klar. China: mild. Vietnam: scharf. „Nein, nein“, sagt Cheng. Die Sache sei wesentlich komplizierter und bei den Zutaten für Gerichte eher umgekehrt. Vietnamesisches Essen ist mild, aber nicht ganz so mild wie das Essen im Süden Chinas. Im Nordwesten dagegen sei die Küche wesentlich schärfer.

Um Europäern einen kleinen Einblick in die asiatische Küche zu gewähren, muss Köchin Cheng ihnen vor allem klarmachen, dass es das gar nicht gibt: eine asiatische Küche. Sondern chinesische Spezialitäten, indische, indonesische, japanische, koreanische, philippinische, thailändische, taiwanische, vietnamesische, kasachische, mongolische, tibetische. „Wahrscheinlich gibt es über 1000 verschiedene regionale Küchen in ganz Asien“, sagt die Köchin. Und weil in den meisten Asia-Supermärkten in Europa die Produkte nicht nach Ländern geordnet sind, wissen selbst Asiaten manchmal nicht, wo denn nun was zu finden ist.

Die Reisegruppe flaniert durch die Regale. Vorbei an Palmzucker. Der schmecke fruchtiger als der europäische und sei trotzdem weniger süß, erklärt Cheng. Vorbei an den Nüssen. Kein thailändisches Gericht ohne Nüsse. Vorbei an Kokosmilch im Tetrapack. Hält zwar nicht so lange wie in der Dose, ist dafür aber garantiert ohne Zuatzstoffe. Und natürlich Sojasoßen, der Salzersatz, vor 2000 Jahren in China erfunden. „Meist wird die dünnflüssige helle Sojasauce verwendet, die ein feines Aroma hat, sie passt zu weißem Fleisch, Fisch und Gemüse“, erklärt Cheng. Die dunkle Sojasoße dagegen reife länger, dadurch erhält sie eine bräunlichschwarze Farbe und eine dickere Konsistenz, man nimmt sie für rotes Fleisch oder zum Schmoren.

In deutschen Supermärkten riecht es nach gar nichts. Hier duftet es. Nach Zitronengras, nach dem süßen Anis-Aroma des Thai-Basilikums und nach seifigem Koriander. Und aus einer Kiste in der Gemüseabteilung stinkt es nach Durian. „Sie schmeckt wie der Himmel und riecht wie die Hölle“, sagt Cheng über die Stinkfrucht im Stachelpelz. In Flugzeugen und öffentlichen Räumen ist es verboten, sie auszupacken. Ihr Fruchtfleisch aber sei so saftig und süß, ähnlich wie Karamellcreme oder Vanille. „Der Kenner genießt sie frisch und pur“, schwärmt Cheng. Sie wird aber auch zu Eis oder Kuchen verarbeitet.

Ein Regal mit Snacks. Wasabi-Nüsse, getrocknete Melonenkerne, Erdnüsse mit Knoblauchgeschmack. „Ist man danach noch gesellschaftsfähig?“, fragt die Frau mit der Wolljacke. „Ja“, sagt Ping. Onionrings-Tüten stehen auch da. „Wie schmecken die?“, fragt Nicole, die Webseitenprogrammiererin. „Wie Onionrings“, sagt Cheng. „Lutschen, lutschen, lutschen“, sagt sie dann noch. Den Vorgang genießen, das sei die asiatische Art.

„Zugreifen!“, ruft Cheng immer wieder. „Und ausprobieren.“ Es gehe darum, die Angst zu verlieren. Nur vor einem Regal mahnt die Köchin zu höchster Vorsicht. „Den Medizinschrank“, so nennt sie es. Bocksdornfrucht steht auf einer Verpackung. Soll gegen Schwindelanfälle helfen, Sehschwäche und Impotenz. Oder die Chrysanthemenblüte. Hilft bei Kopfschmerzen und eitrigen Geschwüren. Und die Lilienzwiebel lindert trockenen Husten und Fieber. „Aber lassen Sie die Finger davon!“, sagt Cheng noch einmal. Für die richtige Dosierung müsse unbedingt ein fachkundiger Arzt zu Rate gezogen werden.

Vor einem Tiefkühlfach ist ein kleiner Altar aufgebaut, auf dem eine Porzellankatze sitzt. Sie hält eine Porzellanschriftrolle mit asiatischen Schriftzeichen in ihrer rechten Pfote. Ping Cheng übersetzt: „Bring Reichtum!“ Die Supermarktbesitzer haben Räucherstäbchen entzündet, Tee, Reiswein, Obst und Blumen dazugestellt. Opfergaben für den Gott der Erde und den Gott des Reichtums. Es ist still im Asia-Supermarkt. Keine Supermarktwohlfühlmusik, keine Wohlfühlwerbeslogans. Nur die Kassen piepsen gleich wie bei Kaiser’s. „Bring Reichtum!“, piepsen sie.

Vorbei an den Tiefkühlfächern. Tilapia-Fisch aus dem Mekong-Delta lagert darin. „Der schmeckt ein bisschen wie Karpfen, aber das Fleisch ist fester und eignet sich somit zum Frittieren“, sagt Cheng. Zwei Asiatinnen drängeln sich an der Gruppe vorbei. Ja, so ist es mit Touristen, die stehen immer im Weg herum. In Asien werde im Supermarkt viel mehr gedrängelt. „Positiv gedrängelt“, sagt Cheng. Denn mit ein bisschen drücken gehe alles für alle ein bisschen schneller. Niemand sei böse. „Da machen Asiaten kein Theater draus.“

Zu früh gefreut. Nun geht die Musik doch noch los. „My heart will go on.“ Eine asiatische Angestellte, die Reis stapelt, summt leise mit. So eine Art chinesischer Bryan Ferry singt eine Schnulze.

Anderthalb Stunden vorbei, der Rundgang ist fast beendet. Juliane und Hans stehen hinter dem Regal mit Bambuskörben. Sie knutschen ein bisschen. Geburtstagsknutschen.

Das Menü für den Abend steht: scharfer Salat aus grüner Papaya mit Chili, Knoblauch, Schlangenbohnen, getrockneten Garnelen, Cherrytomaten, Minze und Thai-Basilikum. Rotes Curry mit Lachsfilet und Kaffir-Limettenblättern. Thai-Gemüse mit Zitronengras und Austernsauce, dazu Duftreis. Als Dessert gebackene Apfelspalten mit Honig-Limetten-Soße.

Letzte Station: Alkohol. Reiswein steht da und viel Bier. „Tsingtao“ sei das bekannteste Bier in China, sagt Reiseleiterin Ping. „Tsingtao“ – „kleine Insel“. Die Wolljackenfrau nimmt sich ein Sixpack. Ein Glückskeks pro Teilnehmerin. Und einer für Hans. Draußen im Wedding ist es Nacht geworden. Die heimgekehrten Asienurlauber laufen zur U-Bahn.

Neue Termine für Führungen sind ab Ende November bei Kochlust zu erfahren, www.kochlust-berlin.de, Telefon 030/246 388 83.

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